


Euro-Krise Amerika, du hast es besser

Euro-Ängste, Rating-Schocks, Krisen-Müdigkeit - bei all der Unbill blieb den Europäern bislang wenigstens ein Trost: Den USA geht es noch schlechter. Die Schulden - höher als im Durchschnitt der Euro-Zone; die Wirtschaft - chronisch wettbewerbsschwach; die Washingtoner Politik - noch weniger handlungsfähig als die europäische.
Amerika, du hast es schlechter. An dieser Gewissheit haben sich viele Europäer seit Ausbruch der Euro-Krise gelabt.
Leider stimmt das Urteil so nicht mehr. Wer die beiden großen westlichen Wirtschaftsräume vergleicht, muss feststellen, dass sich die Position Amerikas allmählich verbessert, während sich die Euro-Zone in immer tieferen Problemen verstrickt.
Das Grundproblem der Krise beiderseits des Atlantiks ist die hohe Verschuldung. Und ausgerechnet auf diesem Feld ist in den USA eine Trendwende zu erkennen - nicht jedoch in Europa. Eine neue Untersuchung des McKinsey Global Institute (MGI), für die ein internationales Expertenteam die öffentlichen und privaten Schulden der zehn größten entwickelten Volkswirtschaften analysiert hat, kommt zu dem Ergebnis: Nur in den USA, Südkorea und Australien bildet sich die Gesamtverschuldung in Relation zum Bruttoninlandsprodukt (BIP) allmählich zurück; in Deutschland immerhin stagnieren die entsprechenden Werte. In allen übrigen Ländern legen die Verbindlichkeiten noch weiter zu - dabei ist die Gesamtbelastung der öffentlichen und privaten Budgets bereits so hoch, wie noch nie zuvor in der Geschichte.
US-Bürger, Banken und Unternehmen fahren Schulden zurück
Sicher, die USA haben ein Staatsschuldenproblem. Hohe Defizite treiben die öffentlichen Haushalte immer tiefer in die roten Zahlen. Doch Amerikas Bürger, Banken und Unternehmen fahren ihre Verschuldung nach Höchstständen im Krisenjahr 2008 zurück. Sie senken ihre Verschuldung sogar schneller, als der Staat die seine weiter hochfährt. Das "Deleveraging" - die Enthebelung der amerikanischen Wirtschaft - ist den MGI-Zahlen zufolge im Gange.
In Europa hingegen steigt in vielen Ländern die Verschuldung immer weiter. Frankreich hat seit Beginn der Krise 2008 einen massiven Anstieg der Schulden verzeichnet; Banken, Firmen und Staat haben lange über ihre Verhältnisse gelebt, die Bürger jedoch stehen finanziell relativ solide da. Die private Wirtschaft in Italien steht deutlich besser da. Dort ist es allerdings vor allem der Staat, der das negative Gesamtbild prägt.
Besonders schwierig ist die Lage in Spanien. Iberische Unternehmen sind im Schnitt fast dreimal so hoch verschuldet wie deutsche - und doppelt so hoch wie amerikanische - , was die Investitionstätigkeit und die wirtschaftliche Gesundung massiv behindert. Auch die Bürger stehen nach der langen Immobilien-Fiesta mit 82 Prozent des BIP im Soll. Schlechte Voraussetzungen für einen Aufschwung.
Schweigen wir an dieser Stelle von Irland, das nach den MGI-Zahlen mit 663 Prozent des BIP eigentlich unrettbar überschuldet ist. Banken, Firmen, Bürger - alle haben sich völlig verhoben. Schweigen wir auch von Griechenland (wo die Privatwirtschaft inklusive der Banken zwar recht solide finanziert ist, aber Generationen von Politikern den öffentlichen Sektor in den Abgrund gemisswirtschaftet haben) und von Portugal, wo praktisch alle vier Sphären zu hohe Verbindlichkeiten aufgehäuft haben. Wie diese Länder jemals durch Sparen von ihren Schulden herunterkommen sollen, ist schleierhaft.
Europa steht nur als Einheit gesehen gut da
Auch außerhalb der Euro-Zone, in Großbritannien, bleibt die Lage kritisch. Es ist eine Volkswirtschaft, die mit dem Fünffachen ihrer Wirtschaftsleistung in der Kreide steht. Trotz des massiven Sparprogramms der konservativ-liberalen Regierung gelingt es bislang nicht, auf einen Entschuldungskurs umzuschwenken. Nach zwei Jahrzehnten Boom sind Bürger, Banken und Unternehmen so hoch verschuldet, dass die Gesamtverbindlichkeiten inzwischen ähnlich dramatisch sind wie im latent bankrottbedrohten Japan.
Amerika macht es sich auch strukturell leichter: Weil sich die Politik nicht auf höhere Steuern einigen kann - kaum ein entwickelter Staat hat derart geringe laufende Einnahmen in Relation zum BIP -, kauft die Notenbank bedenkenlos Staatsanleihen auf und entlastet damit die Staatshaushalte; ein Kurs, der gerade in Deutschland als langfristig gefährlich gilt, der aber erstmal für relative Entspannung an den Finanzmärkten sorgt. Außerdem sind die USA ein ausgebildeter Bundesstaat, in dem Washington in großem Stil Gelder von starken in schwache Regionen transferiert werden; Vergleichbares gibt es nicht in Europa.
Der Dollar ist inzwischen deutlich schwächer, insbesondere gegenüber dem chinesischen Yuan. Das hilft der US-Industrie dabei, ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Es entstehen sogar wieder neue Industriejobs. Zwar ist die Beschäftigung längst nicht auf Vorkrisenniveau. Aber immerhin. In Italien und Frankreich hingegen ist die Zahl der Arbeitsplätze in den vergangenen zwei Jahren gefallen.
Mehrheit der EU-Bürger glaubt an ein Fortdauern der Krise
Schon richtig: Betrachtet man die Euro-Zone als Einheit, dann steht sie insgesamt nicht so schlecht da. Der Schuldenstand der 17 Euro-Staaten liegt nach OECD-Berechnungen etwas niedriger als in den USA. Das reale BIP-Wachstum war 2011 etwa gleich schwach. Die Inflationsrate war diesseits des Atlantiks niedriger (2,6 Prozent im Euro-Raum zu 3,2 Prozent). Und im Gegensatz zu den USA (3 Prozent Defizit) hat die Euro-Zone zusammengenommen eine ausgeglichene Leistungsbilanz, was auf eine relativ gute Wettbewerbsfähigkeit hindeutet. Doch hinter dieser Globalzahl verbirgt sich ein sehr hoher deutscher Überschuss, der die Defizite der anderen Länder fast allein ausgleicht.
Es ist ganz offensichtlicht: Die Euro-Zone als Einheit gesehen mag nicht so schlecht dastehen, aber sie agiert nicht als Einheit - sie hat keine Systeme, die Ungleichgewichte ausbalancieren könnten, und eine Notenbank, die nur begrenzt als Gläubiger der letzten Zuflucht für bedrängte Staaten agieren kann. Auch deshalb kommt Europa aus der Schuldenkrise bislang nicht heraus - während es in Amerika wenigstens erste positive Anzeichen gibt.
Die letzte Eurobarometer-Umfrage ergab: 68 Prozent der EU-Bürger glauben, der schlimmste Teil der Krise stehe ihnen noch bevor. Sie könnten Recht behalten.