"Nichts von dem, was mit Emma passiert ist, geschah wegen mir. Ich meine, niemand von uns hatte was damit zu tun. Das war Emma selbst. Niemand hat das Seil für sie aufgehängt. Und es ist ja nicht so, dass Emma ein Unschuldslämmchen gewesen wäre. Ganz und gar nicht. Sie war doch diejenige, die..." (Seite 10) Mobbing ist längst Normalität und Alltag geworden. Das ist erschreckend und umso mehr müssen wir versuchen die Aufmerksamkeit und Sensibilität für dieses Thema zu schüren, denn selbst beteiligte erkennen die Problematik oft nicht. Genauso ist es auch hier. Die Geschichte um Emma und ihren Selbstmord wird komplett von Sara erzählt. Aus ihrer persönlichen Ich-Perspektive. Ihre Gefühle und ihre Gedanken sind dem Leser immer präsent und es ist ganz klar: Sara gehört zu denen, die Emma, in den Tod getrieben haben, aber Sara ist sich keiner Schuld bewusst. Sie fühlt sich selbst als Opfer - Emma sei vielmehr die Täterin oder später vielleicht ihre Freundin Brielle, aber sie? Nein, Sara hat doch nichts gemacht. Wer mit Kindern und Jugendlichen zum Thema Mobbing gearbeitet hat, weiß, dass sie genau auf diese Art und Weise reagieren. Natürlich gerät tatsächlich kein Mensch ganz schuldlos in die Rolle des Mobbingopfers, aber diese krasse Sichtverschiebung der Täter ist erschreckend. Dieser Schrecken wird in "Das wirst du bereuen" sehr deutlich festgehalten, denn ich habe bisher selten ein Jugendbuch erlebt, das so realitätsnah beschreibt und dabei so betroffen macht. Die Ignoranz der Mädchen, dIe Blindheit der Jungen und das Leben der Jugendlichen, das nur auf eine Außenwirkung (Kleidung, Auftreten, die richtigen Freunde) bedacht ist, finet so tagtäglich in unseren Schulen statt.
Und es greift keiner ein, um den Jugendlichen zu helfen, die dabei hinten herunterfallen und sich - aus welchen Gründen auch immer - nicht in diese Situation einpassen können oder zu weit unten in der Hackordnung stehen. "Vielleicht bin ich ein Kind, Dad", sage ich. "Hast du daran schon mal gedacht? Vielleicht hat mir niemand beigebracht, wie man erwachsen wird?" (Seite 257)
Normalerweise übernimmt die Protagonistin (hier Sara) für den Leser die Rolle der Identifikatonsperson. Mit ihr soll man mitfühlen können, sie soll man am besten verstehen und mitfiebern. Das gelingt - ich nehme an mit Absicht - zunächst gar nicht. Sara ist Täterin. Sie hinterfragt zunächst überhaupt nicht, wie es Emma in all den beschriebenen Situationen ergeht. Das bezieht sich auf beide Handlungsstränge. Denn das Buch ist geteilt in die Handlung vor dem Selbstmord und die Handlung danach. Beide steuern auf einen Höhepunkt zu: Selbstmord und Gerichtsverhandlung. Erst nach und nach kann der Leser akzeptieren, dass auch Sara ihr eigenes Päckchen trägt, dass sie nicht nur Täterin ist, sondern ein ganz normales Mädchen und nach und nach verändert sich auch ihre Einstellung zu Emma und zu ihren sogenannten Freundinnen. Das fehlende Unrechtsbewusstsein wird zum Glück aufgeweicht. Es ist der hohe Realitätsgrad, der diesem Roman ein Problem beschert: Dadurch gibt es einige Längen und obwohl man wissen will, wie es weitergeht, fehlt das Momentum, das den Leser wirklich in seinen Bann zieht und mit sich reißt.
"Es tut mir nicht leid. Emma war bis zu dem Tag im März, an dem sie sich umgebracht hat, ein Miststück, das anderen den Freund ausgespannt hat. Ich habe nichts Schlimmes getan, aber sie hat mein ganzes Leben zerstört." (Seite 14)
Fazit: Dies ist ein Roman, der mit seiner besonderen Darstellung der Wirklichkeit, mit dem ausgestreckten Zeigefinger, der genau auf die wunden Punkte zeigt, überzeugen kann und muss. Nachdenklich, betroffen, erschrocken schlägt der Leser das Buch zu und bereut vielleicht ab und an nicht genauer hingeschaut zu haben. Obwohl die Geschichte einige Längen zeigt, sollte sie gelesen werden, denn sie erhöht ganz klar die Sensibilität für ein Problem unserer Zeit (weit über das Jugendalter hinaus): Mobbing.