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Die Magier von Montparnasse

DIE MAGIER VON MONTPARNASSE

Oliver Plaschka
Roman / Phantastik

Klett-Cotta

Fester Einband, 427 Seiten
ISBN: 978-360893874-6

Feb. 2010, 21.90 EUR
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Mit „Die Magier von Montparnasse“ legt der 1975 geborene, in Heidelberg studierte und inzwischen in Speyer lebende Oliver Plaska seinen zweiten Roman vor. Nach „Fairwater oder die Spiegel des Herrn Bartholomew“ aus dem Verlag „Feder & Schwert“ (2007) sowie dem Sachbuch „Narnia- das Rollenspiel“ (2008) eine Geschichte um wahre Magie, Zauberei/ Illusion und Liebe. Damit wagt sich Plaska in einen Bereich der phantastischen Literatur, den Christopher Priest mit seinem verfilmten Roman „Duell der Magier“ ebenso beschritten hat wie der Streifen „Der Illusionist“ aus dem Jahre 2006. Aber „Die Magier von Montparnasse“ beschreitet nach einer Art Prolog ein gänzlich anderes Territorium, das den Roman impliziert in den Grenzbereich der „Wächter“ Tetralogie von Lukianenko mit seinen Welten hinter unserer nur scheinbar bekannten Welt rückt.
Ravi ist einer der vielen Varietemagier, die in den zahlreichen Clubs in den Vergnügungsvierteln der französischen Hauptstadt auftreten. Dabei sollten die Assistentinnen möglichst viel Haut zeigen. Sechs Abend geht das Engagement Ravis und seiner schönen Assistentin gut. Sie zeigen eine Handvoll einstudierter Tricks, die gefährlich aussehen, es aber nicht sind. Darunter eine Art Romeo und Julia auf ägyptisch, bei der sich Ravi lebendig in einem gläsernen Sarg durch rieselnden Sand begraben lässt, während seine Assistentin Blanche freiwillig in einen zweiten Sarkophag begibt und ihr ein ähnliches Schicksal droht. Der Trick ist, das Ravi in dem Augenblick, in welchem das Publikum ablenkt ist, seinen gläsernen Sarg durch eine geheime von Innen zu öffnende Tür verlässt, um im letzten Augenblick das junge Mädchen vor einem ähnlichen Schicksal zu retten. Am siebenten Abend verklemmt sich der Schalthebel und Ravi droht wirklich lebendig begraben zu werden. Noch schlimmer, ohne sein Eingreifen müsste seine Assistentin auch sterben. Also greift er zu echter Magie, um sich aus dem selbst gewählten Gefängnis zu befreien und das Mädchen in letzter Sekunde zu retten. Echte Magie ist aber den Magiern verboten und ruft automatisch die geheimnisvolle, aber anscheinend allmächtige Gesellschaft auf den Plan. Im Hotel zurück gekehrt beißt Blanche aus der Versehen und nichts ahnend vermutlich in den ihr überbrachten Apfel der Erkenntnis und fällt wie Dornröschen in einen ganz tiefen Schlaf. Beunruhigt verfolgt Ravi zusammen mit der Magd Juliette, wie sich mehr und mehr unheimliche Gestalten in das kleine Hotel einschreiben, in dem Ravi und Blanche auch ihre Zimmer genommen haben. Das Netz scheint sich um den seiner Pflichtverletzung bewussten Magier zu schließen. Für alle übersinnliche Wesen – ob von der Gesellschaft entsandt oder von der heimlich benutzen Magie wie eine Motte vom Licht angezogen sei dahingestellt – bricht allerdings nach einer langen Nacht nicht mehr der nächste Tag an. Alle Menschen, Magier oder übernatürliche Wesen sind in einer Art Zeitschleife gefangen, die sieben Tag anhält... genau wie Ravis Vorstellung, bei der erst am siebenten Tag die Katastrophe sich ereignet hat.

Oliver Plaschka hat seinen lesenswerten und vielschichtigen Roman sehr interessant, aber für einen jungen Autoren auch erfolgreich herausfordernd aufgebaut. Er vertraut der intimen Ich- Erzählerperspektive und lässt seine Handlung mit einer Art „Rückblick“ aus Ravis Perspektive auf die sechs Vorführungen inklusiv der anstrengenden Vorbereitungen und einigen Hintergrundinformationen zu den einzelnen Tricks beginnen. Grundsätzlich ist die Ich- Erzählerperspektive Spannungsnegierend, da der Leser berechtigterweise davon ausgeht, das der die Geschichte erzählende Protagonist das Geschehen zumindest so lange überleben muss, um das Abenteuer dank des Autoren den Lesern zu berichten. Mit dem zweiten Kapitel – bezeichnenderweise als „Der erste Tag- Vom Herz einer Kellnerin“ überschritten – zieht er wie bei einem magischen Bühnentrick seinen Lesern den bislang vertrauten Boden unter den Füßen weg, in dem er jedem der wichtigsten Protagonisten eine persönliche Ich- Erzählerebene zugesteht. Die Kapitel werden mit dem Namen des betreffenden Protagonisten überschritten. Diese Vorgehensweise irritiert vielleicht auf den ersten Seiten in erster Linie die flüchtigen Leser, im Verlaufe der komplex, aber gut strukturierten Handlung rückt der außen stehende Betrachter mit diesem literarischen Trick nicht an einen wichtigen Protagonisten heran, sondern an alle. Dabei kann der Leser über weite Strecken des Buches nicht erkennen, ob er wirklich Freund oder Feind aus Ravis Perspektive über die Schulter schaut. Die Perspektivwechsel werden von Oliver Plaschka minutiös eingehalten und erhöhen insbesondere in den ruhigen Passagen des Buches nach einem furiosen Auftakt und dem Anreisen der einzelnen, teilweise grotesken oder skurrilen Gestalten die Spannung. Zwar fällt diese Kurve nach dem Anreisen und wie bei einem Schachspiel ersten Positionieren der wichtigsten Figuren ein wenig ab, aber auf den letzten Seite nimmt der Roman ausgesprochen positiv ohne alles unbedingt zu hinterfragen oder gar in Ansätzen zu erklären wieder an Tempo zu. Dazwischen verlangt der Autor aber seinen Lesern sehr viel Geduld ab. Die Balance zwischen Handlung, sicherlich farbenprächtigen Hintergrund mit authentischen Hinweisen – Ernest Hemingway, die Fitzgerralds, die Nachrichten – sowie den liebevoll detailverliebt gezeichneten Figuren stimmt nicht. Manches wirkt unausgewogen und zu ambitioniert strukturiert. Unabhängig von dieser für einen zweiten Roman verzeihlichen Schwäche ist es die vordergründige Komplexität der Handlung, welche Plaschkas Publikum fordert.

Vor den Augen des Lesers bilden sich förmlich zwei Fronten. Wie hart muss Ravi zusammen mit der im Koma liegenden Blanche für seinen Verstoß gegen die Magierregeln bestraft werden? Auf der zweiten Ebene sucht der Leser einen Zusammenhang zwischen dem Biss in den Apfel der Erkenntnis und der offensichtlichen Zeitschleife? Hinzu kommt – vielleicht als Kompromiss für die gewöhnlichen Leser – ein Mord, für den es aus der kleinen, durch den Zufall zusammengefügten Gruppe mehrere Täter gibt. Zu Beginn sind die Fronten klar: Ravi hat mit seinem aus der Verzweifelung geborenen Rettungsversuch gegen die Regeln verstoßen und erwartet fatalistisch, aber gefasst die kommende Strafe. Hauptsache seiner Blanche passiert nichts. Die Exposition ist eine wundervoll stimmige Liebesgeschichte mit einer farbenprächtigen, überzeugenden Beschreibung des Künstlerlebens im Paris des Jahres 1926 – zwischen den zwei Weltkriegen und der kurze Zeit später ausbrechenden Weltwirtschaftskrise, welche die Welt der Boheme und des Lasters austilgen sollte – und einer interessanten Exposition. Am nächsten Tag reisen sehr unterschiedliche, aber irgendwie zukünftig eine Schicksalsgemeinschaft bildende, gut von Plaschka beschriebene Männer und Frauen an. Das erste Drittel des Romans ist verblüffend kompakt, vielschichtig, unterhaltsam und sehr gut geschrieben. Dann zerblättert der Text ein wenig. Zwar sind die verschiedenen Stimmungslagen der zahlreichen ich- Erzähler von provokant aggressiv über heiter/belustigend bis schließlich melancholisch abwechselungsreich, aber der Leser vermisst den letzten Schwung, die Initiative des Autoren den Plot über eine philosophische Sinnbetrachtung hinaus zu beschleunigen. Es finden sich ausreichend Ideen unterschiedlichster Color inklusiv kleinerer, aber wichtiger Running Gags wie zum Beispiel die Mäuse im Keller und ihr teilweise seltsames Verhalten über die Handlung verstreut, aber irgendwie droht „Die Magier von Montparnasse“ vor allem aufgrund der einleitend so faszinierenden, wenn auch nicht gänzlich neuartigen Idee auseinanderzufallen. Zwar versucht der Autor diese komplexe Struktur auf den letzten Seiten mit keinem klassischen Happy End, aber zumindest einem hoffnungsvollen Ausblick wieder einzufangen, aber eine bessere Struktur oder anders herum gesprochen, die Konzentration erst einmal auf eine Handlungsebene – zum Beispiel die fälschliche Nutzung der Magie und die Bestrafung durch eine ominöse, bislang eher hinter vorgehaltener Hand erwähnte Organisation sowie die Liebe zwischen Ravi und Blanche hätten vollkommen ausgereicht – zu richten und die anderen Ideen für einen weiteren Roman aufzusparen.

Was handlungstechnisch nicht gänzlich zufriedenstellend ist, wird durch die zahlreichen, teilweise exzentrisch, aber sehr gut charakterisierten Figuren ausgeglichen. Dabei hat sich der Autor bemüht, ganze Personengruppen wie den zweifelnden Dichter, den Magier als Künstler oder mit Juliette das einfache, aber nicht dumme Volk in einem lebhaften Charakter zusammenzufassen. Der Leser kann die einzelnen Figuren von ihrem ersten Auftritt an voneinander unterscheiden. Dank der wechselnden Ich- Erzählerperspektiven lernt man die Protagonisten im Grunde in doppelter Hinsicht kennen. Einmal aus der eigenen, sicherlich subjektiven Sicht und dann aus den Augenwinkeln der Gesprächspartner, deren Position in diesem psychologischen Spiel über weite Strecken kaum fixierbar ist. Dabei scheut sich der Autor nicht mittel seiner Figuren, falsche Spuren zu legen und seine Leser nicht nur einmal in die Irre zu leiten.

Ebenfalls überzeugend ist der mit viel Liebe zum Detail beschriebene Hintergrund der Geschichte. Oliver Plaschka gelingt es, das Paris im Allgemeinen und das Stadtviertel Montparnasse im Besonderen der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts zum Leben zu erwecken. Unauffällig, mit vielen kleinen Hintergrundinformationen versehen bemerkt der Leser erst gar nicht, in welch abgestecktem Rahmen der Plot sich abspielt und das Paris im Grunde aufgrund der Ereignisse stillsteht. Nur die einzelnen Protagonisten bewegen sich wie Scheinexistenzen zwischen den einzelnen Punkten der Handlung hin und her, wie Schiffe im Hafen.

Stilistisch ansprechend, aber stellenweise ein wenig zu schwülstig, zu wenig natürlich und wie der Plot überambitioniert präsentiert sich „Die Magier von Montparnasse“ selbst in einfachen Passagen als manchmal schwierige, herausfordernde, aber nicht immer wirklich befriedigende Lektüre. Oliver Plaschka fehlt in manchen Sequenzen das Gespür, einfach loszulassen und zu erzählen. Hier hinkt das Buch insbesondere im Vergleich zur Originalfassung von Christopher Priest „Duell der Magier“ hinterher.

Zusammengefasst handelt es sich alleine wegen des ausgesprochenen Mutes des Autoren, etwas Anderes auszuprobieren, eine andere Art von komplexer Geschichte vor dem Hintergrund einer anrührenden und überzeugenden Liebesgeschichte zu erzählen um einen empfehlenswerten, herausfordernden Roman. Nach „Fairwarter“ eine zweite trotz der angesprochenen Schwäche gelungene Arbeit. Der Klett Cotta Verlag präsentiert das Buch als Hardcover mit einem stimmungsvollen passenden Titelbild.

17. Feb. 2010 - Thomas Harbach

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

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