Lesart

Fünfkampf der Sinne

Übs. Ute Eisinger

Das Leben spielt sich innen ab; noch keiner hat`s gesehen.
(Gilbert Keith Chesterton)

1
O Fünfkampf der Sinne!
Boreas wieder einmal
holt gegen die Erde Luft,
und der Baum kehrt, wie ein Inder,
in sein Inneres hinein,
 ins Sibirien seiner Zweige.
Dezember! Schalldecke"mber",
wo alles vibriert, und trotzdem,
verhalten, ist Laut: unter die Rinde entrückt,
wie der Zuckerhut, wie das Goldstück versteckt
unter rauen Fetzen.

Von innen sieht´s so aus im Zweig:
zitterndes Zelt eines Strahls ist er,
wie ein Kegel oder Trichter,
mit der Spitze dem Stamm angelegt. Bieg'
ich ihn, sacht angerührt, und stülpe ihn um,
fällt sein unsichtbarer Schnitt
  zusammen mit dem Strahl in ihm und
deckt sich mit des Kegels wie des Leuchtens Grund.

Im Wissen, dass zweigüber hing der Stamm,
spielen meine Muskeln: Sport
unter der Haut; da brennt, gespannt
auf eine Scheibe Lichts von dort  
geworfen, winzig ein Bildschirm,
 der, von hier nicht sichtbar,
wohl im Stamm als Säftehuschen hör-, verflüchtbar,
wie beim Abspulen rauscht ein Film;

seine Sujets werde ich nicht kennen:
was in den Bildporen zur Musik abläuft; und wie sie ist,
die der, der dort am Schemel sitzt,
den Pantomimen mitgibt in ihr Rennen.
Von seinem Zelt aus sehen würd' mich reizen,
so wie auch er: die Leinwand sucht des Monds
- doch ihn nicht findet, wo er thront,
gestochen aufrecht, zwischen Kreuzen.

O Licht,
firmamentangesiedelt, Selene genannt,
die dich Jupiter stahl
(selber wurdst: Scheinwerfer - Strahl!),
warf - bei erloschenem All - in den Saal deinen Bann
 als gewisses - von hier aus: diffuses -  Kino, ziel-
dienlich etwas, das sich dahinter befand
-  allein, wie Buñuel,
dem späten Buñuel vorstand.

Von hier kann man nur Flecken sehen; den Traum,
wo zitternd er als Regnen
 in die Danaä drang, den Sohn
in sie zu legen,
der, erwachsen... doch gibt's kein "End", solang
den Himmelskameras reckt
drohend Gorgos Haupt hin Perseus' Hand. -
Die Welt, geschloss'nen Auges, stockt'.

O, kreisrundes Lichtzelt, dessen Manege
ins Milchglas des Tamburins schlägt,
mit bald "auf" und bald "zu" die Rockschöße -
halb offen stets und -erregt.
Recke dich, Baumstamm! Möglich, du bist nicht versucht,
taub gegen klirrende Himmelszimbeln,
vielmehr: winzig bist, zuckerpaniert, Koralle im Wimmeln
am Grund einer Bucht...

2
Denk'  an Courbet:
Wie schwellende Eichen,
umarmt,
zwei kräftige Assen,
die Matte zum klassischen Kampf,
- die Enge des Zeichensaals hinter sich lassen -  betreten.
Ein Ring für ihren Wettkampf gezogen, erhitzt
trieb es Wolken hinaus, bis der Raum klar ist,
dass wieder und wieder die Rinde, in der Absicht,
die Blätter der Muskeln zu strecken, neu ansetzt.
Und hinter der Linie – die beiden sind außer Sicht –,
beim Abheben starr
wird die Menge, ohne Gesicht,
gleichsam dem Fleisch abgekappt, Geist, wie verharrt...
So ging auch der Mensch, sich verbergend, steif
eingeigelt, hinter die Bande zurück
wie im Finsteren Reif...

Es wuchsen ihm Stacheln, verfinstert wie ein Magnet
im unsichtbaren Sturm
eines stürmischen Rundum...
– ein seines Sibiriens würdiger Sybarit.
Es wuchsen ihm Stacheln, doch seitwärts er spürt
sich vom verschneiten Aufgang abgleiten – in der Spur,
worin Schlüssel sich drängen –
sich selbst in ihrem Ring drinnenhängen;
wie ein Schlüssel jenes Bunds, wo einer Gesichter zieht,
ins Schloss gesteckt, während mit offenen Blicken
alle andern dem bösen Türpolster zunicken,
klingelnd vor Nostalgie...

Ja, klar: ein Kampf, das Leben! Doch kaum hat die Vernunft
sich von Buckeln und Mugeln getrennt,
versteht man: dass ihre Vorstellung weit übertrumpft
was man erleben könnt'.
Man kann nicht tasten, sehen, riechen
ohne sich ganz auszugeben;
jedoch lässt sich, was an fünf Sinnen gegeben,
wider den Blutstrom streichen,
um dort in sich eine Leinwand zu hegen,
Verwuchs zu beständigen Seelengeweben,
mit dem Apparat, wo hunderte Cannes drin leben;
und du: von ihrer Linse gebündelt,
siehst mit... So ist´s, so ist das Leben - schau! -
das echte, das alle verbindet,
die außen zu sind, zum Schenken und Strafen sie findet,
von innen leuchtet es, schau!