Mit Marcel Crépon ist es ein wenig wie mit dem Teufel an der Wand. Kaum machen wir uns Gedanken, es sei an der Zeit, einmal wieder nach Monsieur Crépons Befinden zu fragen, langt elektronische Post aus kaum betretenen, beinahe schon klandestin zu nennenden Gebieten der rheinischen Sferiferie bei uns ein. Monsieur Crépons aktueller Bericht stammt aus dem elsässisch-badischen Grenzgebiet, dessen Trennlinie der bisweilen geradezu beängstigend begradigte Oberrhein markiert. Der Bericht indessen ist so reichhaltig an tief in die Lokalhistorie vordringenden Informationen in Wort und Bild, daß wir ihn – um unsere Leserschaft zu bannen und vor dem Wundscrollen ihrer bevorzugten Finger zu bewahren – auf eine Serie verteilen, die wir in den kommenden Tagen in loser Folge präsentieren wollen. Hier nun Teil 1:
“Liebes rheinsein,
Die Frage der Welterfassung nach objektiver oder subjektiver Art hat, seit sie formuliert wurde, nichts an Aktualität eingebüßt. Ja, wir tun uns manchmal immer noch schwer, uns zurecht zu finden. Täuschen wir uns ausnahmsweise nicht selber, kümmern sich darum Geräte, die uns eigentlich Hilfe leisten sollten. Damit wurde ich bei meinem letzten Ausflug konfrontiert.
Kaum losgefahren war es unverkennbar, daß mein alter Hermes-Navigator über Wege und Umwege, verschwundene oder neugebaute Straßen kaum Bescheid wußte, sodaß er jede sich bietende Chance ergriff, mich in die Irre zu führen. Eine Beschreibung aller befolgten Windungen und erlebten Widrigkeiten erspare ich Ihnen und komme direkt auf diese Neben-Nebenstraße, auf der ich, indem ich die Orakel meines orientierungslos gewordenen Hermes zu dechiffrieren versuchte, weder hinten von vorne, geschweige denn links von rechts zu unterscheiden wußte.
Welch eine Ouvertüre, werden Sie schmunzeln. Beruhigt im Wissen, daß Sie es nicht böse meinen, sondern vielmehr nachsichtig, fahre ich fort: vor mir stand plötzlich ein Mann, den einzuschätzen ich Schwierigkeiten hatte – abgesehen von eindeutigen Merkmalen, die über Jodmangel in seiner frühen Kindheit Auskunft gaben, die aber keineswegs, einem alten Glauben zufolge, regelmäßigem Trinken von Rheinwasser zuzuschreiben waren. Der Mann war weder ländlich noch städtisch bekleidet; weder ging er einer Beschäftigung nach, noch vermittelte er den Eindruck eines einfachen Spaziergängers.
Auf meine Frage ”Frankreich?” antwortete er mit einem Kopfnicken, verstärkt durch eine Handbewegung, wobei der Zeigefinger auf den Boden wies. Die Geste machte mich stutzig, denn ich konnte mich nicht entsinnen eine Brücke überquert zu haben, welche mich von der rechten auf die linke Rheinseite gebracht hätte. Wohl wissend, daß mein Akzent scharf genug war um jeden Verständigungsversuch zu zerbröseln, wiederholte ich meine Frage und bekam unverzüglich die gleiche Antwort. Und weg war der Mann.
”Que diable venais-je faire sur cette route?”, fluchte ich in Zweifelslaune, wobei ich ”étais-je venu” hätten anwenden sollen: auf dieser Straße war ich schon seit einer Weile angekommen. Nun, was helfen grammatische Feinheiten, wenn rechts und links nichts als Felder zu sehen sind, die entweder bereits abgeerntet sind, oder noch darauf warten abgeerntet zu werden? Wenn das stumme Hinten dem nichtssagenden Vorne gleicht? Wenn die Nacht auf verheerende Weise eingebrochen ist wie sie es nun war? (…)” (Fortsetzung folgt)
- von Stan Lafleur
in rheinsein