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Jens-Martin Eriksen
"Winter im Morgengrauen"
Aus dem Dänischen von Jörg
Scherzer
Verlagsbuchhandlung Liebeskind München 2002
224 S., 18,90 Euro
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Eigentlich
empfand der Literaturstudenten Z. es wenig beunruhigend, zur
Miliz einberufen zu werden. Das Land befand sich im
Bürgerkrieg, wie sollte man sich dagegen wehren. Und so
schlimm wird es schon nicht werden, waren seine Gedanken. Die
vier Wochen im Sondereinsatzkommando der Miliz werden schnell
vergehen. Dass dies eine trügerische Hoffnung war,
konnte er in diesem Moment noch nicht ahnen, denn alles begann so
harmlos wie auf einem Ausflug der Pfadfinder. Die Unterkunft
in einer Schule, der Appell auf dem Schulhof, der Ausflug in
den Wald. Doch das vermeintliche Idyll sollte sich recht bald
als Vorhof zur Hölle erweisen.
Für
jemanden, der niemals einen Krieg erleben musste, ist es
schwer nachzuvollziehen, wie weit sich Menschen manipulieren
lassen und ohne Skrupel andere Menschen töten. Meist
vertrauen die Befehlshaber ihrer Macht sehr wenig, so dass sie
mit Hilfe von Methoden, die an psychische Folter erinnern,
ihre Unterstellten manipulieren, bis sie willfährige
Werkzeuge im Interesse der Mächtigen geworden sind.
Genau diesem Phänomen versucht Jens-Martin Eriksen im
vorliegenden Roman nachzuspüren. Er lässt seinen
Protagonisten Z. die Geschichte seiner Traumatisierung mit
zeitlichem Abstand erzählen, und dennoch hat er noch immer
Angst, beim Aussprechen der Wahrheit verfolgt zu werden. In
seiner Erinnerung wirkt alles das Erlebte viel klarer und die
Fassungslosigkeit über das Schwinden der eigenen Vernunft ist
jeder Zeile anzumerken. Eriksen folgt seinem Erzähler in die
dunklen Tiefen der menschliche Psyche, in denen jede Form von
Skrupel oder Mitleid verschwunden sind.
In Erinnerung bleibt dem Erzähler Z. der erste Nachmittag im
Wald, die Sonne scheint, nichts lässt das Kommende erahnen.
Bis zu jenem Moment, in dem sie vom Kommandanten einen Stapel
Fotos in die Hände bekommen, mit der Maßgabe, sich alles
genau zu betrachten. Auf den Fotos sind die Opfer eines
Massakers der Miliz abgebildet; verstümmelte oder bis zur
Unerkenntlichkeit verkohlte Leichen. Spätestens hier beginnen
die jungen Männer zu erahnen, was sie erwartet.
Viel Zeit vergeht nicht, bis sie ihren ersten Auftrag zu
erledigen haben, nämlich die männliche Bevölkerung eines
Ortes zu eliminieren ...
Eriksens Roman führt den Leser an den Rand seines Verstandes
und mutet ihm, vor allem bei der Beschreibung der
Tötungsprozeduren, eine Menge zu. Sein Stil bleibt jedoch
erstaunlich sachlich und distanziert. Man spürt förmlich das
Entsetzen des Erzählers über die eigenen Untaten, und es es
scheint, als reichten diesem die Worte nicht, um das
Unfassbare zu erklären. "Winter im Morgengrauen"
erzählt auf äußerst intelligente und psychologisch genaue
Weise von der Manipulierbarkeit des Menschen, der, geschickt
manipuliert, bereitwillig seine humanistischen Ideale für
Kriegsherren verrät.
©Torsten Seewitz, 21.08.2002
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