Oder wie wird die Literatur wirklich real?Andersheld
köh. In Martin Mosebachs jüngstem Roman, «Das Beben», hat der Schriftsteller Alban Nicolai Herbst einen Auftritt als «erfahrener Damenannäherer» und Autor eines seit Jahren unvollendeten Riesenwerks. Dessen Hauptfigur, heisst es da, sei «ein negativer Held in des Wortes eigentlicher Bedeutung - ein nicht vorhandener Held, eine echte Leerstelle im Gefüge». Nun macht der echte Schriftsteller Herbst, auch bekannt als theoretisch versierter «deutscher Phantast», mit der bissigen Ironie seines Kollegen Ernst. Weil er für den dritten Band seiner über tausendseitigen «Anderswelt»-Trilogie keinen Verlag und für seine Miete - trotz Hilferuf auf seiner Website - keinen Mäzen finden konnte, folgte der ehemalige Broker dem Vorschlag einer Leserin, doch einfach eine Figur seines neuen Roman-Projekts zu versteigern.
Der Weg führt ins Online-Auktionshaus eBay, wo der Autor unter dem Stichwort «Romanfigur» seit dem 26. Januar um 21 Uhr 27 eine Rolle in dem dritten Band seiner Trilogie «Argo» an den Höchstbietenden verkauft; die Figur kann dessen Namen tragen und soll nach seinen Wünschen gestaltet werden. Das Mindestgebot für eine der tragenden Personen des Buches liegt bei über 1000 Euro; bei Geboten, die die Tausendermarke nicht übersteigen, «wird es eine allerdings liebevoll gestaltete Nebenfigur» geben. Vorstellungen, «die gegen bestehendes Recht verstossen oder in irgendeiner Weise nationalsozialistisches Gedankengut transportieren helfen», warnt der Grossneffe des Nazi-Aussenministers von Ribbentrop, werden nicht berücksichtigt.
Wer sich nun eine Position als Protagonist in der Weltliteratur erträumt, hat freilich schon heftige Konkurrenz. Der Roman «Argo» existiert bereits in einer unvollendeten Rohfassung, deren Fortschreiten man auf der Website des Autors (www.die-dschungel.de) akribisch verfolgen kann. Der Eintritt als neue Romanfigur kommt demnach wohl erst ab Seite 640 in Frage. «Sie können etwas sein, was Sie immer schon sein wollten», lockt Herbst, dessen Figuren auch sonst zwischen Welt und «Anderswelt», Wirklichkeit und Fiktion mühelos hin und her schlüpfen. Gleichwohl sei die Einflechtung einer realen Person für ihn «schon rein handwerklich eine reizvolle Aufgabe». Es ist freilich eine, die er nicht immer zur Zufriedenheit derer erfüllt hat, die sich in seinem Werk unverhofft wiederfanden. Herbsts letzter Roman, «Meere», wurde gerichtlich verboten, weil seine frühere Lebensgefährtin darin einen allzu deutlich erkennbaren Auftritt hatte.
Die Auktion endet am Sonntag; das Höchstgebot lag zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Ausgabe bei 555 Euro. - Die Einzelheiten der Darstellung, so heisst es, erfolgen nach telefonischer Absprache. Das nennen wir eine geniale Pointe auf den Ausverkauf der deutschen Gegenwartsliteratur.