Freiburger Notizen (13)

“Schöner Mittag” sagen die Freiburger, wenn sie sich gegenseitig einen solchen wünschen. Manchmal sind sie weitaus schwerer zu verstehen. Gestern, bei meiner Ankunft in Betzenhausen, vermeinte ich zunächst, reichlich verblüfft, einen Muezzin rufen zu hören, bis mir klar wurde, daß vielmehr die Nachbarn mithilfe extrem gedehnter alemannischer Lautfolgen das Achtzehnuhrwetter besprachen. Der schöne Mittag zu Betzenhausen indes besteht aus einer Reihe seltsamer Hausumschwungspflegegeräusche, etwa als bohrten überdimensionierte Insekten aus dem Weltall die petuniären Rabatten auf. Dazwischen ein rätselhaftes Scharren, nicht unrhythmisch, aber auch nicht richtig rhythmisch. Amseln linsen durchs Fenster, schotentragende Glyzinien wuchern, die Feige reckt sich anklägerisch dem selten bedeckten südbadischen Himmel entgegen. Auf der Herfahrt im Zug hatte ich begonnen, Markus Orths Alpha & Omega zu lesen, ein Roman, in dem sich Anleihen bei Douglas Adams und Laurence Sterne finden lassen und der zu guten Teilen in Freiburg spielt. Entsprechend tragen Teile des Personals urbadische Charakterzüge. In Birte “Bitch” Winter z.B., die eine Art Gottesmutter vorstellt und esoterische Neigungen hegt, vereinen sich bodenständig-lässig spirituelle Bestrebungen wie ich sie für die oberrheinische Provinz stets als typisch empfunden habe. Apfelbäume und Räucherstäbchen. Eine geradezu essentielle Freiburg-Figur ist Harry Schmelzer, bekannt als der Blinde Autonome, der als Bettler die Fußgängerzone bevölkert. Die Geschichte seiner Erblindung spielt wiederum auf dem Parkplatz des weithin bekannten Freiburger Musikschuppens Crash.

Angekommen in Freiburg bin ich erst, wenn ich am Münsterplatz eine Bratwurst verspeist habe. Ich meine mich zu erinnern, daß früher eine einzige Bratwurstbude auf dem Platz stand, heuer waren es sechs oder sieben, feierlich nebeneinander aufgereiht, ihren unwiderstehlichen Dunst auf hundert Meter verströmend. Der Markt am Münster ist vorwiegend mit Produkten aus dem Freiburger Umland bestückt und im Schnitt etwa doppelt so teuer wie der Nippeser Markt am Taj Mahal. Sicher, der Freiburger hält die Produkte, die er ersteht, generell für qualitätsvoll, das Kompositum Lebensqualität ist ihm tägliches Mantra, und die roten Rettiche, die ich heute auf dem Markt erwarb, kamen tatsächlich nicht übel auf der Zunge – derart immens war der Unterschied zu in Nippes feilgebotenen Rettichen (was für den Rettich gilt, gilt in diesem Fall auch für die Erdbeere und andere marktgängige Kulinarien) jedoch nicht, daß sich der Preisunterschied allein aus Qualitätsdifferenzen rechtfertigen ließe. Vielmehr scheint es die täglich mehrfach beschworene Lebensqualität, die Freiburg zu einem teuren Pflaster macht.

Apropos Pflaster: ins Pflaster der Innenstadt sind zahlreiche Mosaiken aus Rheinkieseln eingelassen. Das ist schlicht und hübsch anzusehen. Am Rande der Straßen und Gassen fließen die sogenannten Bächle, ein venezianisches System en miniature. Kinder ziehen kleine Schiffe an Schnüren die Bächle entlang, ein Treideln wie aus den Erzählungen Lemuel Gullivers. Es sind viele Sprachen zu hören, aber kaum türkisch, nichtmal auf dem Markt, noch so ein Gegensatz zu Nippes. Das Pflaster ist, wie auch im allgemeinen die Wände, Grund zu Parolen. Z.B. das der Wiwilíbrücke, deren Bogengeländer gern von studentischen Trainspottern erklettert wird. Politisch ist man in Freiburg allemal, dieses Schablonen-Graffito gilt einem Mann, der namentlich zwar bestens nach Freiburg passen könnte, jedoch keine konkrete Beziehung zur Breisgaumetropole pflegt:

fr_brüderle

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