
Bereits der Buchtitel weißt auf die Geschehnisse in diesem Roman hin. Er ist einer Zeile aus Dante Alighieris Inferno nachempfunden. Und tatsächlich geht es hinein in die Düsternis, ins Gefängnis und ins Gefangensein in einer unfreundlichen Welt. Ava Farmehri (der Name ist ein Pseudonym) stammt aus dem Nahen Osten und lebt in Kanada. So spielt die Geschichte des Buches auch im Iran.
„Sie werden mich töten.
Mein Prozess hat drei Wochen gedauert. Und ich habe noch Glück, manch unglückliche Seele wartet jahrelang, nur um am Ende dieselbe Nachricht zu erhalten. […] und so kam die zügige Entscheidung nicht überraschend. Jedenfalls nicht für mich. Schließlich ist das hier Iran.“
Mit diesen Zeilen beginnt der Roman und die, die man töten, die man hängen wird, ist die zwanzigjährige Sheyda. Im Gefängnis wird sie mit Gewalt vor allem gegen Frauen konfrontiert. Und sie reflektiert ihre Geschichte. So erfahren wir Leserinnen, wie es zu dem Mord an ihrer Mutter, den sie ohne zu Zögern gestand, kam. Das ist hochspannend und in einer Sprache geschrieben, die melodiös und poetisch ist und in einer Schönheit, die sehr im Kontrast zum Inhalt steht.
Am ersten Tag der Islamischen Republik 1979 wird auch Sheyda geboren. Die Eltern, noch vom Schah beeinflusst, müssen sich plötzlich von ihrem freien Leben verabschieden und sich einer religiösen Regierung unterordnen. Sheyda, deren Eltern heirateten, weil die Mutter mit ihr schwanger war, spürt von Anfang an, dass ihr Leben nicht stimmig ist. Als Kind tanzt sie den Erwachsenen auf dem Kopf herum, lügt und bleibt ungezähmt, allerdings auch immer Außenseiterin im Gleichaltrigenkreis. Bereits als junges Mädchen verliebt sie sich unsterblich in den wesentlich älteren Sohn der Nachbarin. Als dieser Selbstmord begeht, will sich auch Sheyda das Leben nehmen, wird jedoch gerettet. Etwas ist fortan zerbrochen und unheilbar. Lange Zeit bleibt sie Bettnässerin. Die Eltern schleppen die Tochter zum Psychiater. Dort wird sie lange bleiben, jedoch nur selten die Wahrheit erzählen. Als der Vater bei einem Unfall stirbt, erfahren Mutter und Tochter, dass dieser ein Doppelleben mit einer anderen Frau führte und ihnen außer dem Wohnhaus nichts hinterlassen hat. Sheydas Verhältnis zur Mutter wird dadurch nicht besser. Die Mutter zerbricht fast vollkommen daran. Beginnt sich zu vernachlässigen und das Haus nicht mehr zu verlassen. Die Tochter ist bald auf sich allein gestellt.
„Die Stille war das wahre Grauen, die größte Gefahr für meine Psyche. Die Stille zwingt dich, den Blick von der Welt abzuwenden und ihn nach innen zu richten auf deine zerstörte, verrottete Seele, auf das Wrack, zu dem dich das Leben gemacht hat.“
Als älterer Teenager hat Sheyda eine Affäre mit dem verheirateten Lehrer. Später beginnt sie ein Studium, arbeitet nebenher in einer Buchhandlung, versucht sich freizuschwimmen, sich durch Lesen und Bildung aus ihrer Rolle zu befreien. Sie hat immer wieder Beziehungen, die meist nicht lange andauern, denn für Sheyda ist es schwer, einem Menschen tatsächlich zu vertrauen, dabei ist sie auf der Suche nach Nähe und Liebe.
„Bewacht wurden wir von Frauen. Jungen, hässlichen, erbarmungslosen Frauen. Ich hatte vorher nicht gewusst, zu welcher Grausamkeit Frauen fähig waren, vor allem gegenüber ihren Geschlechtsgenossinnen. […] Es fühlte sich wie Verrat an. […] Warum zerfleischen wir uns gegenseitig? Wir sind doch alle Opfer dieses Landes, dieser Welt. Alle Frauen innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern, wir alle sind Opfer der Männer und ihrer männlichen Götter!“
Farmehri lässt ihre im Gefängnis sitzende Heldin immer wieder zwischen Mut und Verzweiflung schwanken, immer wieder zwischen Haftalltag und Erinnerungen hin und her pendeln. Ein Besuch zweier Verwandter kurz vor dem Hinrichtungstermin wirft plötzlich eine neue Perspektive auf die Schuld der jungen Frau. Wie war das wirklich mit dem Tod der Mutter?
Es ist ein Roman mit dunkler Atmosphäre, der in seiner bildhaften Sprache gerade das Bittere der Geschichte zeigt. Die tragische Heldin ist, so wie viele Frauen im Iran, auch außerhalb des Gefängnisses kaum frei. Sie muss sich traditionellen Rollen, die von der Religionspolizei streng überwacht werden unterwerfen. Sie ist nicht immer sympathisch, doch kommt sie einem sehr nah, so dass man auch mit dem Schluss des Romans hadert. Und doch muss es so enden – „Die Freiheit“ – so die letzten Worte.
Das Buch erschien in der Edition Nautilus. Es steht auf dem 1. Platz der Litprom-Bestenliste Weltempfänger Winter 2020. Aus dem Englischen von Sonja Finck. Eine Leseprobe gibt es hier. Dunkles Leuchten!
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