Unter dem Radar

Aus seiner Generation sei er im Grunde der einzig Übriggebliebene, erzählte er. Die anderen hatten sich entweder rechtzeitig in eine bürgerliche Existenz gerettet, oder hatten sich zu Tode gesoffen. Oder sich sonstwie umgebracht. Als Schriftsteller erfolgreich wurde eigentlich niemand. Jetzt sei er stets der Älteste, was vielerlei Vorteile hätte: Es gebe keinen ökonomischen Druck mehr, sagte er, es fallen die üblichen Intrigen wegen ausgespannter Sexualpartner, Posten und Stipendien aus – braucht er alles nicht mehr – und es gebe folglich keinen Neid. Höchstens Schmunzeltum.

Klapse, sagte er noch als weitere Alternative. Freitod, Alkohol, Klapse. Das wären so die Optionen.

Der Langzeitstudent ist ja auch schon lange ausgestorben.
Fackeln.
Sprachpakete, die nicht ankommen.
Die Kunst des ausgehenden 21. Jahrhunderts ist reiche Kunst von reichen Künstlern für Reiche.

Schnarchende Frauen. Halbstarke Erotik.
Leben in der Cloud. Besser wäre es tatsächlich, nackt auf einer Kugel zu sitzen. Einer Abrissbirne.

Zwei Absagen an einem Tag. Ich bin sowas von am Rand des Literaturbetriebs, ich bin eigentlich schon fast draußen. Vielleicht auch mal wieder ein Fall von Schicksal eines Handwerkersohns, eines Zugezogenen, eines Studienabbrechers. Andererseits, mit Peter Rühmkorf: “Wir sind … nur Arbeiter und können uns unsere Fabrik nicht aussuchen.”

Eine Schreibmaschine sein wie Dietmar Dath. Der Schreibmaschinist. Drei Romane pro Jahr, ein zusätzliches Buch, mindestens vierzig Artikel, wenn’s läuft, noch eine Platte, ein, zwei Theaterstücke, dazu Podien, Rockkonzerte, Interviews. Ich möchte die Sekretärinnen kennen lernen, mit denen er so schläft.

Am selben Tag, vielleicht sogar in derselben Minute, den Fahrradschlüssel verloren. Was soll mir das sagen? Keine Ahnung. Ich finde ihn nicht, ich kann mir sein Verschwinden nicht erklären. Nachts nach zwei Stunden von einem Traum aufgewacht, in dem es darum ging, mit den Freunden ein Rätsel zu lösen. Die Analytikerin zu finden, die gleichzeitig C. ist (also eben 30 Jahre jünger). Wie ist die Lösung? Ich finde sie nicht. Daraufhin vorerst nicht mehr eingeschlafen, da seltsames Geräusch im linken Ohr. Wie ein leiser Fernseher, ein Fernseher aus dem unteren Stock, aber da ist nichts zu hören. (Wenn die Geräusche zu Worten werden, bin ich dann wohl schizophren, dachte ich.)

Am nächsten Tag verwirrt. Mutter ruft an. Ich mache ein Spaziergang, stecke mir zwanzig Euro ein, die später ebenfalls verloren sind. Rätsel, rätsel.

Ihre Ehe mit dem General war in der Krise, und der General war bereits mit anderen, vornehmlich jüngeren Frauen gesehen worden. Es wurden Bilder veröffentlicht, auf denen eine ehemalige Kindergärtnerin, die durch Beziehungen schnell zu einer Leiterin wurde, leicht bekleidet an seinem nackten Zeh saugte. Poröse Gesichter, abblätternde Haut. Das Gespenst reagierte auf die aristokratische Art: nämlich vorzugsweise gar nicht. Sie dementierte nicht, sie kommentierte nicht, sie ließ sich auch nicht mit getrockneten Tränen erwischen. Sie zog sich nur zurück. Ob sie Vergeltungswünsche hegte, wusste man nicht. Aber ich war bereit, Nachforschungen anzustellen.

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