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INGENIEURKARRIERE 1/2011

Stechuhr geht in Vorruhestand

Arbeitszeitmodelle: Vertrauensarbeitszeit findet immer mehr Anhänger - Beliebte Ergänzung zu Gleitzeiten und Arbeitszeitkonten
Unternehmen wie Siemens oder Vodafone entrümpeln ihre Arbeitszeitregelungen und stoßen dabei auf die Vertrau- ensarbeitszeit. Sie soll die Motivation der Mitarbeiter ankurbeln, stößt bei manchen Gewerkschaften aber auf wenig Gegenliebe.

Punkt 8 Uhr am Arbeitsplatz, Schlag 17 Uhr nach Hause und zum Beweis morgens und abends die Stempelkarte drücken – das ist vielleicht bald Schnee von gestern. Immer mehr Arbeitgeber erkennen, dass es nicht in erster Linie darauf ankommt, in welchem Zeitraum sich ein Mitarbeiter im Betrieb aufhält, sondern welche Leistung er schafft.
Das ist der Trend: Weg von den starren Strukturen des letzten Jahrhunderts, weg von Stempel- und Chipkarten und hin zu flexiblen Arbeitszeitmodellen mit Gleitzeiten und Arbeitszeitkonten auf Monats-, Jahres- oder Lebenszeitbasis. Und dann gibt es da noch die Vertrauensarbeitszeit (VAZ), an der sich die Geister scheiden. Viele Firmen sind dafür, viele Gewerkschaftler dagegen, „Zeitsouveränität!“, jubeln die Mitarbeiter, „Unbezahlte Mehrarbeit!“, argwöhnt die IG Metall.
Bei der Vertrauensarbeitszeit wird komplett auf Anwesenheitskontrollen verzichtet. Das Unternehmen vertraut auf die Leistungsbereitschaft seiner Angestellten und die vertrauen darauf, dass sie vom Vorgesetzten nicht mit übermäßiger Arbeit zugeschüttet werden. Es gibt weder eine Zeiterfassung noch eine Zeitkontenführung. Der Mitarbeiter kennt seine Aufgaben und die vertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit, und er entscheidet selbst oder in Absprache mit seinen Kollegen, wann er an seinem Schreibtisch sitzt. „Das ist das Modell der Zukunft“, glaubt Dr. Andreas Hoff, Arbeitszeitexperte und VAZ-Befürworter in Berlin. Für 20 % bis 30 % der deutschen Arbeitnehmer im außertariflichen Bereich sei dies schon heute Realität, denn: „Der feste Arbeitsplatz löst sich auf. Die Menschen arbeiten beim Kunden, zu Hause oder sitzen in Besprechungen. Damit ist die herkömmliche Zeiterfassung am Ende.“
Ein Vorreiter bei der Vertrauensarbeitszeit ist die Siemens AG. Sie führt unterschiedliche Varianten der Vertrauensgleitzeit seit 1993 an solchen Standorten ein, an denen sich die Geschäftsleitungen und Betriebsräte vor Ort darauf einigen. Rund 50 000, also knapp jeder dritte Beschäftigte aller Mitarbeitergruppen bestimmt seine Arbeitszeit selbst. „Der Trend geht dahin, dass alle Betriebe auf die VAZ wechseln“, sagt Heiko Brockbartold, Referent für Arbeitszeitflexibilisierung bei Siemens in München und argumentiert wie Hoff: „Jeder Versuch, Arbeitszeit zu erfassen, scheitert an der modernen Arbeitswelt. Der Mitarbeiter soll zum Gestalter werden und das wollen sie ja auch.“
Von ähnlichen Erfahrungen berichtet Angelika Wiener, Personalleiterin für Verwaltung und Vertrieb bei der Apollinaris & Schweppes GmbH in Hamburg. „Wir haben die Vertrauensarbeitszeit in Kombination mit einer Rahmen-Gleitzeitregelung vor einigen Jahren zunächst für die AT-Mitarbeiter eingeführt. Als die sehr positive Entwicklung erkennbar wurde, haben wir das Modell auf alle übertragen.“ Ohne den geringsten Konflikt mit dem Betriebsrat? „Sicher wurden am Anfang einige skeptische Stimmen laut, aber es hat kein Jahr gedauert bis wir wussten, dass wir dabei bleiben.“ Diese Aussage wird vom Betriebsratsvorsitzenden Dietmar Batke mehr als bestätigt. Er empfiehlt die Vertrauensarbeitszeit unbedingt weiter: „Stempeln hat doch mit Arbeiten nichts zu tun!“
Recht hat der Mann. Jeder kennt Kollegen, die sich morgens lange vor den anderen eingestempelt haben und sich dann die Wartezeit mit der Zeitung verkürzen. Am Monatsende weist ihr Zeitkonto ein dickes Guthaben auf – aber haben sie wirklich mehr als die anderen gearbeitet? Zeiterfassungssysteme zeugen vom Misstrauen der Geschäftsleitung in die Arbeitsbereitschaft und Ehrlichkeit ihrer Mitarbeiter – und laden genau deshalb zum Missbrauch ein. Ein Vertrauensvorschuss bringt letztlich eine höhere Leistungsrendite. Reinhard Keim, Personaldirektor bei Vodafone erklärt den Zusammenhang: „Mit dem Verzicht auf Kontrollen macht die Geschäftsleitung deutlich, dass sie vom Bild des leistungsbereiten und ehrlichen Mitarbeiters ausgeht.“
Gewerkschaften wie der IG Metall ist die Vertrauensarbeitszeit ein Dorn im Auge. Die offizielle Begründung: Sie setze die Arbeitnehmer unter Druck, „freiwillig“ länger zu arbeiten, und sie ließe die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwimmen. Das mag sogar stimmen, aber mehr noch fürchten die Gewerkschaftsfunktionäre wohl den Kontrollverlust, der mit dem Verzicht auf die Erfassung von Arbeitszeiten einher geht. Wie könnten sie dann belegen, dass die Mitarbeiter zu viele Überstunden leisten (müssen)? Trotzdem machen viele Betriebsräte vor Ort mit. 1997 hat die BPW Bergische Achsen KG in Wiehl die große Freiheit eingeführt und nach Wolfgang Berz, dem Vorsitzenden des Betriebsrates, habe sie sich bewährt. Man müsse aber eines dazu sagen, fügt er hinzu: „Vertrauensarbeitszeit funktioniert nur dann, wenn sich eine gute Vertrauenskultur zwischen Geschäftsleitung und Belegschaft entwickelt hat.“
Absolute Voraussetzung dafür, dass die Vertrauensarbeitszeit wirklich für beide Seiten Vorteile bringt, ist eine partnerschaftliche Unternehmenskultur, aber, so Vodafone-Personaldirektor Keim, „auch ein fairer Eskalationsmechanismus für den Fall, dass ein Mitarbeiter überfordert wird.“ Wo die Arbeitnehmer als potenzielle Drückeberger gelten, kann das Modell nicht funktionieren. In einem von Kontrolle und Angst beherrschten Klima werden die Mitarbeiter alles daran setzen, ihre neue Freiheit zum eigenen Vorteil zu verwenden. Reinhard Keim jedenfalls ist fest davon überzeugt, dass sich die Vertrauensarbeitszeit für viele Firmen lohne und zählt die Argumente auf: „Zusätzlicher Aufwand entsteht nicht. Ganz im Gegenteil: Der administrative Erfassungs- und Abrechnungsaufwand wird reduziert, das Unternehmen verzichtet auf motivationshemmende Kontrollmechanismen durch IT-Systeme und unterstützt die Eigenverantwortung der Mitarbeiter. So wird der Vorteil der Disziplin starrer Arbeitszeitmodelle mit dem Vorteil der Flexibilität moderner Strukturen verbunden.“   CHRISTINE DEMMER
www.arbeitszeitberatung.de
www.flexible-unternehmen.de

So macht es Siemens
Am Siemens-Standort Amberg wurde schon Mitte der 90er Jahre die Vertrauensarbeitszeit für Führungskräfte unterhalb der Ebene Leitende Angestellte und Spezialisten eingeführt. Flexibilität und Mobilität der Mitarbeiter sind hier in besonderer Weise gefordert. Kurze Liefertermine, 24-Stunden-Service für Lagerprodukte, hohe Exportquoten und starke Auftragsschwankungen bringen ein hohes Maß an Verantwortung mit sich. Eine von Firmenvertretern und Betriebsrat paritätisch zusammengesetzte Arbeitszeitkommission einigte sich zunächst auf eine 6-monatige Erprobungsphase auf freiwilliger Basis. Der Arbeitszeitrahmen wurde damals festgelegt auf täglich von 0 bis 24 Uhr mit Ausnahme von Sonn- und Feiertagen. Es wurden keinerlei Kontrollen der geleisteten Arbeitszeit angestellt. Auf Anhieb erklärten sich 85 % der angesprochenen Mitarbeiter bereit, an der Testphase teilzunehmen. Nach deren Abschluss ergab eine Mitarbeiterbefragung eine sehr hohe Akzeptanz mit großer Mehrheit wünschten die Mitarbeiter ihre Fortsetzung.   CD

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