Abenteuertee

Am liebsten mag ich Nahrungsmittel, die unendlich kompliziert angebaut, geerntet, getötet, verarbeitet, verfeinert und gereift werden: Käse, Würste, Dauerfisch, Pemmikan, Wein, Tee, Tabak, Kaffee, Schokolade, Gewürze, komplexe Gerichte wie die südamerikanische Pachamanca, für die man erst einen Erdofen bauen muss, oder Tiere, die ausgenommen und dann umstrukturiert wieder in ihre eigene Haut genäht werden. Delikatessen, auf die man sich stunden-, monate- oder gar jahrelang freuen kann. Es gibt ja auch kaum Essbares, das roh schmeckt, bis auf manche Fleischsorten und Eier.
Endlich, endlich habe ich eine Menschenseele gefunden, die meine Vorliebe für den herben Lapsang Souchong teilt. Es überrascht mich eigentlich wenig, dass diese Seele mein Götterbruder Hermes ist. Alle meine anderen Gäste verschmähen diesen unglaublichsten aller Tees. Er stammt aus den Wuyi-Bergen in der chinesischen Provinz Fujian und wird über Kiefer und Fichte geräuchert, geröstet, gerollt, oxidiert, nochmals auf Bambusrosten oder in Körben geräuchert, dann auf dem Kamelrücken nach Moskau transportiert, manchmal dauert die Reise länger als ein Jahr!, und in all der Zeit nimmt der Tee den Rauch der Wegelagerfeuer unter Steppensternen auf. Weshalb man den Lapsang Souchong auch Russian Caravan nennt. Am üppgisten schmeckt er angeblich aus dem Samowar. Ich gestehe, dass ich ihn allerdings bestenfalls auf meinem Sturmkocher brühe und – das ist nun mal meine ureigene Teekultur – aus dem unverzichtbaren Berghaferl trinke. Lapsang Souchong, das ist eine lange Nacht auf der Hütte, der Ofen russt, Harz tropft in die Glut, man legt Patiencen, führt das Logbuch und wartet, dass der Schneesturm nachlässt. Traut sich nicht aufs Plumpsklo nach dem Erzählen der Gespenstergeschichten. Also die Grundatmosphäre meiner Jugend und hoffentlich auch wieder meines nahenden Alters. Ein Tee wie eine geräucherte Speckseite (manchmal gebe ich Butter hinein, das ist der Gipfel des Genusses).
Die Wahrheit ist auch, dass ich erst von meiner Schwäschwägerin (oder wie nennt man die Frau des Vetters?) aus Japan lernte, was Tee bedeutet; so wie ich ebenfalls erst in der Türkei erfuhr, was Kaffee eigentlich wäre (die Türken haben sich immer sehr gewundert, dass ich auch noch den Kaffeesatz auslöffelte).
Dennoch bleibe ich bei Sturmkocher, Haferl und – das ist nun wirklich barbarisch – beim Teebeutel, letzteres wohl aus Faulheit. Es sind ordinäre Beutel, die man im Supermarkt kaufen kann, aber immerhin die teuerste Marke, soviel Noblesse muss dann doch sein. Immer muss, auch das ist vermutlich kulturlos, ein grosszügiger Gutsch fetter Rahm rein; ohne Fett kann der Darm das Tein (dito für Koffein) nicht absorbieren, dann würde Teetrinken physiologisch gar keinen Sinn ergeben.
Darjeeling, wenn mich der Berggeist ruft und ich mich nach nassen Socken auf einer improvisierten Leine sehne. Earl Grey bei Liebeskummer und kreativen Schüben. Ceylon Orange Pekoe an melancholischen Nachmittagen, Prince of Wales zum Anlocken adliger und beinah reicher Männer (ehrlich, das funktioniert nicht!), Irish Breakfast an hellblauen, bewölkten Sonntagvormittagen; dieser Tee ist so vollmundig, dass man bis zum Abend nichts zu essen braucht.
Aber letztlich: Lapsang Souchong über alles! Der schmeckt, um es etwas überspannt auszudrücken, genau so wie mein eigenes Leben. Geräuchert, gerollt, oxidiert, wieder geräuchert, kamelisiert, samowartet eben.

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