Jugend ohne Gott

Andreas Breitenstein ⋅ Es ist ein kleines Buch, das uns als letztes fertiggestelltes Werk des 2003 verstorbenen chilenischen Schriftstellers Roberto Bolaño überliefert ist. Mit dem nur gerade 110 Druckseiten umfassenden «Lumpenroman» («Una novelita lumpen», 2002), der in der glänzenden Übersetzung

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Andreas Breitenstein ⋅ Es ist ein kleines Buch, das uns als letztes fertiggestelltes Werk des 2003 verstorbenen chilenischen Schriftstellers Roberto Bolaño überliefert ist. Mit dem nur gerade 110 Druckseiten umfassenden «Lumpenroman» («Una novelita lumpen», 2002), der in der glänzenden Übersetzung von Christian Hansen nun auch auf Deutsch vorliegt, taucht eine weitere Insel aus dem weitverzweigten Archipel Bolaño auf, von dem spätestens seit dem postumen Opus magnum «2666» eines sicher ist – dass er eine, wenn nicht gar die Schwelle zur Literatur des 21. Jahrhunderts darstellt. Kühn und wild, finster und licht, monumental und filigran, melancholisch und satirisch kommt Roberto Bolaños Œuvre daher, es ist von furchterregender Schönheit, stupender Perfektion und zugleich irritierender Fragmentarik. Da ist, um mit Rilke zu sprechen, keine Zeile, «die Dich nicht sieht». Roberto Bolaño lesen heisst: im Theater fremder (Alb-)Träume zu sitzen und diese nach und nach als die eigenen zu erkennen.