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Freeman, CastleDer Klügere lädt nachOriginaltitel: Old Number Five
Verfügbarkeit: Portofrei 19.00 € Unsere Meinung:Ich bin der County Sheriff in unserem Tal. Ich mag meine Arbeit. Unser Tal ist ein schönes Tal. Es ist ein gutes Tal. Und es ist ruhig, meistens. Die Leute denken, ich tue nichts. Aber es gibt Menschen, die nichts tun, und andere, die auch nichts tun, das aber richtig. Und die Letzteren braucht man überall, und sei es nur, damit sie dem einen oder anderen ab und zu einen kleinen Stubs geben oder die richtige Stelle zur rechten Zeit mit einem Tropfen Öl versehen. Der Sheriff kann stubsen. Der Sheriff hat ein Ölkännchen.
(Seite 8) --- Mannomann. Hut ab! Das ist so gut, da bleibt einem schier die Spucke weg. Von Castle Freeman sind inzwischen drei Krimis auf Deutsch erschienen, alle bei Nagel & Kimche, und sein erster, „Männer mit Erfahrung“, jetzt auch als Taschenbuch bei dtv. Sein zweiter, „Auf die sanfte Tour“, und sein neuester dritter, „Der Klügere lädt nach“, haben Sheriff Lucian Wing als Hauptfigur und Ich-Erzähler. Alle drei sind Kleinode der Kriminalliteratur, verfasst von einem souveränen, reifen, abgeklärten Autor. Da ist kein Wort zu viel und alles passt genau, alles ist so scheinbar lässig erzählt und mit jeweils genau der richtigen Art und Dosis von Humor oder Ironie, dass er damit ebenbürtig neben den besten Büchern eines Elmore Leonard oder Donald Westlake bestehen kann und wir nur hoffen können, dass uns dieser inzwischen über 70-jährige Autor noch eine ganze Weile schreibend erhalten bleibt. „Der Klügere lädt nach“ kommt anfangs episodenhaft daher, später fügt sich dann alles zusammen. TV-Serienjunkies erinnert das vielleicht an die Struktur einer Serienstaffel („Longmire“ fiel mir gelegentlich ein), kapitelweise lernen wir da verschiedene Provinzfiguren kennen und erfahren allerlei Provinzgeschichtchen aus ihren Provinzleben. Mal erinnert Sheriff Lucian Wing sich, wie drei Alte ihm in seiner wilden Jugend einen „Denkzettel“ verpassten; mal erzählt er uns, wie er im selbst erbauten Holzhaus, das derzeit nur seine Frau Clemmie mit ihrem Liebhaber bewohnt, ein Fenster repariert und sich dabei mit seinem Kater unterhält; mal stellt er uns seine neue polizeiliche Hilfskraft vor, Deputy und Ex-Marine Olivia Gilfeather, die zu diesem “Auf die sanfte Tour“-Laissez-faire-Sheriff passt wie die Faust aufs Auge. --- War ich froh, einen weiblichen Deputy zu haben? Ich gestehe, ich war nicht froh. Ich war so was nicht gewöhnt. Aber leider hatte ich keine andere Wahl. Seit fast einem Jahr fehlte uns ein Deputy. Die Rekrutierung erwies sich als schwierig. Bewerber waren rar. Es war mir ein Rätsel. Man sollte meinen, Tausende intelligente, taugliche, entschlossene junge Männer wüssten nichts Schöneres, als bei Wind und Wetter in klapprigen alten Crown Victorias über die Berge und durch die Wälder zu fahren, verzweifelte, berauschte, verrückte, wütende Menschen in allen möglichen Extremsituationen kennenzulernen, den größten Teil ihrer Ausrüstung selbst zu bezahlen, regelmäßig Zehn- bis Zwölf-Stunden-Schichten zu schieben und dafür ein Gehalt zu kassieren, das in Sichtweite des Mindestlohns lag. Man sollte meinen, sie würden sich drum reißen, oder? Aber was soll ich sagen? Sie tun‘s nicht. (Seite 68) --- Es menschelt sehr, in Castle Freemans Appalachen-Kleinstadt und -Waldlandschaft in Vermont, einem Neuenglandstaat zwischen Massachusetts und Kanada. Ähnliche amerikanische Krimiprovinzen kennen wir – härter, ernsthafter – aus den Romanen von Daniel Woodrell („Winters Knochen“), Brian Panovich („Bull Mountain“) und Tom Bouman („Auf der Jagd“), oder – lustiger, hemdsärmeliger erzählt – aus Lansdales Texas-Krimis oder Joan Hess‘ Maggody-Serie. Doch bei Freeman rutscht das Ganze weder ins Nette ab noch ins Komödiantische noch in Country-Noir-Klischees. Irgendwann merken wir, dass es in diesem so wunderbar weisen und verschmitzt witzigen kleinen Roman um eine Art von Selbstjustiz geht. Um alte Männer im Hintergrund, die das Gesetz, Recht und Ordnung manchmal auf brutale Weise selbst in die Hand nehmen, woran unser lieber Sheriff Wing nicht so ganz unbeteiligt ist, wie es den Anschein hat. Und da hört der Spaß auf, bleibt dem Leser das Lachen im Hals stecken, bleibt man am Ende zugleich lächelnd und nachdenklich zurück. --- Wingate rauchte seine Zigarre. Nach einer Weile sagte er: „Die Leute haben komische Vorstellungen von kleinen Städtchen wie unserem hier. Weißt du das? Sie denken, dass hier nie irgendwas schiefgeht oder ins Schleudern kommt. Und wenn es dann doch mal passiert, wenn es zu einer Situation kommt, dann regelt sich das von selbst. Das denken die Leute.“ „In neun von zehn Fällen stimmt das auch“, sagte ich. „Na ja“, sagte Wingate, „eigentlich nicht. Situationen regeln sich nicht von selbst, wie von Zauberhand. Sie regeln sich von selbst, weil es Orte gibt wie die Hütte, könnte man sagen, weil es Leute gibt wie die Leute in der Hütte, wie uns, Leute, die tun, was getan werden muss, und es, wenn es getan ist, auch aushalten können. Solche Leute werden selten.“ (Seite 200) --- Drei Schlussbemerkungen. Auch vor dem Übersetzer Dirk van Gunsteren (und dem Lektorat) ziehe ich meinen Hut. Und ich gratuliere zum lustigen deutschen Buchtitel; der Originaltitel „Old Number Five“ spielt wohl auf das fünfte Gebot an, könnte also mit „Das alte Fünfte“ übersetzt werden. Und ich kann nur wärmstens empfehlen: Castle Freeman kaufen, lesen, verschenken! RS / 09.02.2018 ![]() |