Unternahm der Berliner Autor Thomas Brussig in "Helden wie wir" und
"Am kürzeren Ende der Sonnenallee" (erfolgreich von Leander Hausmann
verfilmt) den Versuch, der deutschen demokratischen Vergangenheit mit
satirischen Mitteln zu begegnen, verschwindet in seinem Schauspiel
"Heimsuchung" der bislang humorvolle Unterton seiner Romane. Fast
scheint es, als ließen die Probleme der Gegenwart keinen Raum für nostalgische
Rückbesinnung. Vom ersten Freudenrausch anläßlich der Vereinigung beider
deutschen Staaten ist eine Katerstimmung zurückgeblieben.
Die alther gebrachten gesellschaftlichen Muster haben keine Geltung mehr. Sogar
die Kirche verliert ihren sicheren Platz in der Gesellschaft und versucht ihre
schwindende Populariät mit weniger christlichen Mitteln zurückzugewinnen.
So vertritt Pfarrer Eberti in Brussigs Schauspiel die Meinung, dass zugunsten
der Gerechtigkeit auch einmal das Gesetz überschritten werden darf und
unterstreicht diese Position mit einem riesigen Clint-Eastwood-Poster in seiner
Kirche. Ein Revolverheld soll leere Kirchen füllen? Paradox! Doch nehmen drei
ehemalige DDR-Rockmusiker diese Botschaft allzu wörtlich. Nach einer
Schießerei auf der Flucht, suchen sie Schutz in der kleinen hessischen
katholischen Kirche. Einer von ihnen, Schulle, ist schwerverletzt und bedarf
dringend ärztlicher Hilfe. So mit den realen Auswüchsen der Gesellschaft
konfrontiert, beginnt der Pfarrer zu schwanken und versteckt sich hinter
Relativierungen, er habe dies alles nicht so gemeint. Die herbeigeholte Ärztin
leistet widerwillig Hilfe, da ihr ehemalige Bürger aus dem Osten Deutschlands
suspekt sind.
Brussig läßt in "Heimsuchung" zwei Welten aufeinanderprallen. Auf
der einen Seite der etablierte Westdeutsche, dem der Osten egal war und ist und
auf der anderen Seite den vom DDR-Regime verfolgten Ostdeutschen, der seine
Vergangenheit nicht einfach so abstreifen kann und der Gegenwart ohnmächtig
gegenüber steht.
Was auf den ersten Blick wie pure Schwarzweißmalerei wirkt, spitzt Brussig im
Laufe dieser kammerspielartigen Szenerie dramatisch zu. Sicherlich bedient er
einige Klischees, doch nur um die gegenwärtige Sprachlosigkeit zu
verdeutlichen. Die Worthülsen der Medien und Politiker haben wenig zum Annähern
von Ost und West beigetragen. Was zählt, ist das gegenseitige Begreifen und
Akzeptieren der individuellen Biographie. Es sind die leisen, differenzierenden
Töne, die helfen Barrieren abzubauen. Doch versöhnen sich die Protagonisten in
Brussigs Schauspiel nicht, alles endet in einem Tribunal.
Bleibt abzuwarten, ob ein Theaterregisseur es wagt, dieses Stück in Szene zu
setzen und wie vor allem das Publikum bereit ist, es anzunehmen.
©Torsten
Seewitz, 25.01.2001
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