08.04.2008
Herausgeber: netzeitung.de
Auch nach dem Kongress noch da: Re:publica im Web Screenshot: nz
Screenshot: nz
Quelle: NZ Netzeitung GmbH
Die Bloggerkonferenz «Re:publica» ist zu Ende. Einige Blogger waren nicht da und üben Kritik. Andere waren da und üben auch Kritik. Außerdem: Rezensionen zu viel diskutierten Büchern (Körperhygiene, SS-Offizier). Der Blogblick.
Die Szenerie erinnert an die
Spätzeit der guten alten Bundesrepublik. In den Vorzimmern ratschen und klingeln die Schreibmaschinen, die Postzusteller bringen täglich Abermillionen so genannter «Briefe» zu den Empfängern, und wer «Carbon Copy» mit «Durchschlag» übersetzt, wird noch nicht verlacht.
In der Hauptstadt manche sprechen kritisch oder selbstironisch vom
«Treibhaus» wird
Politik und Meinung und Tamtam gemacht. Unten im Süden aber residiert
einer, der will sich nicht einbinden lassen. Er poltert lieber, wie und wann es ihm gefällt.
Die «Re:publica 08» ist
zu Ende. Zahlreiche Veranstaltungen zu rechtlichen, politischen, technischen, sozialen und kulturellen Aspekten
des Bloggens konnten nicht verhindern, dass auch dieses Jahr das Thema
«Geld mit Blogs» Postings und Berichte zur Konferenz
dominierte. Eine Dominanz, die von den Veranstaltern vielleicht nicht beabsichtigt ist, aber doch gefördert wird: Zur «Re:publica 07» gründeten der Konferenz-Veranstalter Johnny Haeusler
(Spreeblick) und Sascha Lobo
(Riesenmaschine) den
Blogvermarkter Adical; pünktlich zur «Re:publica 08» wird das seit vielen Monaten verwaiste Adical-Blog
wiederbelebt. Don Alphonso, Blogbar, Bayern,
nennt die Berliner Veranstaltung so folgerichtig wie polemisch eine
«Blogvermarktermesse». Er wiederholt seine Kritik an der Verquickung von Journalismus und Werbung. Dass kein Journalist bereit war, mit Bloggern über Qualität zu debattieren, kommentiert Alphonso so: «Niggemeier und Knüwer sind bei solchen Debatten schnell bei der Hand, wenn es darum geht, Journalisten Fehlverhalten zu unterstellen, Gefälligkeiten anzuprangern und versteckte PR aufzudecken. Und deshalb verstehe ich das Bedauern nicht, denn mit Mercedes Bunz auf dem Podium und dem Werbevermarkter Johnny Haeusler als Veranstalter sind zwei Figuren anwesend, an denen man die
Erosion von Standards in Blogs und Journalismus wechselseitig wunderbar aufzeigen kann.»
hufi betont in den Kommentaren der
Blogbar: «Dass
Qualität und Gelderwerb zwei Paar unterschiedliche Schuhe sind - und weder das eine noch das andere die Voraussetzung für das jeweils andere sind (und nur ganz selten zusammenfallen), macht die Diskussion gleichzeitig einfach wie prekär: als Diskussion, wohl verstanden.»
Auf seinem eigenen Blog
Angriff auf die Urteilskraft macht
hufi den Philosophen Baudrillard zu seinem
Zeugen: Dieser «ergänzte zur Frage der Logik der Werbung, sie laufe nicht mehr nach dem Reiz-Reflex-System, sondern 'nach der Logik des Glaubens und der Regression.' Das bezeichnet auch insgesamt den Zustand der Diskussion, er wird längst nicht rational verhandelt, sondern als
Glaubensfrage mit all den terroristischen Nebeneffekten.»
Für
itha, Feldpost, ist das ganze Hickhack um die
Kommerzialisierung von Blogs letzlich eine Diskussion
darüber, «ob man mit sich selbst geld verdienen kann.»
Weniger grundsätzlich wird die Republica naturgemäß von denen kritisiert, die dort waren. Ein oft genannter Mangel: der Mangel an Konzentration.
Patrick Breitenbach, Werbeblogger:
«Wenn ich eine Podiumsdiskussion verfolge und ich habe rundherum ein gar schreckliches
kommunikatives Rauschen, dann frage ich mich ernsthaft, ob der technische Fortschritt nicht irgendwie auch einen kulturellen Rückschritt nach sich zieht. Da sitzen schonmal zwei Leute auf dem Podium mit vor sich aufgeklappten MacBooks.»
Und
weiter: «Endlich haben manche Klassenclowns ihr El Dorado gefunden, ohne von der gestrengen Lehrerin strafend in die Ecke geschoben zu werden. Das ist dann auch schon eine echte Ironiekrönung, wenn Johnny Haeusler sich über
verletzende, inhaltslose Kommentare in seinem Blog aufregt und im Hintergrund via SMS der Beweis erbracht wird, dass solche Kommentare rein gar nichts mit der Kommentarfunktion an sich, sondern ganz einfach mit der Gesprächskultur vieler Menschen zu tun hat.»
Gerrit van Aaken, praegnanz.de, regt ein Online-Verbot während der Vorträge an: «Vor lauter Twittern und Bloggen kommt man nicht mehr zum Zuhören und Sich-mit-dem-Thema-befassen. Ich denke: Wenn die Themen tiefer und intelligenter behandelt werden sollen, müssen alle Anwesenden ihre volle Konzentration auf die eigentliche Veranstaltung aufwenden.»
Auch
Angela, Reinseite, hat «fast das Gefühl, dass die Bloggerei sich zumindest hier im Re-publica-Umfeld komplett aufs
Twittern verschoben hat.»
sachark fragt, auf
Twitter natürlich: «Was passiert eigentlich bei der #rp08, wenn das WLan ausfällt? Reden die Leute dann miteinander? Stirbt dann Twitter?»
WebStyler bestreitet sogar, dass es sich bei der «Re:publica» um eine «Bloggerkonferenz» gehandelt
habe: «Stimmt nicht! Die re:publica '08 war ein großes Twitter-Treffen.» Derweil sitzt am Tegernsee, den Bauch voll Torte, die
Grande Dame der Kommerzkritik, blickt über Teetässchen und Silberkännchen hinweg und
nickt nachdrücklich zur Aussage eines
Bekannten: «Letztes Jahr dachte ich, es wäre sowas wie ein Klassentreffen, das ich verpasse, dieses Jahr ist es nicht mal mehr meine Schule.»
Literatur! Glamourdick schreibt über ein Buch, das seriösen Quellen zufolge «für eine weniger rigide Hygiene und gegen die gesellschaftliche
Pflicht zur Entfernung der Körperbehaarung»
plädiert: «Aber unerträglich ist jeder Mangel an Eleganz. Lästig, zäh und anstrengend ist es, wenn ein Autor nur eine einzige Klangfarbe beherrscht. Und wie würde es Ihnen gefallen, wenn Sie den Bestseller des Jahres geschrieben haben und alle hassen
ihn?»Literatur! Ein anderes Buch beschreibt, seriösen Quellen zufolge, die «fiktive Lebensgeschichte des
bisexuellen SS-Offiziers Dr. iur. Max Aue, der ohne Reue auf seinen Einsatz bei der Judenvernichtung im 2. Weltkrieg
zurückblickt». molosovsky, molochronik, rezensiert «drei lesenswerte Reaktionen»
dazu: «Alban Nikolai Herbst traut sich, uns in seinem Blog 'Die Dschungel' mitzunehmen auf seine persönliche Lesereise durch das
Buch. Thor Kunkel hat sich in seiner Blog-Rubrik 'Unnatürlich natürlich' Littell und das Pahö um sein Buch vorgenommen und lässt keinen Zweifel daran, dass er beides für schwer überzogen
hält. Am differenziertesten hat das italienische Autorenkollektiv
Wu Ming den Roman besprochen (auf Englisch).»
(auf Englisch).»+++
Literatur! Tristan, Tristan und das Gürteltier, klagt: «Gestern hat eine Bachmannpreisträgerin mein Bierglas kaputt gemacht.» +++
Musik! Kristof, Leicht & Sinnig, leidet: «Oh Nein! REM haben einen neuen Hit. Muss ich wieder monatelang das Genöle von Herrn Stipe ertragen, ich glaub', ich zünde mein Radio an.» +++
Rituale! Anna Nuehm besucht die
Verwandtschaft: «Manchmal bleibt im Saarland die Zeit einfach stehen, wie in einem Film, den man anhalten kann. Man betritt die Szene, alle sitzen unverändert da, wie man sie an Weihnachten verlassen hat. Man hüpft geschmeidig ins Bild und mit einem rrrrrrrttssssttttt läuft der Film dann weiter.» +++
Film! Rossi feiert den 40. Geburtstag von Kubricks «2001: A Space Odyssey»: «Der Film gehört für mich zum Besten, was jemals auf Zelluloid gebannt wurde. Verstanden habe ich ihn bis heute nur ansatzweise, bei jedem Schauen entstehen neue Fragen. Die Natur des Menschen, Menschsein und die Zivilisation sind die offenkundisten Themen, die
Stanley Kubrik hier verarbeitet. Und auch 40 Jahre später ist die audiovisuelle Umsetzung immer noch atemberaubend.» +++
Reise! Bandini, Bandinis Tage, plant «einen Urlaub im Land der biometrischen Sehnsüchte». Im Passamt drückt er seine Finger
ab:«'Wow, Sie haben aber schön gezeichnete Linien.'
'Man sieht, dass ich nichts arbeite, ich bin Privatier. Kunstsammler.'
'Sie sollten öfter spülen oder handwerken.'
'Nein, nein, dafür habe ich meine Leute.'»