Precipitations (Teil 2)
Evelyn Scott (1893-1963) verschwand nach ihren literarischen Erfolgen in den 1920er und 1930er Jahren immer mehr in der Versenkung. In ihren letzten zwei Lebensjahrzehnten schrieb sie in einem fort, doch wurde nichts mehr von ihr publiziert. In ihrer memoir mit dem Titel The Odd Woman and the City (2016) erinnert Vivian Gornick an Scott als sonderbaren, schrägen Frauentyp. Nach einem Brief Louise Bogans, in dem von einem Treffen die Rede ist, muss Scott, 62, eine abgehalfterte und düstere Existenz vorgestellt haben, die Verschwörungen über den Literaturbetrieb in Umlauf brachte und unter Verfolgungswahn litt. Bogan galt sie als schlichtweg paranoid. – Die Evelyn Scott Society sucht die Erinnerung an die Autorin wach zu halten. (K.B.)
DEVIL'S CRADLE
Black man hanged on a silver tree;
(Down by the river,
Slow river,
White breast,
White face with blood on it.)
Black man creaks in the wind,
Knees slack.
Brown poppies, melting in moonlight,
Swerve on glistening stems
Across an endless field
To the music of a blood white face
And a tired little devil child
Rocked to sleep on a rope.
Wiege des Teufels
Schwarzer Mann an Silberbaum gehängt;
(Drunten am Fluss,
Träger Fluss,
Bleiche Brust,
Bleichgesicht mit Blut drauf.)
Schwarzer Mann ächzt im Wind,
Schlaffe Knie.
Brauner Mohn zerfließt im Mondlicht,
Schlingert auf gleißendem Stengel
Quer über endloses Feld
Zur Musik eines blutbleichen Gesichts
Und einem müden kleinen Teufelskind,
An einem Strick in den Schlaf gewiegt.
*
PENELOPE
Gray old spinners,
Weaving with the crafty fibers of your souls;
Nothing was given you but those impalpable threads.
Yet you have bound the race,
Stranglers,
With your silver spun mysteries.
All the cruel,
All the mad,
The foolish,
And the beautiful, too:
It all belongs to you
Since the first time
That you began to drop the filmy threads
When the world was half asleep.
Sometimes you are young girls;
Sometimes there are roses in your hair.
But I know you–
Sitting back there in the hollow shadows of your wombs.
The crafty fibers of your souls
Are woven in and out
With the fibers of life.
Penelope
Graue alte Spinnerinnen,
Ihr webt mit den listigen Fasern eurer Seelen;
Nichts ward euch gegeben außer jenen unfühlbaren Fäden.
Ihr habt gleichwohl das Geschlecht zusammengehalten,
Würger,
Mit euren silbern gesponnenen Rätseln.
All die Grausamen,
All die Wahnsinnigen,
Die Törichten
Und die Schönen auch:
All das ist euer
Seit ihr erstmals anfingt,
Die hauchdünnen Fäden von der Nadel zu lassen,
Als die Welt sich im Halbschlaf befand.
Manchmal seid ihr junge Mädchen;
Manchmal stecken Rosen in eurem Haar.
Aber ich kenne euch –
Wie ihr euch da in den hohlen Schatten eures Schoßes zurück lehnt.
Die listigen Fasern eurer Seele
Sind ein- und ausgefädelt
Mit den Fasern des Lebens.
*
POOR PEOPLE'S DREAMS
Sometimes women with eyes like wet green berries
Glide across the slick mirror of their own smiles
And vanish through lengths of gold and marble drawing rooms.
The marble smiles,
As sensuous as snow;
Hips of the Graces;
Shoulders of Clytie;
Breasts frozen as foam,
Frozen as camelia bloom;
Mounds of marble flesh,
Inexplicable wonder of white....
I dream about statuesque beauties
Who look from the shadows of opera boxes;
Or elegant ladies in novels of eighteen thirty,
At the hunt ball...
Reflections in a polish floor,
A portrait by Renoir,
A Degas dancing girl,
English country houses,
An autumn afternoon in the Bois,
Something I have read of...
In sleep one vision retreating through another,
Like mirrors being doors to other mirrors,
Satin, and lace, and white shoulders,
And elegant ladies,
Dancing, dancing.
Träume armer Leute
Manchmal gleiten Frauen mit Augen wie feucht grüne Beeren
Über den glatten Spiegel ihres eigenen Lächelns
Und verschwinden in Längen goldener und marmorner Salons.
Marmornes Lächeln,
So sinnlich wie Schnee;
Hüften der Grazien;
Schultern von Klytia;
Brüste gefroren zu Schaum,
Gefroren zur Kamelienblüte;
Hügel marmornen Fleisches,
Unfassbares Wunder in Weiß…
Ich träume von statuenhaften Schönheiten,
Die aus dem Schatten der Opern-Logen lugen;
Oder eleganten Damen in Romanen von achtzehn dreißig
Auf dem Ball der Jagd…
Spiegelungen in gewachstem Boden,
Ein Porträt von Renoir,
Eine Tänzerin von Degas,
Englische Landhäuser,
Ein Herbstnachmittag im Bois,
Etwas, worüber ich gelesen habe…
Im Schlaf, wo sich ein Bild durch ein anderes zurückzieht,
Wie Spiegel, die Türen zu anderen Spiegeln sind,
Satin und Spitze und weiße Schultern
Und elegante Damen,
Die tanzen und tanzen.
Aus: Evelyn Scott, Precipitations. (Nicholas L. Brown, New York 1920)
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