ENTSAGUNG. ENTSAGUNG. ENTSAGUNG (“Ich will mich im Eis ertappen.”)

20. Folge von “Ich küsse mein Leben in dich. Die Marten-Ehen”



 
“Dem Nordmeer entgegen”, so hatte sie geschrieben, die Schwesterliche. Das Fischweib in seine Kälte entlassend, schwimmend. Kein Ufer nirgends. Heilmann derweil, sich übergebend, am Boden, vernichtet, nach jener Nacht in der Fabrik der Engel, als er den sterblichen Sohn zu retten versuchte, durch das Opfer der Mutter. (Doch: War nicht längst geschrieben worden, anderswo: “Das Mutterhaus steht leer. Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band.” Eine aber schrie, immer weiter, wieder: “Nein!“)  
 
Schließlich allerdings wäre auch diesmal beinahe alles wie immer gewesen, nur weniger tragisch, mehr Soap Opera. Er hätte, zweifellos, sich berappeln können, ein weiteres Mal, den hellen Anzug aus dem Schrank nehmen, die Brille zurechtrücken, das Strohhütchen auf den Kopf drücken und an Bord eines weiteren Schiffes gehen als Lebemann (wie einer ihn missbilligend einmal nannte) oder auch, nicht ohne Ironie, als das ewige Seufzen der gepeinigten Kreatur (?), die sich nicht erlösen kann. Und weiter im Text…Warum nicht? Es rumpelte alles dahin. 
 
Doch dann kamen die Briefe. Diese Drohungen, die du der Schreibenden sandtest, als sei sie nicht Melusine, Drachenweib, fischig, sondern eine säugetierische Mutter, beheimatet in jener wirklichen Wirklichkeit, an die wir mit Gründen nicht glauben. WIR. Sie und Du, Heilmann, zu dem sie dich gemacht hatte: Heiler. Seher. Wissender. Doch machtest du dich klein mit deinen Worten, den ach so poetischen. Begannst die Geschichte in Geschichten zu zerlegen, wolltest ein Mann sein und HERR zugleich, als sei das möglich, ohne aus der Geschichte zu fallen. Wolltest lieben, Heilmann, du, und eine nur, eine nur, eine nur, als seist du nicht der Zampano, dem sie, nur sie, nur sie das Leben einhauchte, damit du es weiter küsst und küsst und küsst, der Nächsten und Nächsten und Nächsten ein und wiederum…:
 

 

“Ja, soll denn etwas so Schönes nur einem gefallen

 

Die Sonne, die Sterne gehören doch auch allen.”

 

 
Wir waren nicht gemacht, Heilmann, für diese Story, die du dir erfandest, den Schmachtfetzen, die Geigen im Hintergrund, klagend:
 
Entsagung, Entsagung, Entsagung…
 
Ach hätten wir es vermocht, zusammentreffend, weder vom Vergangenen noch vom Künftigen zu sprechen, sondern uns nur im Gegenwärtigen zu begegnen. Alles wäre noch einmal gut gegangen. Das war der Pakt, den wir brachen. 
 
Und dann deine Wut. Die Hiebe, die blutende Faust. (Meine Gewaltphantasien. Ich gebe das zu.) Keinen könnte ich lieben, dem ich nicht etwas Dunkles andichtete. (Dark Knight Darcy.) So viele Klischees haben wir aufgerufen, bevor du dir im Ernst und wirklicher Wirklichkeit die Pulsadern schlitztest. Oder zumindest damit drohtest. (Denn in der wirklichen Wirklichkeit, Heilmann, bist du ein Feigling. Wie ich.) Das Geschäft der Nixen hättest du auch mir überlassen können. Ich hätte dich tot gekitzelt. Denn ich war immer schon mehr für Komödie als für Tragödie als du. 
 
Warum konntest du nicht verstehen, was das Opfer ist? Eine Fiktion, die wir nicht übersetzen sollen in unsere Körper, sondern auf dem Papier stehen lassen. Weil wir niemanden mehr zerstören müssen. Weil wir ertragen und weiter tragen, dass wir nur Projektionen sind. So, nur so, konnten wir einem jedem und einer jeden eröffnen, was sie zu erfahren wünschten und zu ertragen vermochten. Warum hast du das vergessen?
 
Wenn du doch einmal schweigen könntest, Heilmann, statt jedes Gefühl zum Anlass zu nehmen. Du bist, warst immer, – die Melusine wollte sich nur drüber täuschen – , ein bloßer Fetischist, Heilmann: Das Wort betest du an und alles, alles wird dir nur wahr, wenn du es aussprichst. Wie sehr wünschte sie sich, dass du einmal für dich behieltest, wie innig du begehrst, wie tief du gefallen bist. Wenn du einmal, einmal nur wärest, statt dich entwürfest. 
 
Könnten wir dann zusammen zurück an den uferlosen See? In die Tiefen der Erscheinung, blaugrün, wie die Tür, durch die du sie führtest vor Jahren? 
 
Es zieht uns immer an Meer, beide. Doch wir verfehlen uns. Du suchst die Sonne, deren Schein die Oberfläche des Wassers erwärmt. Den schwitzigen Leib ins kühlende Nass stürzen von einem südlichen Strand willst du. Mich zieht es nach Norden. In die Fjorde. Durch meine Adern fließt ein anderer Saft. In der Sonne staut er, verdickt. Ich will mich im Eis ertappen. 
 
Es ist alles vergebens, vergeben. Es bleibt uns bloß noch, uns selbst zu zitieren:
 
Ich küsse mein Leben in dich. Marter-Mann.
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