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Die Nacht des Falken
| DIE NACHT DES FALKEN
Buch / Fantasy
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Endlich ist sie nun da, die lang erwartete Fortsetzung von Die steinerne Armee und wieder habe ich das Buch in einem Zug gelesen. Zur Erinnerung: Der erste Teil erzählt von den langen Wegen, die der junge Keltoi Connavar braucht, um zu sich selbst zu finden. Dabei dient und lernt er auch in den Armeen von Stone, des Rei-ches, das sich alle Welt unterwirft. Er kehrt nach Hause zurück, wird Baron, schlägt in einer großen Schlacht die Armeen der Seewölfe und der Pannonen, die sein Land überfallen und weiß doch, dass dies nur ein Vorgefecht des größeren Kampfes ist, denn Stones Armee unter General Valanus wird das Wasser überqueren ... Das Buch endet mit einer Szene, in der Valanus am Kai einer alten Keltoi-Frau begegnet, die ihm Ruhm verspricht, auf eine Art und Weise freilich, die ihm das Blut gefrieren lässt. Diese "Alte" ist die Morrigú, eine der Seidhe, der Alten Wesen; sie gilt als Bringerin von Verderben und Tod. Und doch trägt sie für Connavar und einige andere Keltoi auch andere Züge ...
Später, so viel weiß man noch aus dem Prolog des ersten Bandes, wird aus Connavar der legendäre König Dämonenklinge, der irgendwann in einen Steinkreis reitet, wo Verräter ihn töten wollen. Er weiß das und stellt sich ihnen doch. Was aus dieser Geschichte wird? Auf die Antwort muss der Leser bis zum Ende des zweiten Buches warten. An dessen Anfang mag er ein wenig verwundert blinzeln, denn hatte er erwartet, Connavars Aufstieg zum Herrscher aller Keltoi und seinen Sieg über Valanus mitzuerleben, so wird diese Erwartung enttäuscht: Eher nebenher erfährt er in Kapitel 1 von Connavars großem Sieg über Stones Armee bei Cogden und seiner Erhebung erst zum Kriegsherren, dann zum Hochkönig. Hauptfigur des neuen Bandes aber ist Bane, Conns illegi-timer Sohn, den dieser mit seiner alten Liebe Arian zeugte an dem Tag, als seine Frau Tae getötet wurde, weil er bei Arian lag und nicht da war, um Tae zu schützen. Darin besteht sein Fluch, deswegen ist Conn einsam ge-blieben, und darum hat er Bane niemals anerkannt. Und Bane hasst seinen Vater ... Oder glaubt es zumindest. Er muss lange lernen, um diesen und anderen Hass zu überwinden.
Gemmell zentriert sein Buch also wiederum um einen Haupthelden, der sich sein Leben nicht einfach macht, gute Anlagen mitbringt, aber von Kummer, tatsächlichen oder eingebildeten Kränkungen und eigenem Stolz ma-nipuliert wird. Wieder verschlägt es diesen Helden nach Stone; Bane wird dort Gladiator. Eigentlich wollte er nur seinen Freund Banouin den Sohn von Conns Freund Banouin dorthin begleiten, aber dann wird Lia, das Mädchen, das er liebt, vor seinen Augen feige ermordet, und er schwört, diesen Mord zu rächen. Doch dazu muss er besser werden als der beste Gladiator, der jemals in einer Arena Stones gekämpft hat: denn dieser ehema-lige Gladiator, mittlerweile Ritter im Dienst des despotischen Oberpriesters von Stone, ist Lias Mörder ...
Auch dieses Buch hat alles, was gute, hochklassige Fantasy braucht: lebendige Figuren, an deren Schicksalen man Anteil nimmt; Geschichten von Freundschaft und Verrat, Liebe und Tod; großartige Schlachten; eine gehö-rige Portion Magie und auch eine Weltsicht, die das Schicksal des Einzelnen in universelle Dimensionen stellt. In der Figur der Morrigú, die Gemmell überraschend, aber nicht unlogisch umwertet, zentrieren sich diese Überlegungen: Die Schicksale der Menschen, lehrt sie, sind verwoben mit dem Geist der Welt, der spirituellen Dimension, die ebenso wichtig ist wie die materielle; selbstlose, gute, ehrenvolle Taten stärken den Geist, selbstsüchtige, böse, ehrlose schwächen ihn genauso wie Entfernung des Menschen von der Natur dies tut. In-sofern sind der Kampf der Priester von Stone gegen die Anhänger des neuen Baum-Kultes, aber auch der Kampf der Keltoi für ihre traditionelle Lebensweise und gegen die "Zivilisation" der Weltmacht, Teile eines globalen und sogar kosmischen Ringens. Hinter der Fantasy-Hülle ist hier die gleiche Kritik an der westlichen Lebensart zu erkennen, die schon Tolkien in den Gegensätzen zwischen traditionell lebenden bäuerlichen Hobbits und Technokraten, Elben und Orks, Gandalf und Saruman verkörperte. Man mag Gemmell vorwerfen wie man es auch Tolkien vorwarf -, seine Fantasy sei ins Rückwärtige gerichtet, ins Traditionelle und Veraltete, eine haltlose "Zurück-zur-Natur"-Bewegung des Geistes (wie, so liest man gelegentlich, eigentlich alle Fantasy). Ich sehe das etwas anders. Der Gegensatz zwischen materiell orientierter und spirituell ausgerichteter Lebensweise oder, um mit Erich Fromm zu reden, der zwischen Haben und Sein wird derzeit zu Gunsten des Habens entschieden. Wo die Welt dabei bleibt, sieht man Abend für Abend in den Nachrichtensendungen. Da kann ein wenig literarisches Gegengewicht nicht schaden. Ob es nützt, ist freilich eine andere Sache. Zumindest jedoch ist es hier wieder einmal sehr, sehr gut erzählt.
Midnight Falcon ©? by David Gemmell 1999, aus dem Englischen übersetzt von Irmhild Seeland 2003, vollständige Paperbackausgabe der in der Bibliothek der Phantastischen Literatur erschienenen Ausgabe, 447 S., 8,95
31. Okt. 2006 - Peter Schünemann
http://www.solar-x.de
Der Rezensent
Peter Schünemann
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