aus: Die Gestalt der Brücke (dt. von J.K.)
IV
Sie erzählte ihm was, egal was, erzählte eine Episode aus ihrem früheren Leben, in jeder Kleinigkeit. Dann sagte sie:
„Was ich dir erzählt habe, erzählte ich noch keinem. Da kannst du mal sehen, dass…“
Die Geschichte wurde zögernd erzählt, mit Unterbrechungen. Jetzt wo alle Zweifel Vergangenheit sind, ist jedes Hindernis überwunden.
„Da siehst du, dass ich dich liebe.“
Er fühlte sich in dieser Welt weniger aufgestellt, als gestrandet.
Was er zu Bewusstsein brachte — seine Wünsche, seine Wüste – was er auch anfertigte, in den Blick zog, anzog, der Gedanke, den er jetzt dachte, es war alles schon hier, ungedacht.
Unwiderruflich auf dem Tablett, gerade im Moment, da er es im Set auftauchen sieht.
Er ist ruhig trotz des himmlischen Affentanzes — DONNER UND BLITZ – und des irdischen Aufruhrs.
Er stellt sich eine Diskussion vor zwischen Hebräischen Propheten, die kein Wort für Körper haben, und Babylonischen Astrologen, denen das Wort für Mond fehlt.
Oder eine Kontroverse darüber, ob Gott zuerst die linke oder rechte Hand gemacht hat.
Jeder Stuhl hier hat ein zerfetztes Polster, eine zerbrochene Lehne oder ein schiefes Bein. Alle Türknäufe sind weg und die Fenster klappern.
Er hat sein Vertrauen in das Adagio gelegt, ein langsamer Fortschritt durch die Apotheose. Ein zarter leuchtender Brei, windbenetzt, überhaucht – die Blätter üppig in Licht getaucht, als gäbe es dies ohne Kampf.
V
Ich erwache plötzlich und stelle erst einmal fest, dass ich nicht mehr schlafe – dass keine Stille herrscht – dass mich ein Klang geweckt hat, ein ganz besonderer Klang, vertraut und doch überraschend.
In Paris, wie in anderen europäischen Städten, gibt es in Bussen ein ganz bestimmtes System der Bezahlung: man steckt seinen Fahrschein in den Rachen eines Entwerters, einer Maschine also, die den Fahrschein nicht nur locht, sondern auch Datum und Zeit aufstempelt. Wenn ein Kontrolleur in den Bus kommt, und man hat keinen Fahrschein mit den richtigen Datum, dann setzt es Ärger.
Dieses Entwerten macht großen Krach.
Aber die Maschine macht noch ein anderes Geräusch: sie hat eine eingebaute Uhr, die gelegentlich vorrückt, und ohne dass jemand ein Ticket einführt, ohne dass jemand sich zwangsläufig in der Nähe des Kastens aufhält, deutlich ein maschineller Ton erklingt – nicht wie wie beim Entwerten, sondern heller, dumpf zwar auch, aber etwas weniger dumpf.
Es ist dieses Geräusch, genau dieses Geräusch, das mich just in Providence, an einem ruhigen Morgen, weckt und irritiert.
- von Jan Kuhlbrodt
in Postkultur