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HÄNDLERBEWERTUNGEN
Schlecht bewertet, gut reagiert
Der Streit um Bewertungssysteme spitzt sich zu. Immer mehr Betrugsfälle werden aufgedeckt. Unternehmen tun gut daran, eine Reaktionsstrategie für schlechte Bewertungen zu entwickeln
Das System Online-Bewertung hat hohe kommerzielle Relevanz. Nicht nur, dass immer mehr Internet-Käufer Online-Bewertungen zur Vorbereitung ihrer Kaufentscheidung nutzen. In Fällen, wo Suchroutinen die Sternchen zur Trefferpositionierung heranziehen, kann eine Bewertung gar darüber entscheiden, ob ein Geschäft gut oder schlecht läuft, und mitunter gar das ganze Konzept gefährden. Welche Bedeutung den Bewertungen zukommt, zeigt sich am besten bei eBay: „Sobald die Anzahl positiver Bewertungen unter 96 Prozent fällt, kann es sein, dass ein Händler von eBay ausgeschlossen wird“, weiß Axel Gronen, der Händler in Sachen Verkauf auf Marktplätzen wie eBay oder Amazon berät. Schon der Verlust des Powerseller-Status koste Händler fünfstellige Beträge an eBay-Umsätzen.
Wildwuchs auf eBay
Schon vor Jahren führten die ökonomischen Folgen des eBay-Bewertungssystems zu allen nur erdenklichen Auswüchsen. So drohten Händler mit Rachebewertungen, wenn die Käuferbewertung nicht positiv ausfalle. Andere versuchten, die Menge positiver Einträge zu optimieren, indem sie versandkostenfreie Kleinstprodukte zu lächerlichen Spottpreisen anboten. Der Trick bei dieser Vorgehensweise: eBay macht keinen Unterschied zwischen Bewertungen für ein Scart-Kabel oder einen 3.000-Euro-Fernseher.
Durch Trial und Error fand eBay heraus, welch kompliziertem Mechanismus die Bewertung eines Handelspartners folgt. In einer großen Studie unter seinen Kunden stellte Gronen fest, dass die versandkostenfreie Lieferung nicht erwartungsgemäß zur 5-Sterne-Bewertung führte:„Es ist grotesk, aber absurd niedrige Versandkosten wie zum Beispiel 40 Cent schaffen beim Käufer eine positivere Stimmung und führen zu höheren Bewertungen.“ Auch hier lernte der Auktionsriese aus seinen Erfahrungen: Inzwischen wird der Verzicht auf Versandkosten automatisch mit fünf Sternen gleichgesetzt.
Nicht nur bei eBay-Händlern – auch in der Hotellerie ist das Thema Online-Bewertungen durch eine Hassliebe geprägt. Weil jede Hotelübernachtung mit vielen Unsicherheitsfaktoren behaftet ist, erlangt die Meinung früherer Gäste eine starke Bedeutung. Hoteliers stehen hier vor zwei Problemen: Sie müssen erstens professionell mit der für alle einsehbaren Kritik umgehen können. Und sie müssen Gäste dazu motivieren, überhaupt Bewertungen abzugeben.
Genau das ist das Problem von Oliver Winter. Seine A&O-Hotels und -Hostels sind in der unteren Mittelklasse angesiedelt: Einfach, solide, schnörkellos und ein akzeptables Preis-Leistungs-Verhältnis – das ist das, was der Gast verlangt und in der Regel auch bekommt, aber eben nicht bewertet. Reviews werden nur veröffentlicht, wenn etwas nicht stimmt. Bei einem von Winters Häusern stehen 124.000 Übernachtungen nur 28 Bewertungen auf dem Reisebewertungsportal Holidaycheck. de gegenüber. Von Anbietern wie Holidaycheck wünscht sich Winter daher unter anderem, dass die Informationen über die einzelnen Hotels ausführlicher sind. So könnte die Information über die Zahl der abgewickelten Übernachtungen Usern einen Eindruck über die Repräsentativität der Bewertungen vermitteln, glaubt Winter.
Längst setzen sich auch die Gerichte mit den Beurteilungen auf Reisebewertungsplattformen auseinander, weil sich immer mehr Hoteliers auch mit juristischen Mitteln gegen unberechtigte Kritik zur Wehr setzen. Auch Hotelchef Winter zog vor das Hamburger Landgericht und gewann. Die Richter sahen die Beweislast für die Prüfung der Inhalte einer Bewertung aufseiten von Holidaycheck. Auch Booking.com verlor gegen einen Hotelier vor Gericht: Hier untersagten die Richter am Berliner Landgericht der Buchungsplattform, Top-Platzierungen in Ratings wie einen Werbeplatz zu verkaufen. Booking.com reagierte geschickt und nannte die Rubrik einfach um. Nun ist nicht mehr von Bewertungen die Rede, sondern die neue Rubrik heißt „Booking.com empfiehlt“.
Am härtesten könnte es möglicherweise Tripadvisor treffen. Die britische Verbraucherschutzorganisation Kwikchex forderte das US-amerikanische FBI auf, gegen die Bewertungsplattform zu ermitteln. Der Grund: In den vergangenen zwölf Monaten habe es über 3.000 Fälle von offensichtlichen Manipulationen in den Bewertungen gegeben. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Branchenblatt „Top Hotel“ berichtet, dass Hotelberater Maximilian Blum Freiherr von Grevenstein auf Tripadvisor einen User namens „Bellagio“ ausgemacht hat, der in sieben Jahren 32.300 Bewertungen abgegeben hat – also ungefähr zwölf pro Tag.
Regelrechte Bewertungsindustrie
Inzwischen ist eine regelrechte Bewertungsindustrie entstanden, die gegen Geld beliebig Lob oder Tadel verteilt. Crowdsourcing-Plattformen wie Amazons „MTurk“ eignen sich trefflich dazu, ein Unternehmen mit vielen anonymen Nutzern zu verkuppeln, die positiv auf Rankings Einfluss nehmen. Auf der populären Privat-Dienstleistungsplattform Fiverr.com etwa kostet die positive Bewertung fünf USDollar. Kritik in puncto Missbrauchsanfälligkeit trifft vor allem die Plattformen, die das Bewertungsrecht nicht an die unmittelbare Buchung koppeln. Der vereinzelt verlangte Buchungsnachweis lässt sich „beschaffen“, bekannte ein anonymer Insider gegenüber Reportern des ZDF freimütig. „Wird die direkte Buchung verlangt, dann buche ich und storniere direkt wieder, nachdem ich den Bewertungs-Link erhalten habe.“
Zwielichtige Agenturen bieten ihre Dienste inzwischen recht offen am Markt an. Bewertungsoptimierung wird zum Gattungsbegriff. Hamburgs Vorzeigehotelier Kai Hollmann zeigte sich im Februar sichtlich verblüfft, als er eine entsprechende Anfrage erhielt. „Die wollten von uns abends nicht verkaufte Zimmer zugeteilt bekommen, damit sie offiziell als Gäste bewerten können“, so der Hanseat. Das Angebot schlug er aus.
Doch wie sollten Händler und Dienstleister reagieren, wenn sie Opfer ungerechtfertigter Kritik wurden? Bei eBay sieht Axel Gronen die Lage eher fatalistisch: „Kleine Händler haben eigentlich keine Chance, eine Löschung durch eBay zu erwirken“, sagt er. Die Reduzierung des Personalbestands bei eBay Deutschland habe die Situation klar verschärft. Nur die größten Händler seien in der Lage, direkt Kontakt zur Plattform aufzunehmen. „Selbst wenn man sich einen Anwalt leisten will und meint zu gewinnen: Man findet keinen, der Streitwert ist zu gering“, so Gronen. Primäres Ziel einer Strategie in puncto Bewertungen sei daher, den negativen Eintrag möglichst schon von Anfang an zu vermeiden – beispielsweise, indem man einen Ansprechpartner nennt, der sich um etwaige Probleme kümmert.
Selbst wenn die negative Bewertung bereits erfolgt ist, kann ein direkter Kontakt noch sinnvoll sein. Einer Studie der Uni Bonn zufolge waren 45 Prozent der eBay-Käufer willens, ihre Bewertung zurückzunehmen, sobald sich der Händler bei ihnen entschuldigte. Besonders wirksam sind solche Entschuldigungen, wenn Händler einen Gutschein oder Rabatt beifügen. Die Studie der Uni Bonn kommt zu dem Schluss, dass etwa 20 Prozent der Käufer auf einen 2,50-Euro-Gutschein und 23 Prozent auf einen 5-Euro-Gutschein reagierten. Dennoch empfiehlt Axel Gronen, Kulanzgutscheine nur auf Abruf vorzuhalten. „Man sollte sich vorher Gedanken machen, was die Vermeidung einer negativen Bewertung wert ist.“
Auch Bewertungsplattformen sollten Händlern und Dienstleistern eine Chance einräumen, auf eine Bewertung reagieren zu können. Die Hotelbuchungsplattform Hrs.de führte eine solche Funktion erst im August 2011 ein – gemeinsam mit der Veröffentlichung von detaillierten Bewertungen im Freitext. Davor hatte es nur eine Sternebewertung gegeben. Der Gütesiegelaussteller Trusted Shops geht sogar noch einen Schritt weiter und bietet Händlern ein Vetorecht an. Nutzt der Händler dieses, wird eine Bewertung sofort unsichtbar gemacht. „Der Händler ist dann in der Pflicht, Trusted Shops nachzuweisen, dass die Bewertung nicht den Tatsachen entspricht oder es sich um eine Beleidigung durch den Verbraucher handelt“, erklärt Trusted-Shops-Geschäftsführer Thomas Karst.
Unter Umständen rettet auch die Community das Unternehmensimage. USHändler Sears erlebte das positiv bei einem peinlichen Vorfall. Auf der eigenen Handelsplattform Sears.com hatte ein Lieferant iPads versehentlich für 69 US-Dollar angeboten. Als die Käufer des Schnäppchens auf ihr Recht pochen wollten, antworteten zahlreiche Forumsmitglieder, dass der Fehler so offensichtlich sei, dass man sich doch bitte mit der Rückzahlung des Kaufbetrags abfinden möge.
Für Marco Nussbaum, Gründer des Bremer Budget-Design-Hotels Prizeotel, ist die Situation zwiegespalten. Selbstheilungskräfte gebe es, wenn die Community auf der jeweiligen Plattform stark sei. Aus Nussbaums Sicht ist das auf Qype.com der Fall, auf anderen Plattformen hingegen nicht. Grundsätzlich vermeiden würde Nussbaum Diskussionen auf Plattformen wie Zoover.de, die er vor allem vor Google nicht stark machen will. Jeder neue Beitrag in einem Thread kann die Google-Sichtbarkeit steigern oder kurzfristig erhöhen. Ist der Thread sogar negativ betitelt („Immer Ärger mit XY“), könnte selbst ein positiver neuer Beitrag dazu führen, dass die erste und vielleicht längst veraltete Kritik neue Nahrung bekommt.
Dass sich in schlechten Bewertungen oft falsche Erwartungen widerspiegeln, weiß Nina Meyer zu berichten. Die Sprecherin beim Touristikkonzern L’Tur verantwortet die Social-Media-Aktivitäten des Reisedienstes. „Es gibt schon mal Bewerter, die ein Designhotel buchen und dann das ungemütliche Zimmer anprangern“, sagt sie. Meyer beantwortet Kritik am liebsten im direkten Kontakt. Erscheint eine negative Bewertung, so prüft Meyer in anderen Reiseforen, ob dort ähnliche Kritiken vorliegen. Im nächsten Schritt wird der Reiseagent vor Ort befragt, ob ihm Mängel an einem Haus bekannt sind. Auch frühere Reklamationen zieht sie zurate. „Wir haben ein sehr differenziertes internes Controlling und können bei den einzelnen Hotels genaue Reklamationsquoten nachweisen“, so Meyer. Jenseits der rechtlich festgeschriebenen Tourismus-Kompensationen hält Nina Meyer immer einen 50-Euro-Gutschein in der Hinterhand. Doch wenn sich Nutzer partout nicht besänftigen lassen, müsse man den Fall für erledigt erklären und dann auch nicht mehr reagieren, glaubt sie.
Thomas Kleber, Direktor des Edelhotels „Kameha Grand in Bonn“ veröffentlichte am Ende einer Diskussion mit einem Gast, der offensichtlich keine Ruhe geben wollte, kurzerhand eine Kurzzusammenfassung des gesamten Dialogs. Mit Sätzen wie: „Weiter hatten wir beide auch einen durchaus freundlichen und umfangreichen E-Mail-Verkehr“ stellte der Hotelier klar, dass der Gast im Netz bewusst nur einen Teil der Kommunikation, nämlich seine Kritik, veröffentlicht hatte, um die Stimmung anzuheizen.
„Zeig dem Troll nicht deine Träne“
Auch Daniel Pioch, verantwortlich für das Online Marketing des Holzfachhändlers Holz Richter, sieht sich verstärkt dem Versuch von Kunden ausgesetzt, Druck über Bewertungen aufzubauen. Seine Taktik: „Falls es zu einer Rachebewertung kommt, sollte man erst kommentieren und dann für eine Löschung kämpfen“, sagt Pioch. „Handelt es sich um einen Erpressungsversuch, sollte man diesen eventuell öffentlich machen, um auf diese Machenschaften aufmerksam zu machen.“
Im Fachjargon der Community-Manager heißen renitente Nörgler schlicht „Trolle“. Der Kontakt mit ihnen ist in aktiveren, größeren Communitys praktisch unvermeidlich und sollte Marketing Managern nachts nicht den Schlaf rauben. Ein wichtiger Tipp zum Umgang mit Trollen lautet daher, das Rückgrat durchzudrücken. Oder wie es das US-Marketing-Fachportal Clickz.com formuliert: „Lass den Troll nicht deine Tränen sehen. Davon ernährt er sich.“ ❚
Frank Puscher