Als Buchhändler/in tut man vor Allem zwei Dinge: man verkauft Bücher und man liest sie. Oder man sollte sie lesen. Dem Bücherberg bei mir zu Hause nach zu schließen, tue ich Letzteres eher weniger. Meine Wohnung ist klein, der Bücherhaufen groß. Und er wächst in einem fort. Die Bücher beschränken sich mittlerweile nicht mehr nur auf das Wohn- und Schlafzimmer, sondern haben sich auch schon in der Küche breit gemacht. Gerne benutze ich den einen oder anderen Stapel als Schlüsselablage oder Kaffeetassenuntersatz. Wie? Höre ich den Chef empört aufschreien. Naja.
Sehen Sie, ich bin nämlich eine sehr langsame Leserin. Während meine Kollegin, die wunderbare Frau Ruby, sich wöchentlich den Weg durch scheinbar Hunderte von aktuellen Leseexemplaren bahnt und den Kunden dann eine sehr fundierte Meinung zu dem Gelesenen geben kann, hänge ich seit gefühlten Wochen noch in Kapitel eins von David Mitchell's Roman Die Tausend Herbste des Jacob de Zoet rum - und das obwohl mir das Buch sehr gut gefällt. Macht ja nichts! Hat ja nur 714 Seiten!
Bis ich damit fertig bin, werden die Frühjahrs-Novitäten hier sein. Aber bevor ich die in Angriff nehmen kann, müsste ich theoretisch erst noch Mark Twain's Geheime Autobiographie (1129 Seiten), Teju Cole's Open City (333 Seiten), John Irving’s In einer Person (725 Seiten) und Ursula Krechel's Landgericht (492 Seiten) lesen. Wenn ich mich beeile, kann ich vielleicht im Herbst nächsten Jahres unseren Kunden erzählen, was sie im Frühjahr doch mal hätten lesen sollen.
Was tun? Hier ein paar Tipps für die Langsamleser unter Ihnen:
Als erstes, machen Sie es sich gemütlich. Schlagen Sie genüsslich ihr Buch auf. Kuscheln Sie sich noch tiefer in ihren Sessel, während draußen der Herbst sein Lied pfeift. Lassen Sie sich Zeit. Und dabei die Wörter auf der Zunge zergehen. Denn dafür sind sie da, die Wörter und die Bücher. Nämlich zum Genuss. Zum Genuss, für die Lebensfreude und, ganz wichtig und nicht zu vergessen, für eine Entschleunigung des Lebens. Lesen Sie also Ihr Buch und lassen Sie die Erzähler weitererzählen und den Buchmarkt weiterpumpen.
Lesen.
Sie.
ihr.
Buch.
In aller Ruhe. Und sollten Sie mal in die Lage kommen, von einem Bekannten um eine Buchempfehlung gebeten zu werden, so schlagen Sie ihre "alten" Lieblinge vor. Denn das ist das andere Schöne an guten Büchern: sie altern nie.
Zu meinen "alten" Lieblingen, die ich gerne unseren Kunden empfehle, gehören u.a.
Ein Sommer ohne Männer von Siri Hustvedt (tiefgehend, aufbauend. Frau in Lebenskrise, die sie mit viel Selbsterforschung und Hinterfragung meistert.)
Austerlitz von W.G. Sebald (Geschichte eines Entwurzelten. Roman über Bahnhöfe, über das Hören-Sagen, über "Geschichte", über die Nichtigkeit des Einzelnen.)
Treffen sich Zwei von Iris Hanika (eine Liebe-auf-den-ersten-Blick-Geschichte. Locker-hüpfend, Berlin.)
Der größere Teil der Welt von Jennifer Egan (Pulitzer-Preis Gewinner 2011. Tragi-komische Einblicke in die Leben verschiedener Charaktere. Höhen, Tiefen, Liebe, Hass, Lachen, Weinen, Alles.)
Eines Menschen Herz von William Boyd (fiktive Tagebücher eines Logan Mountstuart - Schriftsteller, Kunsthändler Spion. Panorama des 20. Jahrhunderts. Herzerwärmend.)
Und sogar (!) eine Neuerscheinung: Die Tagebücher der Virginia Woolf, mit dem schönen Titel Schreiben für die eigenen Augen.
Ich wünsche Ruhe, Gelassenheit, schöne Bücher. In diesem Sinne: take it easy und bis bald!