Rilke: Sonett 3
Ein Gott vermags. Wie aber, sag mir, soll
ein Mann ihm folgen durch die schmale Leier?
Sein Sinn ist Zwiespalt. An der Kreuzung zweier
Herzwege steht kein Tempel für Apoll.
Gesang, wie du ihn lehrst, ist nicht Begehr,
nicht Werbung um ein endlich noch Erreichtes;
Gesang ist Dasein. Für den Gott ein Leichtes.
Wann aber sind wir? Und wann wendet er
an unser Sein die Erde und die Sterne?
Dies ists nicht, Jüngling, daß du liebst, wenn auch
die Stimme dann den Mund dir aufstößt, – lerne
vergessen, daß du aufsangst. Das verrinnt.
In Wahrheit singen, ist ein andrer Hauch.
Ein Hauch um nichts. Ein Wehn im Gott. Ein Wind.
ögyr: orfeo.ritornell.1
auf suche nach all meinen euridiken
folg ich dir, orpheus, in die samtnen schatten,
ins fundament der welt, es zu erblicken –
und wegzuschauen gleich, denn solch ermatten
der sehnsucht lässt selbst unterwelt verschwinden,
und uns verdammt ins oben, wo gestalten
wir wieder sind des mythos vom beginnen,
wo doch das enden wollten wir verwalten
als letzte sänger, zu zerschlagen leier
wie rockstars die gitarr am end der feier:
autodafé sollts seien, doch wir singen
euch nach, euridices, dass wir verrinnen
im tod entgegen weltgeschäften neu –
nur sind wir dem gesang statt euren treu.
Rilke: Sonett 18
Hörst du das Neue, Herr,
dröhnen und beben?
Kommen Verkündiger,
die es erheben.
Zwar ist kein Hören heil
in dem Durchtobtsein.
doch der Maschinenteil
will jetzt gelobt sein.
Sieh, die Maschine:
wie sie sich wälzt und rächt
und uns entstellt und schwächt.
Hat sie aus uns auch Kraft,
sie, ohne Leidenschaft,
treibe und diene.
ögyr: orfeo.ritornell.2
l’orfeo, du bist da, wo ich dich google,
du geisterst durch natur und netzes harfen.
du singst mit mir das alte lied als double
und weißt wie ich, wohin uns götter warfen.
der mythos bleibt so ungebrochen, setzt
sich fort und ewig retroproduziert,
was sänger ehedem wie einst verletzt:
ihr sein nur im gedicht, und nicht zu viert
im paar und beiderleier liebeslieder.
denn eins zu eins ist – war auch niemals zwei
im himmel und schon gar nicht unter erden.
dort bleiben wir, die kommen immer wieder
herauf, zu spielen ihre litanei,
auf dass sie derweil stumm und schatten werden.
Rilke: Sonett 26
Du aber, Göttlicher, du, bis zuletzt noch Ertöner,
da ihn der Schwarm der verschmähten Mänaden befiel,
hast ihr Geschrei übertönt mit Ordnung, du Schöner,
aus den Zerstörenden stieg dein erbauendes Spiel.
Keine war da, daß sie Haupt dir und Leier zerstör.
Wie sie auch rangen und rasten, und alle die scharfen
Steine, die sie nach deinem Herzen warfen,
wurden zu Sanften an dir und begabt mit Gehör.
Schließlich zerschlugen sie dich, von der Rache gehetzt,
während dein Klang noch in Löwen und Felsen verweilte
und in den Bäumen und Vögeln. Dort singst du noch jetzt.
O du verlorener Gott! Du unendliche Spur!
Nur weil dich reißend zuletzt die Feindschaft verteilte,
sind wir die Hörenden jetzt und ein Mund der Natur.
text:
rilke: „sonette an orpheus“ – sonett 3
ögyr: orfeo.ritornell.1
rilke: „sonette an orpheus“ – sonett 18
ögyr: orfeo.ritornell.2
rilke: „sonette an orpheus“ – sonett 26
musik:
claudio monteverdi: „l’orfeo“, jordi savall, la capella reial de catalunya @ gran teatro del liceo de barcelona, 2002
video.poem:
ögyr 160825
- von Jörg Meyer
in pödgyr / schwungkunst