Ins Wort gesetzt: Zeitgenössische Lyrik zu Fotografien von Robert Häusser
13. Februar 2007 | Von WT | Kategorie: Allgemein Eine kleine fotografische und literarische Kostbarkeit, die im allgemeinen Festtagstaumel zu 400 Jahre Mannheim nicht untergehen darf, beschert uns die Ausstellung “Ins Wort gesetzt – Zeitgenössische Lyrik zu Fotografien von Robert Häusser”. Die Ausstellung – seit dem 28. Januar im Zeughaus der Reiss-Engelhorn-Museen fürs Publikum zugänglich – präsentiert zum einen Ausschnitte aus dem Werk Roberts Häussers von 1938 – 2004 zum anderen einen bisher unveröffentlichten Querschnitt aktueller deutschsprachiger Lyrik. Von Eugen Gomringer Jahrgang 1925 bis Uljana Wolf Jahrgang 1979 sind insgesamt 37 Autorinnen und Autoren vertreten, alle von Rang und Namen in der Lyrikszene.
Am Anfang war das Bild. “Die Unbekannte”, so der Titel des Fotos, kann als Keimzelle des Projektes angesehen werden. Ulla Hahn habe ihm vor Jahren aus eigenem Antrieb ein Gedicht zu diesem Foto zugesandt, erzählt Robert Häusser. Überrascht sei er gewesen und habe sich darüber sehr gefreut. Der Text sei zunächst in eine Schublade seines Archivs gewandert. Jahre später besuchte Hanser Verleger Michael Krüger in Speyer eine Ausstellung mit Fotos von ihm und sei von dem Zyklus “Die Hausschlachtung” so fasziniert gewesen, dass er dazu spontan drei Kurze Texte geschrieben habe. Diese Texte gelangten ebenfalls zunächst in Häussers Archiv.
Als es darum ging, ein Konzept für die Ausstellung zur Eröffnung des umgebauten Zeughauses zu entwerfen, kamen Häusser die Texte wieder in den Sinn. Er wurde bei Michael Krüger vorstellig, um zu erfahren, was er von der Idee hielte, Lyrikerinnen und Lyriker zu fragen, ob sie bereit wären, zu einem Foto einen Text zu schreiben. Krüger war begeistert. Häusser gab zu bedenken, dass er selber keine Autoren kenne, die er ansprechen könnte. Diesen Part übernahm Krüger. Vom Hanser Verlag aus schrieb er Autorinnen und Autoren an. Die Reaktion habe ihn sehr erstaunt, so Häusser. Nicht nur war er überrascht, dass so viele mitmachen wollten. Vor allem habe er nicht damit gerechnet, dass so viele seine Fotos auch kannten; und nicht nur das: an den Reaktionen sei erkennbar geworden, dass sie auch den Background seiner Bilder verstanden hatten. Das habe in sehr berührt.
An ungefähr vierzig Autorinnen und Autoren verschickte Häusser seinen Katalog mit Bildern aus den Jahren 1938 – 2004 ein fast 600 Seiten starkes und 5 Kg schweres Konvolut. Jede Autorin und jeder Autor hatte nun die Möglichkeit, sich ein Bild seiner Wahl auszusuchen und einen Text dazu zu schreiben. Häusser achtete darauf, dass kein Bild zweimal ausgewählt wurde. So schrieb Michael Lenz einen zweiten Text, weil das von ihm zuerst gewählte Bild, schon von einem anderen Autor vorher zum Thema gemacht worden war. Günter Kunert erinnerte im Dezember seinen Freund Wolf Biermann an die Zusage, die er Häusser gegeben hatte. Eine Woche vor Weihnachten meldete sich Biermann telefonisch in Mannheim und mit dem Christkind an Heilig Abend traf sein Text bei Robert Häusser ein. Zwischen Weihnachten und Neujahr wurden Layout und Satz des Kataloges im Verlag noch einmal umgestellt, um Biermanns Text noch aufnehmen zu können. Im fertigen Buch bewahrheitet sich wieder einmal: Die letzten werden die ersten sein.
Claude W. Sui, Kurator der Ausstellung und Leiter des Forum Internationale Photographie, beschreibt im Vorwort das Spannungsverhältnis zwischen Text und Bild von der Antike bis ins Zeitalter der “Neuen Medien”. Er zitiert mehrfach Brechts fiktiven Dialog zwischen einem Maler und einem Dichter: “Aber Dein Gedicht? Wird es nicht dadurch verlieren, dass das Bild in der Vorstellung, die es hervorruft, gleichzeitig durch ein Bild fixiert wird, das die Phantasie zügelt?” – Im Projekt Ins Wort gesetzt – Zeitgenössische Lyrik zu Fotografien von Robert Häusser lassen sowohl die Lyriker als auch der Fotograf gedankliche Freiräume, so dass die Fantasie des Betrachters und Zuhörers nicht gezügelt wird. Bild und Dichtung durchdringen sich aus wundersame Weise in einer Osmose, indem sie sich nicht wie zwei Ertrinkende gegenseitig in die Tiefe ziehen, sondern sich mit ihrem Assoziationsreichtum und ihrer Eigenständigkeit gegenseitig beflügeln.
- Robert Häusser u. Uljana Wolf Foto WT
In diesem osmotischen Verhältnis hinterlassen Uljana Wolfs Text “Verlassener Ort” und Biermanns “Acker” mit den stärksten Eindruck. Biermann eröffnet einen vielschichtigen Dialog mit dem Fotografen, dem Bild und dessen Sujet, dem Betrachter und seinen Assoziationen zu Himmel und Erde, zu fruchtbarem Acker und Massengrab.
- Schnappschuss: Uljana Wolf vor ihrem Bild Foto WT
Der Katalog ist eine einzigartige Anthologie aktuellster zeitgenössischer Lyrik aus dem deutschsprachigen Raum, die durch Qualität der Bilder und Texte besticht. Folgende Autorinnen und Autoren sind vertreten: Wolf Biermann, Michael Buselmeier, Heinz Chzechowski ,Wolf Endler, Elke Erb, Eugen Gomringer, Ulla Hahn, Ludwig Harig, Peter Härtling, Harald Hartung, Günter Herburger, Uwe Kolbe, Ursula Krechel, Jean Krier, Jürgen Kross, Michael Krüger, Günter Kunert, Gregor Laschen, Michael Lentz, Philipp Luidl, Franz Mon, Peter Neumann, Jacques- Outin, Marion Poschmann, Regina Ray, Jan Volker Röhnert, Peter Rühmkorf, Lutz Seiler, Armin Senser, Hans Dieter Schäfer, Silke Scheuermann, Albert von Schirnding, Jürgen Theobaldy, Tina Stroheker, Jan Wagner, Uljana Wolf, Paul Wühr.
Robert Häusser: Ins Wort gesetzt. Zeitgenössische Lyrik zu Fotografien von Robert Häusser. 40 Abbildungen. Edition Braus im Wachter. Januar 2007 – gebunden – 104 Seiten. ISBN: 3899042573
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