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Kultur Goldener Brief blieb in der Leibniz Bibliothek lange unbeachtet
Nachrichten Kultur Goldener Brief blieb in der Leibniz Bibliothek lange unbeachtet
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20:35 07.01.2011
Von Thorsten Fuchs
250 Jahre lang lag der ­goldene Brief an König Georg II. ungelesen in der Leibniz Bibliothek – jetzt soll er erstmals öffentlich präsentiert werden. Quelle: dpa
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Die Überraschung ist gelungen: Seit die Leibniz Bibliothek am Jahresende die Einladung zur ersten öffentlichen Präsentation des goldenen Briefes des birmanischen Königs Alaungphaya an den englisch-hannoverschen König Georg II. verschickt hat, kann sich Direktor Georg Ruppelt vor Interviewbitten kaum retten, vor allem aus England und Asien – die jüngste Anfrage kam aus Kambodscha.

Das Interesse ist verständlich: Ein Brief aus fast reinem Gold, besetzt mit 24 hochkarätigen Rubinen, verpackt in einen ausgehöhlten Stoßzahn eines indischen Elefanten. Schon der materielle Wert, den die Bibliothek mangels genauerer Untersuchung bislang nur mit „immens“ angibt, dürfte enorm sein. Übertroffen wird er allerdings noch von der historischen Bedeutung. Laut Jacques Leider von der École française d’Ex­trême-Orient, der den Brief in den vergangenen Jahren untersucht hat, handelt es sich um das „einzige bekannte Manuskript dieser Art“. Die Welt staunt, und Hannover wundert sich: Dieser Schatz liegt bei uns in diesem unscheinbaren Siebziger-Jahre-Bau an der Waterloostraße? Und 250 Jahre lang hat es niemand so recht bemerkt?

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Tatsächlich regt diese Wiederent­deckung des goldenen Briefs zu Fragen an: Hat die Landesregierung von diesem Schatz in der Landesbibliothek gewusst? Der Sprecher von Kulturministerin Johanna Wanka (CDU) schweigt und verweist auf den 18. Januar, an dem der Ministerpräsident zur Präsentation kommt. Dirk Toepffer, Landtagsabgeordneter und hannoverscher CDU-Chef, zählt sich zu den Anhängern der Bibliothek. Auch er räumt jedoch ein, dass das Auftauchen dieses Briefs bei manchem Zweifel wecken kann: „Da fragt sich jetzt natürlich jeder: Was mag denn da wohl noch vergessen in den Beständen liegen?“ Die SPD-Kulturexpertin im Landtag, Daniela Behrens, hat den goldenen Brief zum Gegenstand einer Anfrage im Wissenschaftsausschuss gemacht: „Warum“, will sie wissen, „schlummerte dieses bedeutende Dokument der Kolonialgeschichte so lange im Verborgenen?“

Steckt also hinter dieser erfreulichen Wiederentdeckung im Grunde die Geschichte eines großen Versäumnisses, gar eines Skandals? Ja, durchaus. Sogar aus zwei Gründen. Sie haben nur beide nichts mit der Arbeit der Bibliothekare und des Direktors zu tun, dafür umso mehr mit europäischer Arroganz und einer hannoverschen Schwierigkeit, ein Bewusstsein für und Stolz auf die eigene Geschichte zu entwickeln.

Grund eins führt ins 18. Jahrhundert. Alaungphaya, Begründer einer Dynastie, die in Birma bis 1886 herrschte, ehrgeiziger Herrscher eines aufstrebenden Reiches, erhoffte sich von einer engeren Bindung an England strategische Vorteile. In seinem Brief bot er Georg II. und der East Indian Tea Company 1756 einen befestigten Handelsstützpunkt an. Ein großzügiges Angebot, das den Engländern einen wichtigen Vorteil in der Kolonialkonkurrenz mit Frankreich hätte verschaffen können.

Als der Brief 1758 in London eintraf, waren England und Frankreich aber längst viel mehr mit dem Siebenjährigen Krieg als mit Eroberungen in Asien beschäftigt. Alaungphaya, der dem Brief zwei Übersetzungen ins Englische beigefügt hatte, erhielt nie eine Antwort. Der Welfe Georg II. leitete den Brief stattdessen umgehend an seine Heimatbibliothek nach Hannover weiter. Ein Akt des Hochmuts, der die englisch-birmanischen Beziehungen auf Jahrzehnte hinaus schwer beschädigte. In Hannover kam der Brief dann mit der falschen Erklärung an, es handele sich um den Brief eines lokalen indischen Herrschers, der aus religiösen Gründen kein Fleisch isst und Feuer anbetet. Mit diesen „Informationen“ kam der Brief hier in den Tresor. Bis ins Jahr 2006 blieb er ungelesen. Lange ahnte niemand die wahre Bedeutung.

Grund Nummer zwei hat mit der Geschichte der Bibliothek zu tun. Bis 1866 war sie die Königliche Bibliothek, gerade auch zur Zeit der Personalunion sammelte sie viele bedeutende Stücke. Wie sehr diese große Tradition in Vergessenheit geriet, symbolisiert nichts so deutlich wie der Neubau an der Waterloostraße, in den die Bibliothek 1976 zog. Sie ­erhielt neue Aufgaben, übernahm die Versorgung für die geistes- und die gesellschaftswissenschaftlichen Fachbereiche der Universität, wurde zum modernen Dienstleister. Aber hinter einer solchen Fassade vermutete niemand historische Schätze – und die Beschäftigung mit ihnen gehörte auch nicht zu dem, was das Land und die Öffentlichkeit vornehmlich von ihr erwartete.

Seit seinem Amtsantritt 2002 versucht nun Direktor Georg Ruppelt, wieder ein Bewusstsein für die Geschichte dieser Bibliothek zu wecken. Deutlichster Erfolg war dabei bislang die Aufnahme des Leibniz-Briefwechsels in das Weltdokumentenerbe der Unesco 2007. Der goldene Brief ist für ihn nun ein öffentlichkeitswirksamer Hinweise darauf, „dass wir bis 1866 eine königliche Bibliothek waren“. Das soll auch, wenn nicht von außen, so doch wenigstens innen bald wieder zu bemerken sein: Von 2013 an soll ein neuer Saal in der Bibliothek Bestände der Königlichen Bibliothek zeigen. Auch den goldenen Brief will Ruppelt hier ausstellen.

Dirk Toepffer sieht die Wiederentdeckung des Briefes denn auch „als Bestätigung dafür, dass wir mit unseren Investitionen in den Umbau der Bibliothek richtig liegen“. Der Birma-Experte Jacques Leider kann der langen Missachtung sogar etwas Gutes abgewinnen: „Dass er ,verschwunden‘ und ,vergessen‘ war, hat den goldenen Brief umso besser für die Nachwelt geschützt.“ Alle anderen ähnlichen Briefe seien längst eingeschmolzen und zu Geld gemacht worden. Der hannoversche Brief ist der letzte seiner Art.

Bleiben zuletzt noch die Hannoveraner: Wir müssen uns wohl einfach damit abfinden, dass wir mitten in der Stadt ein paar mehr Schätze beherbergen, als wir bislang dachten – und dass auch in Zukunft durchaus noch weitere wieder ans Licht kommen könnten, wenn sie auch nicht alle golden glänzen.

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