Ich drückte die
Reval aus und beseitigte das
Kratzen im Hals mit einem kräftigen Schluck Kaffee. Dass man
fast vierzig werden musste, um so lange frühstücken zu
können wie man wollte. Leisten konnte ich mir das eigentlich
noch nicht, aber ich tat es dennoch. Die Kündigung vor zwei
Wochen war die längst fällige Zäsur, die den
dahindümpelnden Kahn endlich in ertragreichere Gewässer
umleiten sollte.
Vierzig, das magische Datum. Von da an kam die Rente in Sicht,
auch wenn man die Augen noch so sehr zukniff. Viele atmeten bei
dieser Wendemarke erleichtert auf, zumindest innerlich und dachten
sich, nur noch ein paar Jährchen, vielleicht schon mit
fünfundfünfzig Vorruhestand und dann dolce vita bis die
Knochen bröseln.
Meine Visiereinrichtungen waren schon von Kindesbeinen an auf
andere, außergewöhnlichere Ziele justiert. Ich
träumte von Abenteuern, fremden Ländern und exotischen
Schönheiten und, natürlich, jeder Menge Kohle, um das
alles und was der Planet sonst noch zu bieten hatte, ruhig und
gelassen genießen zu können.
Mit dem Ingenieursdiplom in der Tasche ging's dann auch richtig
zur Sache. Schwarzes Meer, Zentralasien, sogar China; je
verwegener und entlegener, desto besser. Mein Mutterkonzern hatte
vom schlüsselfertigen Kraftwerk bis zum Megastaudamm alles im
Angebot, so dass sich mir jungem Spund genügend Chancen
boten, die persönlichen Grenzen auszuloten.
Doch mit den Jahren stellte sich Ernüchterung ein. Immer
wieder die gleichen Arbeitsabläufe, immer wieder die gleichen
nervtötenden Komplikationen. Nur der Anstrich änderte
sich – der Rest öde Monotonie. Der konnte man nur entfliehen,
wenn man ganz nach oben gelangte. Dorthin, wo wirklich noch
Weichen gestellt wurden, doch dazu reichte es nicht. Meine Talente
waren bemessen, so drückte es einmal einer meiner
Vorgesetzten aus, solide, aber bemessen. Ein anderer hätte
sich damit zufriedengegeben und im Mittelmaß
weitergeplätschert, doch das war nicht mein Ding. Besonders
nicht nach der Scheidung von Ulrike.
Das Miststück nahm mich ungeniert aus wie eine
Weihnachtsgans. Vom mühsam aufgebauten Sportwagen bis zur
Ferienwohnung in der Türkei war alles mit Riesenverlusten
durch den Schornstein geblasen worden, nur um diese Schlange und
ihren raffgierigen Anwalt zu saturieren. Nur gut, dass sie zu
frigide war, um Kinder in die Welt zu setzen. Deswegen hatte sogar
ich mich mal untersuchen lassen. Sie sind beide kerngesund, hatte
der Quacksalber getönt, alles nur eine Frage der Zeit.
Ich war trotzdem beschissen genug dran. Dabei war sie von Geburt
an stinkreich. Ihr Vater, eine Koryphäe auf dem Gebiet der
Röntgendiagnostik, hatte ihr zur Vermählung ein
sündteures Cabriolet geschenkt und auch später
nachgelegt, wann immer seiner Supertochter der Sinn nach etwas
stand. Und plötzlich, als der Riss nicht mehr
überbrückbar war, setzte das große Versickern ein.
Über Nacht wurde die Prinzessin auf der Erbse bettelarm. Da
ich gegen die Anwälte der ehrenwerten Familie nicht den Hauch
einer Chance hatte, musste ich in den sauren Apfel beißen.
Zahlemann und Söhne war angesagt, bis zur Vergasung.
Doch die Herrschaften irrten, wenn sie glaubten, in mir den alles
schluckenden Dukatenesel gefunden zu haben. Sie ahnten nicht, wie
weit ein entschlossener Betrogener gehen konnte, um zu seinem
Recht zu kommen. Es gab auch andere Mittel und Wege als den dicken
Scheck. Direktere und dreckigere, aber nicht minder wirksame.
Ob es nur ein Zufall war, dass ich kurz nach der
Scheidungsverhandlung Murad, einen Studienkollegen aus den guten
alten berliner Zeiten, getroffen hatte? Die Wut und der sich
himmelhoch auftürmende Hass fanden durch diese Begegnung
rasch Bahn und Richtung. Brodelnde Emotionen verwandelten sich in
berechnendes Kalkül. Die Rache biblischen Ausmaßes
endete nicht mehr zwangsläufig hinter schwedischen Gardinen.
Der Horizont klarte auf und die ganze Misere erschien
plötzlich als Chance zur radikalen Erneuerung.
Murad war genau der Mann, auf den ich gewartet hatte. Sein Vater,
der berühmt berüchtigte Ibn Kasser herrschte mit harter
Hand über das am persischen Golf gelegene Königreich
Arkan. Murad war zum Studieren nach Deutschland geschickt worden,
um später zu Hause die rücksichtslose Industrialisierung
als geschulter Fachmann mit vorantreiben zu können.
Er war hochintelligent und bekam sein Diplom eineinhalb Jahre vor
mir. Wir hatten uns auf Anhieb gut verstanden und so manche Nacht
in Kreuzberg durchzecht. Der gläubige Moslem wurde bei
derartigen Gelegenheiten einfach an der Garderobe abgegeben. Und
diese Burschen gaben sich nicht mit Alkohol zufrieden. Konsumiert
wurde alles, was der Markt hergab. Mit einer
Selbstverständlichkeit, die wohl nur Orientalen zu eigen
ist.
In Arkan bekleidete er einen hohen Rang beim Geheimdienst. Das
hieß hauptsächlich Bekämpfung der
Oppositionsgruppen, mit allen Mitteln selbstredend. Mehr als
einmal war ich während meiner Stippvisiten seinen Einladungen
in die Verhörzentren gefolgt. Was dort ablief, spottete jeder
Beschreibung. Ein Gestapooffizier hätte derartige Methoden
abgelehnt. Die Überreste der Arrestanten konnten des
öfteren in einem mittleren Eimer abtransportiert werden.
Obwohl mich Murad schonend, soweit möglich, in die
Geheimnisse der arkanischen Verfahrensweise einführte, blieb
bei mir ein schaler Nachgeschmack zurück, auch heute
noch.
War das notwendig, um den Staat, die Ibn Kasser Dynastie zu
schützen? Notwendig vielleicht, aber nach westlichen
Maßstäben nicht mehr vertretbar. Nach westlichen
Maßstäben, genau das war der springende Punkt. Ein
arabischer Herrscher saß nur fest im Sattel, wenn er den
ungehorsamen Untertanen mit eiserner Knute auf den Pelz
rückte. Sanftmut und Mitgefühl waren Attribute für
die Weiber im Harem.
So was hielt sich der alte Kasser selbstverständlich auch.
Murad brachte mich auch dort auf den Geschmack.
Was heißt auch, nein, ein begeisterter Folterknecht bin ich
trotz Murads Anstrengungen nie geworden. Das war wirklich nur als
Sadist erträglich oder wenn man mit Inbrunst an Kassers
Mission glaubte. Das tat ich nicht, jedenfalls nicht ohne wenn und
aber, doch ich muss zugeben, dass mich der Mann faszinierte. Er
hatte sich von ganz unten aus einer Tagelöhnersippe heraus
nach ganz oben gearbeitet. Das war keine geringe Leistung in einem
Landstrich, der seit Jahrhunderten von einigen wenigen Familien
dominiert wurde. Wer unten saß, hatte gefälligst unten
zu bleiben.
Kasser belehrte sie eines Besseren. Jetzt stammten fast alle
Minister aus seinem Clan. Außerdem ließ sich Ibn
Kasser auch nach seiner Machtübernahme außenpolitisch
nie völlig vereinnahmen, weder von den Amis noch von den
Russen. Er bediente sich ihrer nur, wenn er Waffen brauchte, um
seine Großmachtsgelüste an seinen Nachbarn auszuleben.
Da das nicht selten der Fall war, trat er fast nur noch in Uniform
auf , als der immer gewappnete Protektor des Vaterlands.
Dann natürlich sein Stil: die herbe, unheimlich
männliche Brutalität, die auch bei jeder noch so gut
vorbereiteten Fernsehansprache nicht weg retuschiert werden
konnte. Man wusste immer, dass mit dem Mann nicht gut Kirschen
Essen war. Einfach beeindruckend.
Diesem Mann und
diesem Regime sollte ich mich
ausliefern, dort eine Funktion übernehmen und alle
Brücken hinter mir abbrechen. Murad hatte mir genau das nach
unserem ersten gemeinsam auskurierten Kater vorgeschlagen. Dem
Köder war ich damals halbtrunken ein paar Längen
hinterhergetorkelt, ähnlich einem übersatten Hecht, bei
dem nur kurz die Reflexe die Bewegungssteuerung übernahmen,
doch geschluckt hatte ich ihn erst nach der Sache mit Ulrike, nach
dem Zusammenbruch meiner Welt.
Es war nicht allein der physische Schmerz wegen des
Betrogenwordenseins; ich kam nebenbei bemerkt nur zweimal im Jahr
für je drei Wochen nach Hause und befriedigte die
zwischenzeitlich anfallenden Bedürfnisse vor Ort mit
Kolleginnen oder einheimischen Prostituierten. Mir ging es mehr um
das Materielle, um das über den Tisch gezogen werden von
dieser verlogenen Bourgeoisiesippschaft, die einen zertrat wie
eine vorwitzige Kakerlake.
Vielleicht wären meiner Sehnsüchte nach einer anderen,
abwechslungsreicheren Daseinsform auch doch noch eingeschlafen.
Wenn Ulrike mir nicht derart in den Rücken gefallen
wäre. Ich drücke es so aus, weil ich es so empfinde.
Eine Feministin würde dazu wahrscheinlich sagen:Gleiches mit
Gleichem vergolten, aber die mussten sich ihr Kleingeld nicht im
Ausland, auf harter Montage verdienen. Die wussten nicht, was es
hieß, sechs Tage in der Woche mindestens zwölf Stunden
lang Dreck fressen zu müssen, fernab der gewohnten
umsorgenden Infrastruktur. Wenn da ein Mann ab und zu ein bisschen
schwach wurde...mein Gott, das war doch noch lange kein Grund,
sich ernsthaft mit so einem Typen einzulassen.
Geschenkt. Es war geschehen und ich wusste nun, wie ich darauf zu
antworten hatten. Murad hatte mir nach unserem letzten Treffen
versprochen, sich umgehend zu melden. Dieses Versprechen machte er
heute wahr. In der Post befand sich ein Brief von ihm. Aus
Arkan.
Ich schenkte mir Kaffee nach und steckte mir eine weitere
Zigarette an. Noch nie hatte von einer Nachricht so viel
abgehangen. Ich öffnete das blaue Kuvert mit dem Brotmesser.
Schon umspielte ein Duft aus Tausend und einer Nacht meine
empfangsbereiten Sinneszellen. Murad, der Fuchs, wusste genau, wie
er mich einseifen konnte. Ohne ein Wort gelesen zu haben, war ich
ihm schon verfallen. Bereit, auf alle Forderungen einzugehen. Das
musste ich auch, denn Murad hatte schon mehrfach angedeutet, dass
ich für meine 'Aufenthaltsgenehmigung' eine Art
Eintrittspreis zu entrichten hätte. Dessen Ausformung erahnte
ich schon.
Eine von Murads besonderen Stärken war das Erkennen der
Absichten seines Gegenübers, auch wenn sie sich noch so tief
hinter seiner Stirn befanden. Er würde also etwas verlangen,
was sich mit meinen Plänen deckte.
Ich überflog hurtig die üblichen
Begrüßungsfloskeln...alter Freund, auf ewig ins Herz
geschlossen, werde weiterhin alles für dich tun...nur Blabla
konnte man fast sagen und suchte weiter nach einer klaren
Botschaft. Doch ich fand sie nicht, war blitzartig am Ende
angelangt und hatte nichts Konkreteres in der Hand als ein Date am
Freitag Abend in dem von ihm bevorzugten Hotel in Frankfurt. Ich
fing noch mal von vorne an, im Glauben die Botschaft einfach
überlesen zu haben. Doch auch beim dritten und vierten
Versuch fand ich nichts, Murad wird es mir verzeihen, außer
arabischen Salbaderns.
Was sollte das? Er hatte mir doch versprochen,
einen Plan auszutüfteln, bei dessen Verwirklichung sich all
meine Probleme in Luft auflösen würden. Oder hatte ich
ihn überschätzt und seine Andeutungen schlichtweg
mißverstanden?
Nein, unmöglich, bei dem, was ich von ihm wusste, war absolut
klar, dass es für ihn keinerlei moralische Schranken gab. Der
alte Kasser hatte ihn sicherlich schon als Kleinkind Exekutionen
beiwohnen lassen. In der Richtung konnte nichts anbrennen.
Einfaches Vergessen und Verdrängen kam ebenfalls nicht in
Frage. Das vertrug sich nicht mit seinem Ehrbegriff, von dem sich
in der Beziehung so mancher Bundeswehroffizier eine Scheibe
abschneiden konnte. Hatte man einmal sein Vertrauen und seine
Zuneigung gewonnen, war er treu und ergeben wie ein
Schäferhund.
Trotzdem, der Brief enthielt keine verbindliche Direktion, nur
Floskeln. Ich legte ihn ins Kuvert zurück und inhalierte
tief. Er hatte sich dabei doch etwas gedacht. Ich drehte den
Umschlag um und betrachtete die kunstvoll geschnörkelten
Buchstaben des Absenders. Da fiel der Groschen. Murad war der Sohn
eines weltbekannten Diktators, Angehöriger eines
gegenerischen Dienstes und bestimmt kein unbeschriebenes Blatt
beim BND. Wie sollte er da ganz offen höchst
verfängliche Botschaften per Post weitergeben können,
ganz mir nichts dir nichts? Was war ich nur für ein Gimpel.
Als ob wir uns früher alles einfach so geschrieben
hätten. Er wollte mir seine Vorstellungen
selbstverständlich persönlich, in intimer
Atmosphäre mitteilen, so dass nicht dutzendweise Staatslaffen
mitinformiert wurden. Wie man nur so gewaltig auf der Leitung
stehen konnte. Man durfte solche Dinge eben nicht zu hitzig
angehen.
Das war also geklärt. Bis Freitag. Blieben noch drei Tage,
oder? Leider war meine Uhr schon letzte Woche stehengeblieben. Nix
mehr mit Datums- und Wochentagsanzeige. Wie schnell man doch
nachlässig werden konnte. Oh Murad, wo würde ich ohne
dich enden?
Ich hatte Glück. Auf einem der heute zugestellten
Werbeblättchen war auch der Wochentag angegeben. Also
Dienstag, ich hatte mich nicht getäuscht. Nach dem
Abspülen stand sofort ein Vorsprechen beim Uhrmacher zwecks
Batteriewechsel auf dem Programm. Ich schätzte, dass ich in
nächster Zeit unbedingt auf die Dienste der Casio angewiesen
war. Staub, Dreck und Erschütterungen hatte sie immer
erfolgreich widerstanden, nur das Wasser scheute sie seit einigen
Monaten. Vielleicht konnte man das auch gleich miterledigen. Falls
wirklich ein Einsatz nach Rambomanier auf dem Programm stand.
Murad, diesem alten Barrasknochen, war auch das zuzutrauen. Was
mir wohl sonst noch in seinen Fängen bevorstand, nach
bestandener Aufnahmeprüfung?
Ich muss zugeben, dass sich ganz hinten in meinem
Oberstübchen auch so etwas wie leise Bedenken regten, wenn
ich den weiteren Ablauf meines Daseins überriss. Der Kasser
Clan war bei aller Faszination immer für Überraschungen
aller Art gut, eben auch unangenehmen. Wer konnte schon
ausschließen, dass eines schönen Tages wieder die
Gelegenheit beim Schopf gepackt wurde und man aus nichtigem Anlass
einen Krieg vom Zaun brach, trotz allen vorangegangen negativen
Erfahrungen? In den Natostäben saßen schließlich
auch Vollblutmilitärs, die darauf brannten, ihre
Fähigkeiten abseits vom Reißbrett, quasi am lebenden
Objekt, unter Beweis zu stellen. Und ich hockte dann mittendrin,
suspekt, weil Ausländer, womöglich unter Arrest, als
lebendes Schutzschild an eine kriegswichtige Einrichtung
gekettet...
Blödsinn, das zu vermeiden, lag ausschließlich in
meiner Hand. Ich meine, meine Loyalität zu beweisen. Der Rest
stand wohl wirklich auf einem anderen Blatt. Wenn man beim Poker
allerdings nichts riskierte, konnte man auch nichts gewinnen.
Schwarzer Peter hatte ich lang genug gespielt. Die Würfel
waren also gefallen. Philosophische Erwägungen konnte ich
immer noch mit siebzig vornehmen, da lief mir nichts davon.
Ich erledigte den Abwasch und fuhr anschließend in die
Stadt, um Punkt für Punkt auf meiner Strichliste abzuhaken:
Uhr, Zahnarzt, Kleidung, Versicherungen, Karten (von Arkan, um
mich mit der Topographie vertrauter zu machen) und noch etliche
andere Sachen. Ehe ich mich versah, schlossen die Geschäfte.
War eigentlich auch nicht verwunderlich, denn man wanderte
schließlich nicht jeden Tag aus.
Die Ladentische bogen sich förmlich unter den angebotenen
Waren. Würde ich auch das vermissen? Arkan-City zählte
zwar fast zwei Millionen Einwohner, doch damit konnte es nicht
aufwarten, auch nicht in den abgeschotteten Nobelvierteln. Die
High Society jettete zum Shopping nach Paris oder New York, der
Rest musste sich in den Slums mit den Krümeln bescheiden.
Eines fragte ich mich schon lange. Konnte Ibn Kasser nichts gegen
das Massenelend in seinem Staat tun oder wollte er es nicht? Seine
großen historischen Vorbilder hatten sich nicht derart
lumpen lassen. Sie verwandelten ihre Imperien in blühende
Reiche, in denen nicht nur die Wissenschaften zu
Höhenflügen ansetzten, sondern auch fürs Volk Milch
und Honig flossen.
Öl sprudelte zumindest reichlich in Kassers Land. Die
vergleichbar ausgestatteten Nachbarstaaten machten jedoch mehr
daraus. Bei ihnen fielen davon weitaus größere Brocken
fürs Volk ab. Auch wenn man berücksichtigte, dass Kasser
mit rigiden Handelssanktionen regieren musste, blieb es
zweifelhaft, ob je die Sorge um das Wohlergehen des kleinen Mannes
die Maxime seines Handels wesentlich beeinflusste.
Über sein Privatvermögen kursierten seit Jahren die
wildesten Gerüchte. Zig Milliarden sollten sich seit Beginn
seiner Herrschaft in Schweizer Banksafes angehäuft haben und
ein Viertel vom Erlös jedes geförderten Barrels floss
angeblich in seine Privatschatulle.
Meiner Meinung nach konnte an diesen Spekulationen nicht viel dran
sein, denn warum erzielte Kasser sonst bei jedem Wahlgang derart
eindeutige Ergebnisse? Die Untertanen schienen ihren
Präsidenten jedenfalls nicht unmittelbar mit der erlittenen
Not in Verbindung zu bringen. Oder war alles Kalkül, weil ein
unzufriedenes Volk offensichtlich besser fanatisiert und auf einen
äußeren Feind eingeschworen werden konnte?
Konnte mir eigentlich auch egal sein, denn ich bewarb mich nicht
als Betschwester, sondern als ein Mann, der sich aus den tristen
Niederungen seines Daseins emporheben wollte, als ein Soldier of
Fortune, ein Glücksritter, dessen Motivation
hauptsächlich im materiellen Bereich, weit abseits von
weltverbesserischen Neigungen, wurzelte. Zudem schätzte und
vertraute ich Murad; das war eigentlich alles.
Ich beschloss, mich nicht länger mit kleinkarierten
Überlegungen zu belasten und brauste nach zwei Tassen Kaffee
zurück nach Hause. Was sonst noch anfiel, erledigte ich an
den beiden folgenden Tagen. Alles verlief
erwartungsgemäß und ohne größere Probleme.
Es gelang mir sogar, die gut versteckten Sparbriefe ohne
schmerzliche Zinsverluste aufzulösen. Freitags startete ich
frühzeitig mit leichtem Gepäck und erreichte gegen halb
zehn Frankfurt.
Murad schätzte diese Stadt nicht nur wegen der geballten
Bankenpräsenz, sondern auch wegen der unzähligen
Möglichkeiten, sich schnell und einfach mit Drogen versorgen
zu können. Der alte Kasser war mit Murads Ausschweifungen
ganz und gar nicht einverstanden, doch es blieb ihm nichts anderes
übrig, als zähneknirschend über sie
hinwegzusehen.
Schließlich
war Murad sein effizientester
Spross, der es wie kein anderer verstand, Tradition und Moderne zu
verbinden. Nur er war imstande, frischen Wind ins immer noch
mittelalterlich angehauchte Staatsgebilde zu blasen. Der Rest von
Kassers Brut, wieviele Köpfe sie wirklich zählte, hatte
noch niemand endgültig herausgefunden, übte sich
hauptsächlich darin, Papis Vermögen im Ausland zu
verschleudern oder die Bevölkerung mit peinlichen Aktionen zu
verärgern. Ibn Kasser ließ sich jedoch nicht alles
gefallen. Erst kürzlich hatte er seinen Jüngsten wegen
mehrfacher Trunkenheitsfahrten öffentlich auspeitschen
lassen. Die Extratouren hatten wohlgemerkt vorwiegend in London
und Paris stattgefunden.
Ich parkte den Wagen nach fast einstündiger Quälerei
durch die Innenstadt in der Tiefgarage des Viersternehotels und
streifte mir zur Feier des Tages rasch eine Krawatte mit
aufgesticktem Halbmond über. Murad, wie immer geschniegelt
und gebügelt, quittierte dieses Accessoire mit lautstarkem
Beifall, als ich ihm wenige Minuten später in der VIP-Lounge
um den Hals fiel.
"Bravo, mein Alter. Das ist genau der Geist, den du brauchst, um
in Arkan voranzukommen. Vergiss die ganze Scheiße, die sie
dir in eurem Operettenstaat eingetrichtert haben und saug den
frischen Wind, der in Arkan weht, tief und ungefiltert in deine
prächtigen Lungenflügel. Ernsthaft, du siehst fabelhaft
aus. Nach ein paar Monaten bei uns kann man dich wieder zur
Gattung Mensch zählen."
Er wieherte erneut in seiner unnachahmlichen Art und drosch mir
seine Rechte zwischen die Schulterblätter. Wie er wieder
roch, schlimmer wie ein Hafenpuff in Istanbul. Gott sei dank war
er inkognito, sprich mit gefälschten Papieren und ohne seine
gefürchteten Leibwächter angereist, die derart brutal
vorzugehen pflegten, dass sie auch im rauhen Klima ihrer Heimat
des öfteren unangenehm weit übers Ziel hinausschossen
und bei fast jeder Gelegenheit unvorsichtige Bürger sorglos
dezimierten. Murad focht das normalerweise nicht an, unter
anderem, weil er von sich selbst eine sehr hohe Meinung hatte.
Nicht ganz zu unrecht, wenn man seinen kulturellen Hintergrund,
aus dem er sich emporgehoben hatte, mit in Betracht zog. Aber
unter Berücksichtigung der besonderen Umstände hatte er
heute auf Begleitschutz verzichtet. Ich musste nur vermeiden, ihn
mit seinem richtigen Vornamen anzureden. Insbesondere das
Schlagwort Kasser durfte auf keinen Fall durch die Gegend
trompetet werden. Ich sprach ihn also gemäß einer
früheren Vereinbarung schlicht und einfach mit Achmed an.
Aber natürlich war ein Mann von Murads Zuschnitt nicht nur
den Staatsschützeren suspekt. Er dürfte auch den Argwohn
anderer Abteilungen, zum Beispiel den der Drogenfahnder, erregt
haben. So musste allgemein mit großer Vorsicht agiert
werden.
"Wie sich dein Schnauzer wieder zwirbelt. Oh la la, da steckten
bestimmt die blonden Stewardessen dahinter. (Eine davon hatte er
tatsächlich schon mal auf der Bordtoilette durchgezogen, ganz
ohne monetäre Aufmunterung). Da sag mir noch einer was gegen
die deutschen Fräuleins. Gib's zu, du kommst nur deswegen so
oft zu uns rauf."
Meine Bemerkung veranlasste ihn, wieder loszuprusten. Der
Barkeeper stellte mir unaufgefordert einen Whisky hin und
signalisierte unauffällig die vierte Lage. Murad ließ
es also von Anfang an richtig krachen. Was er sich sonst noch
eingepfiffen hatte, wollte ich gar nicht wissen. Wenn es mir nicht
gelang, ihn zu bremsen, waren wir blitzschnell in den
übelsten Spelunken versumpft. Ohne dass mein Anliegen
erörtert worden wäre. Geschäft und Amüsement
wusste Murad immer peinlich genau zu trennen. Ob er nicht schon
alles vergessen hatte, was ich ihn beim letzten Treffen ans Herzen
gelegt hatte?
Ich stieß
heftig mit ihm an und
verschüttete absichtlich ein paar Spritzer über sein
sündteures Jackett.
"Oh du Bauer. Bekommt er einmal was Anständiges zu trinken,
fängt er zu tattern an wie ein Wermutbruder, der seit drei
Tagen trocken ist. Wie geht's eigentlich deiner Alten, der kleinen
Schlampe? Vögelt sie immer noch in der Weltgeschichte rum?
Wenn du nicht so ein guter Freund wärst, würde ich sie
vielleicht gelegentlich beackern."
Wieder Wiehern. Gut, dass er von alleine auf den Punkt gekommen
war. Das vereinfachte die Prozedur wesentlich, denn nichts
verabscheute ein Orientale mehr als unsere tumbe Direktheit. Ich
legte meinen Zeigefinger auf die Lippen.
"Nicht hier, da hören mir zuviele neugierige Ohren mit. Lass
uns nach da hinten ins Eck verschwinden und die Sache kurz und
bündig regeln. Du kommst heut' schon noch zum Zug."
Murad schüttelte grinsend den Kopf. Klar, wegen einer Tussi
soviel Aufhebens machen, das verstand er in tausend Jahren nicht.
Die bei ihm ausgedient hatten, konnten von Glück sagen, wenn
sie nicht den Haien zum Fraß vorgeworfen wurden. Murad, der
Teufel, fütterte für solche Anlässe an einer
abgelegen Mole die netten Tiere regelmäßig an.
Angeblich sogar mit Menschenfleisch, so dass die Biester nichts
mehr anderes anrührten und die verschmähten Jungfern
gierigst erwarteten.
Er folgte mir, allerdings nur nachdem er sich eine Flasche Jack
Daniels unter den Arm geklemmt hatte. Für ihn war und blieb
es eine Vergnügungsfahrt, auch wenn ich noch so oft zeterte.
Ich lotste ihn in die abgeschirmteste Nische des Raums und
plazierte einen ausladenden Blumenstrauß auf unserem
Tischchen, zur endgültigen Tarnung sozusagen. Murad fasste
sofort die stramme Bedienung ins Auge und begann mit einer
Margerite das 'Sie liebt mich, sie liebt mich nicht Spielchen'
.
"Achmed, du bist ein richtiger Scheißkerl. Obwohl du genau
weißt, wie tief ich in der Scheiße stecke,
schüttest du dich unkontrolliert zu und unternimmst alles, um
die Aufmerksamkeit von irgendwelchen Staatsbubis auf uns zu
lenken. Und du weißt, was los ist, wenn du auffliegst. Unter
zehn Journalisten geht die Chose nicht ab, trotz der
gefärbten Haare und den Kontaktlinsen."
Meine Vorwürfe schienen ihn nur zu belustigen. Er grinste
noch breiter und zündete sich eine seiner ägyptischen
Zigaretten an.
"Und du willst mein Freund sein. Du kennst nicht mal meine
richtige Augenfarbe. Beim letzten Meeting trug ich Linsen, nicht
heute. Meine Haare sind geölt, nicht gefärbt, du
Flasche. Das erlebst du nicht, dass ich grau werde! Aber bitte,
lass uns zur Sache kommen, bevor dir noch einer abgeht. Das
versteh ich bei euch Europäern übrigens überhaupt
nicht. Ihr legt die halbe Welt innerhalb weniger Jahrzehnte
zweimal in Klump und Asche, erhebt euch wenig später,
schüttelt kurz den Staub von den Schultern und macht so
weiter als ob nichts gewesen wäre. Wenn euch aber eure
Schnepfen ablinken, gibt' s Aufstände wie beim Einfall der
Hottentotten. Gerade dir hätte ich eigentlich mehr
zugetraut."
Sagte er mir eiskalt ins Gesicht. Wenn er dabei nicht so fies
gelächelt hätte, wäre ich sofort aufgestanden und
gegangen. Der Sauhund wollte mich nur provozieren, das alte
Spiel.
"Trotzdem werde ich dir ein bisschen unter die Arme greifen.
Allerdings nur, wenn du willst. Willst du?"
Bei dieser Frage blitzten seine Augen kurz diabolisch auf. Das
verhieß nichts Gutes. Ich nickte trotzdem.
"Gut. Du brauchst dich allerdings gar nicht so zu zieren. Ich
werde nur das arrangieren, was dir deine lächerlichen Skrupel
nicht erlauben. Deine kleine Ziege wird beseitigt und du setzt
dich nach Arkan ab, natürlich vorher. So wird dir keiner
einen Strick draus drehen können."
Ich schluckte, auch wenn er recht hatte. Ich würde Ulrike
keine Träne nachweinen. Dazu hatte sie mich zu tief
gekränkt. Wenn er mir die Dreckarbeit abnehmen wollte, umso
besser.
Ich hatte geahnt, dass er mir das vorschlagen würde und
deshalb bereits die Folgen durchkalkuliert. Meine finanziellen
Sorgen wären zwar auf einen Schlag gelöst, doch Murad
würde mich dafür immer in der Hand haben. Was konnte
mich schließlich verdächtiger machen als ein spurlosen
Verschwinden kurz nach der Ermordung meiner Exfrau, an die ich auf
unbestimmte Zeit ein stattliches Sümmchen zu überweisen
hatte. Logische Konsequenz daraus: lebenslängliche
Interpolfahndung, weil auch die Bullen wussten, dass ein Killer,
der den Job erledigte, wenn ich längst über alle Berge
war, für ein paar Riesen zu haben war. Und wenn ich einfach
so verschwand, ohne mich an Ulrike derart rabiat rächen?
Der einfache, weiche Weg, weil wegen nicht geleisteten
Unterhaltszahlungen keine Supercops nach Arkan einsickerten. Der
Weg, der jederzeit ein Umkehren möglich machte, wenn das
Pflaster am Golf zu heiß wurde. Genau deswegen fiel er
flach. Denn Murad hatte sich ebenfalls seine Gedanken gemacht,
auch wenn er sich noch so ausgelassen gab. Für ihn kamen
keine faulen Kompromisse in Frage, nicht im Geringsten. Mein
Rubikon war also mit der Ermordung Ulrikes identisch. Ich hatte
ihn bereits überschritten.
"O.k. Wie willst du die Sache erledigen?" fragte ich entschlossen
mein Gegenüber.
Murad füllte erleichtert die Gläser und prostete mir
zu:
"Ich ahnte, dass du noch zu Vernunft kommst. Überlass die
Kleine mir. Als Gastgeschenk sozusagen..."
Nein, das galt es zu verhindern. Ich wusste, wozu er fähig
war.
"Ich will wissen wie. Ich werde nur zustimmen, wenn es kurz und
schmerzlos über die Bühne geht. Also?"
Murad verschluckte sich. Das war typisch deutsch. Die Alte
kaltschnäuzig erledigen lassen, aber vorher penibel die
Modalitäten aushandeln, nach dem Motto schließlich sind
wir keine Barbaren. Er erklärte:
"Du bibberst grundlos. Sie ist nicht unbedingt mein Typ. Zu Tode
vögeln werde ich sie also bestimmt nicht. Einer meiner Leute
steigt in ihre Wohnung ein und mischt ein Pülverchen in den
Kaffee...oder Zucker. Das Ganze wird dann so aussehen wie ein
Herzanfall. Wenn wir den richtigen Doc für den Totenschein
erwischen, wird die Sache wasserdicht. Gebongt?"
Gift! Ich hätte es mir denken können. Nicht weil er
besonders human vorgehen wollte, sondern weil er mich so
einschätzte. Etwas Aufregenderes traute er mir einfach nicht
zu. Ich umklammerte seine Handgelenke und sagte:
"Es soll so geschehen. Von diesem Augenblick an, lenkt Allah meine
Schritte."
"So sei es. Ich verspreche dir bei allem was mir heilig ist, dass
du diesen Entschluss niemals bereuen wirst. Wir werden für
dich ein adäquates Betätigungsfeld finden. Vielleicht
sogar im Technologieministerium. Also keine Bange. Und nun lass
uns fröhlich sein und feiern."