
“stillgelegt”
von
Richard Obermayr
Ton : Martin Leitner
Länge: 8:42
Statement
von Richard Obermayr zu „stillgelegt“
„Das
Radioprojekt habe ich um jene Stellen des Romans, an dem ich derzeit
arbeite, ausgewählt, die davon handeln, dass Menschen in der
Vergangenheit überbleiben, also Augenblicke noch andauern. Bei
Michaelangelo Antonioni gibt es diese "tote Zeit", in der die Kamera
noch läuft und auf die Personen gehalten wird, obwohl die
Szene schon vorbei ist. Ich stelle mir das ähnlich vor, dass
die Zeit weiterläuft über das Geschehen hinaus,
während die Gegenwart die Geschichte weiterzieht. Ich habe mir
gedacht, das ist für das Radio insofern passend, als die
Stimmen aus der Geschichte hinausfließen und sich da an den
letzten Worten noch festhalten – wie Sänger in ihrer
Arie am letzten Ton.
Mir geht es so, dass man ja eine innere Stimme hat, die eine Vielfalt
von Bedeutungen aufrecht erhält, während man seinen
eigenen Text immer wieder liest. Diese innere Stimme, die also auch
eine Vielfalt von Möglichkeiten vorgaukelt und gewisse
Unschärfen ausbügelt. Und wenn man dann im Studio
– noch dazu in Dolby Surround – seine Stimme
hört, merkt man dann plötzlich, dass sehr wenig
übrigbleibt und dass diese Ungenauigkeiten dann auf einen
zurückfallen. Besonders, wenn man Prosa schreibt, muss man
sehr genau darauf schauen: Was ist die eine Stimme, die die
Erzählung trägt. Insofern ist Radio der erste Text,
wo diese vielgestaltige innere Stimme zum ersten Mal durch so ein
Nadelöhr muss und den Text bestehen muss, was da falsch klingt
oder was an mitgedachten inneren Stimmen eben nicht mehr vermittelbar
ist.
Ich dachte ja, dass die Arbeit am Computer relativ intransparent ist
und man überhaupt nicht mehr nachvollziehen kann, was mit der
Stimme und den Effekten geschieht – aber vielleicht war es
der gute Tonmeister. Auf jeden Fall war es mir dann relativ einsichtig,
dass meine Stimme da in Spuren zerlegt wird und das dann auch
tatsächlich visuell vermittelbar bleibt. Auch für
mich und für die Bedeutung dessen, was ich da gesprochen habe,
wieweit man eine Stimme "strecken" kann, wieweit man Spuren
"ausdünnen" darf und wie weit ein Effekt einen anderen
stört. Da sieht man dann wirklich ganz offenbar, wie viele
Pausen und Unterbrechungen die Spur, die die Information in erster
Linie trägt, verträgt. Das war am Computer, in der
Arbeit, also wenn der Tonmeister diese Spuren "streckt",
"hineinfährt", "vergrössert", wo man das wirklich
dann untereinander sieht, diese verschiedenen Spuren, die Effekte,
welche eigene Spuren sind, dann meine Stimme, die eine eigene Spur
bildet, dass man dann plötzlich sieht – am
Bildschirm in Zentimetern messbar – wie viele Pausen man da
setzen kann, ohne den Fluss zu unterbrechen oder wo man den Fluss
unterbrechen muss, weil das sonst an Dynamik verliert. Das ist dann
einfach der Tonmeister, der einem das vermittelt.“
(Richard Obermayr)
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Produktionsnotizen
Textausschnitt
In der Vergangenheit werden sie untreu, führen ein Leben ohne
Aufsicht, machen weiter, vielleicht aus Trägheit nur,
führen den Tag über sein Ende hinaus, wie man einfach
eine Linie weiterzieht und immer weiter verlängert, bis der
Bleistift stumpf geworden, die Farbe aus den Borsten geflossen ist. ...
Hinter den Mauern dieses Hauses, wo der Tag die Zeit
verträumt, sind sie das, was sie im Leben nie waren.
© Richard Obermayr