Als Max Lipschitz mit seinen
Verwandten das Anne - Frank - Haus in Amsterdam betrat, ahnte er noch
nicht, welch verhängnisvolle Geschichte an diesem Tag beginnen sollte.
Nur aus dem Augenwinkel nahm er eine junge Frau wahr, die ihn die ganze
Zeit beobachtet, mit einem
Blick, der ihm missfiel und „zugleich auf
widerliche Weise beruhigte". Als sie ihn, sich zögerlich vortastend,
ansprach, war er zunächst abgeschreckt von ihrer Offenheit. Wie sich
herausstellte, hatte ihre Familie, ähnlich der von Max, zur Zeit der
deutschen Besatzung der Niederlande tragische Schicksalsschläge ob ihres
jüdischen Glaubens ertragen müssen.
Zwischen
Max und der jungen Frau Sabine Edelstein entspinnt sich eine
leidenschaftliche Liebesbeziehung. Doch schreckt Max häufig vor ihrer
manischen Besessenheit zurück, unbedingt ihrer beide Familiegeschichte,
die gemeinsame KZ-Vergangenheit ihrer Eltern, zu ergründen.
Ohne irgendeine Andeutung und Erklärung verschwindet Sabine jedoch von
einem auf den nächsten Tag. Tief gekränkt, versucht Max sie
auszuspüren. Erst fünfzehn Jahre später treffen sie sich auf der
Frankfurter Buchmesse wieder; Max als Verleger und Sabine als erfolgreiche
Fotografin in Begleitung eines berühmten jüdischen Filmregisseurs.
Und die bereits verdrängt geglaubten Emotionen treten wieder zutage und
mit ihnen auch die alten Fragen nach dem Warum von Sabines plötzlichen
Verschwinden. Erst allmählich begreift Max, nachdem er sie in ihrer
amerikanischen Wahlheimat besuchte, ihre tragisch Lebensgeschichte, die er
so niemals erwartet hätte.
Jessica Durlacher hat mit ihrem zweiten, und in den Niederlanden überaus
erfolgreichen, Roman ein Thema aufgegriffen, welches in der aktuellen
Literatur ständig zugegen ist, die Schrecken des Holocaust. Sie
betrachtet die Geschichte jedoch nicht aus der Sicht der Opfer, sondern
mit dem Blick der nachfolgenden Generation, die unbefangener mit diesem
Thema umgehen und die Auseinandersetzung damit mehr als Last denn als
Verpflichtung empfinden.
„Die Tochter" ist eine
ungemein fesselnder, in einer wunderbar fließenden, süchtig machenden
Sprache geschriebener Roman, der ein wenig Wehmut aufkommen lässt,
weshalb nicht auch deutsche Autoren so schreiben können.
©Torsten Seewitz,
29.01.2002
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