VI 11 - Du gibst mir keine Hand (überarbeitet)
Code: Servus an alle Rezensenten! Ich hab alle Anmerkungen geprüft und ggf. verarbeitet. Das ist dabei herausgekommen. Ich sage euch herzlichen Dank, dieser Versipuls war eine schöne Erfahrung. Porter
Ich sah dich – gleich an der Straßenecke,
du weißt schon, die mit der wüsten Hecke.
Du warst es, ich weiß es auf jeden Fall.
Und der Augenblick gerann zu Kristall.
Ich sah dich – verzerrt durch die Spiegelung
hell wie ein Stern, so leuchtend und jung.
Wie unsere Liebe, stark und laut wie Trompeten
aus einem Wasserhahn flossen flüssig Planeten.
Ich sah dich – so nah und doch in der Ferne,
wollt' nah bei dir sein, ich wollt' es so gerne.
Doch unser Abstand wurde wieder zu groß,
denn der Horizont bleibt für uns uferlos.
Ich sah dich – trotz allem neben mir stehen,
sah deine Augen, wollt' nicht von hier gehen.
Fing dein Lachen für mich in einer Schale.
Manchmal rahm ich ein Bild, bevor ich's male.
Ich sah dich – in schwindenden Tageslicht,
rief dich zu bleiben, du hörtest mich nicht.
Suchte dein Antlitz, ja! Dort vorne da lacht's!
Verschwunden. Man lebt hier selten des Nachts.
Vorherige Version (um die Kommentare verständlich zu halten).
Ich sah dich - gleich links an der Straßenecke,
du weißt schon, die mit der wüsten Hecke.
Vorgestern, du warst es auf jeden Fall!
Und der Augenblick geronn zu Kristall.
Ich sah dich - verzerrt durch die Spiegelung,
wie einen Stern, hell leuchtend und jung.
Aus der Unendlichkeit tönten laut die Trompeten,
aus einem Wasserhahn flossen flüssig Planeten.
Ich sah dich - so nah und doch in der Ferne,
wollte nah bei dir sein, ich wollt es so gerne.
Doch unser Abstand wurde wieder zu groß,
denn der Horizont bleibt für uns uferlos.
Ich sah dich - trotz allem neben mir stehen,
sah deine Augen, wollt nicht von hier gehen.
Fing dein Lachen für mich in einer Schale.
Manchmal rahm ich ein Bild, bevor ich's male.
Ich sah dich - im verschwindenden Tageslicht,
rief dich zu bleiben, doch du hörtest mich nicht.
Suchte mein Liebesfeuer und ich entfacht's ...
doch man lebt hier (wie's aussieht) selten des Nachts.
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RE: VI 11 - Du gibst mir keine Hand
HI Porter!
Wunderbar umgesetzt und die Reime mit solch einer Leichtigkeit.
Beneidenswert!
LG
Addi
"I wish a car would just come and fucking hit me!"
"Want me to hail a cab?"
"No, I'm talking bus!" (The four faced liar)
Da baumelt die kleine Doktorspinne in ihrem Seidenreich und träumt von ihren Silberfäden.
RE: VI 11 - Du gibst mir keine Hand
Wow, Addi! Vielen Dank.
11-09-2012, 17:27
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 11-09-2012, 17:27 von Zack.)
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RE: VI 11 - Du gibst mir keine Hand
Hallo Porter,
gleich alle Versipulszeilen verarbeitet, Respekt. Das schreckt noch die Neulinge ab, die denken dann, man muss alle Zeilen nehmen *lach* ...
So beim ersten Lesen liest sich das alles schon ganz schön und rund, nur hin und wieder scheint es mir, als würde das Metrum nicht ganz passen:
Vorgestern, du warst es auf jeden Fall!
Und der Augenblick geronn zu Kristall.
Liest sich gut, aber ein wenig hackt es doch - liegt wohl an dem Komma, das eine Pause hineinzwingt, die in der unteren Zeile dann fehlt. Hab da allerdings auch keinen Vorschlag, die Zeile kommt ja vom Versipuls. Man könnte höchsten an der oberen Zeile herumschrauben.
Ich sah dich - verzerrt durch die Spiegelung,
wie einen Stern, hell leuchtend und jung.
Hier haben die Zeilen unterschiedlich viele Silben. Auch ist die Metrik der Zeilen etwas anders. Ich hänge mich auch schon etwas an "verzerrt durch die Spiegelung" auf.
Aus der Unendlichkeit tönten laut die Trompeten,
aus einem Wasserhahn flossen flüssig Planeten.
Hier stimmt die Metrik an den Zeilenanfängen auch nicht ganz. Vorschlag: "und aus dem Wasserhahn flossen flüssig' Planeten" ...
Ich sah dich - so nah und doch in der Ferne,
wollte nah bei dir sein, ich wollt es so gerne.
Ebenso unterschiedlich viele Silben, lässt sich hier aber leicht beheben: "wollt nah bei dir sein"  ...
Ich sah dich - im verschwindenden Tageslicht,
rief dich zu bleiben, doch du hörtest mich nicht.
Mhm, ich finde das "verschwindenden" nicht so schön, würde nur "schwindenden" schreiben ... und dafür dann das "doch" in der zweiten Zeile streichen, damit es metrisch okay bleibt.
Suchte mein Liebesfeuer und ich entfacht's ...
doch man lebt hier (wie's aussieht) selten des Nachts.
Mhm, würde eher sowas schreiben wie "Suchte mein Liebesfeuer, fand's und entfacht's" ... weil erst suchen, dann gleich machen, das geht irgendwie zu schnell.
Hier und da kann man mit dem Metrumbügeleisen noch was machen, es ist nicht absolut perfekt und hier und da hängt man ein wenig. Aber insgesamt liest es sich trotzdem recht flüssig - ist eh deine Entscheidung, ob du alle Eckchen glattbügeln magst oder obs okay für dich ist  ...
Die Reime find ich weitgehend gelungen und ungezwungen. Auch die Versipulszeilen fügen sich sehr schön ein, es wirkt kein bisschen, als hätte man sie hineingepresst.
Tja, da klingt noch viel Liebe mit, aber auch Kummer. Für mich liest sich ein wenig, als hätten sich Ich und Du schon lange gekannt, Ich empfindet mehr, aber Du sieht das einfach nicht. Oder das Ich kennt das Du schon länger, sieht es vielleicht immer an der Straßenecke, würde gerne so vieles sagen, aber traut sich nicht zum finalen Schritt - und die Chance geht vorbei, das Du wird immer unerreichbarer. Vielleicht sehen sie sich morgen wieder? ...
Ein schönes Gedicht!
- Zack
“Die Farben sind der Ort, wo unser Gehirn und das Universum sich begegnen.” (Paul Cézanne)
RE: VI 11 - Du gibst mir keine Hand
Servus Zack,
danke für dein aufmerksames Studium meiner Zeilen.
Ich höre die von dir geschilderten Störgeräusche, will aber, solange der Versipuls läuft, nichts verändern. Danach hol ich mein Bügeleisen heraus, um die Metrumsfalten glatt zu bügeln. Schöne Vorschläge übrigens, da kann ich ja aus dem Vollen schöpfen ... äh ... bügeln.
Bis dann.
12-09-2012, 13:41
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 12-09-2012, 13:44 von Quantensprung.)
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RE: VI 11 - Du gibst mir keine Hand
Hi Porter!
Ein Gedicht mit allen Impulsen, welche auch noch passend eingefügt sind.
Das Gedicht macht mich irgendwie traurig, handelt es sich doch (mein Empfinden) um die schmachtende, unerfüllte Liebe aus der Ferne ohne Aussicht auf Besserung der Situation.
Deine Reime wirken nicht konstruiert, sondern sie passen einfach.
Sehr gern gelesen
Lg
Quantensprung
A pencil and a dream
can take you
anywhere
RE: VI 11 - Du gibst mir keine Hand
Hallo Quantensprung,
da hat es doch tatsächlich ein wenig Glaswind in meine gute Versipuls-Stube geweht  wobei scheinbar ein bisschen vom mitgewehten Silberstaub zurückgeblieben ist.
Zitat:Das Gedicht macht mich irgendwie traurig, handelt es sich doch (mein Empfinden) um die schmachtende, unerfüllte Liebe aus der Ferne ohne Aussicht auf Besserung der Situation.
So ist es - melancholisch eben.
Danke für diese schöne Rezension!
10-10-2012, 19:42
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 10-10-2012, 19:46 von Sarida.)
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RE: VI 11 - Du gibst mir keine Hand
Hallo Porter!
Ich traue mich nicht, viel zu sagen,
bin kein Experte für Lyrik.
Dennoch möchte ich dir meinen Eindruck vermitteln: schöne Bilder, das Gefühl der aussichtslosen Sehnsucht kommt gut rüber
Nur Eines stört mich: du mischt manchmal Alltagssprache ("Straßenecke") mit so schönen, poetischen Ausdrücken ("der Augenblick geronn zu Kristall"). Das ist für mich irgendwie nicht so richtig passend. Aber das ist nur die Meinung eines Laien, ich lese nur selten Gedichte, wenn auch in der Schule gehabt (und haben werden).
Zum Rhythmus: klingt für mich ganz gut, nur haperts irgendwie manchmal im Metrum.
LG,
Sarida
Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, mit der sie entstanden sind.
Albert Einstein
Ein Gefühl garantiert nichts, ein Gefühl kann man nicht täuschen. Ein Gefühl hat keine Wirklichkeit außerhalb der Psyche, die es spürt. (...) Es wurzelt in sich selbst. Deshalb kann es vergänglich erscheinen wie ein Nachtfalter oder unsterblich wie ein Gott.
Karl Jaspers
RE: VI 11 - Du gibst mir keine Hand
Servus Sarida,
wie ich schon Zack sagte, sind mir selbst schon ein paar Dinge aufgefallen. Allerdings will ich hier keine Wettbewerbsverzerrung betreiben, indem ich das zur Wahl gestellte "Gedicht" ständig verändere.
Hier darf übrigens jeder alles sagen, was oberhalb der Gürtellinie bleibt. Deshalb danke ich auch Dir für Deine Beurteilung.
Herzliche Grüße
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RE: VI 11 - Du gibst mir keine Hand
Hallo Porter,
falls du Bodo Wartke kennst, ich musste hier direkt an "Ich trau mich nicht" denken  .
Viel zu sagen gibt es hier nicht, denn du hast eine klare Linie im Gedicht und ziehst sie durch, jede Strophe ein Versipuls-Vers, und jedes Mal ein Bogen im misslingenden Aufeinandertreffen. Es liest sich einfach toll! Sehr beschwingt, fröhlich, nach einer Leichtigkeit in der Erzählung, die v.a. durch den Paarreim entsteht. Und dennoch kriegt er sie am Ende nicht, denn es ist Nacht und kein Leben mehr. Dann kommt doch die Melancholie hinein, aber dennoch hat das Gedicht etwas Fröhliches. Als würde zwischen den Zeilen hinaussprechen: Dann am Morgen wieder.
Die einzige Versipuls-Zeile, die für mich nicht so gut reinpasst, ist der uferlose Horizont. Vielleicht nur wegen des "für uns", denn es gibt hier ja kein "uns", sondern Ich, das dem Du hinterherläuft und alles versucht, um Du zu kriegen. Ich habe überlegt, ob man das "für uns" einfach weglassen könnte - aber dann wäre der Vers zu kurz. Alternativ ein anderes zweisilbiges Wort einfügen?
Ansonsten sind mir nur zwei Kleinigkeiten aufgefallen:
Zitat:Und der Augenblick geronn zu Kristall.
Hier müsste es "gerann" heißen
Zitat:Aus der Unendlichkeit tönten laut die Trompeten,
aus einem Wasserhahn flossen flüssig Planeten.
Hier finde ich die Dopplung von "aus ..." am Versanfang etwas unglücklich, vllt kannst du es verbinden, z.B. "und aus dem Wasserhahn flossen ..."?
Ansonsten wie gesagt sehr gelungen - und überraschend, die Zeilen in dieser Form zusammenzubringen.
Viele Grüße,
Libertine
... und von den wundersamsten Wegen bleibt uns der Staub nur an den Schuhen. (Dota Kehr)
Avatar von Eddie Haspelmann
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