November, 2012

Einsames Inselbuch

Posted on: November 14th, 2012 by Jasmin Scepanik 9 Comments

 

Neulich, ein Kunde: groß, Ende dreißig, mit heiterem Lockenschopf, runder Brille, orange-brauner Lederjacke und leichtem Wiener Akzent. Harmlos, nett. Er bat Sarah und mich um eine Empfehlung. Ja, gerne, nickten wir fröhlich, in welche Richtung denn, etwas Literarisches, etwas Spannendes,  etwas Aufmunterndes, etwas Politisches, Sozialkritisches, etwas Locker-Leichtes, etwas…? Nein, nein, unterbrach uns der Herr freundlich und schüttelte den Kopf, die Locken hüpften auf und ab, nein, sagte er, er wolle von jedem von uns nur ein Buch. Und dieses eine Buch solle unser jeweiliges Lieblingsbuch sein.

 

Wissen Sie, sagte er noch, ein einziges Buch, das man ihrer Meinung nach gelesen haben muss.

 

Mir stockte kurz der Atem. Sarah verschluckte sich, währendessen der Chef juchzend aus seinem Sessel hochsprang und “ich will auch mitspielen” rief. Dann zogen wir los, wir drei, in die Tiefen der Buchhandlung, um dort dieser unerhörten Aufforderung nachzukommen. Ich für meinen Teil fühlte mich ein bisschen wie der allseits bekannte Vogel, dem die offen stehende Käfigstür nicht Freudens- sondern Panikgefühle verursachte. Soviel zum Thema Freiheit.

 

Auf Radio 4, dem Kultursender des BBC in England, gibt es eine Sendung mit dem schönen Namen Desert Island Discs. Seit 1942 wird dort regelmäßig eine berühmte Persönlichkeit gefragt, was sie auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Mitgenommen werden dürfen acht Lieder, ein Luxusartikel und ein Buch. Immer wieder habe ich mir diese Sendung angehört und mich gefragt, welches eine Buch ich wohl mitnehmen würde. Ein einziges Buch, das einem die unerträgliche Schönheit und Monotonie des Inseldaseins etwas aufzumischen vermag. Booker-Prize Gewinner Julian Barnes wählte die Briefe von Gustave Flaubert, Alfred Hitchcock entschied sich für Mrs. Beeton's Rundum-Haushaltsratgeber, Debbie Harry von Blondie Krieg und Frieden.

 

Irgendwann, nach langer Zeit, drückte ich dem netten Herren Jonathan Franzen’s Die Korrekturen in die Hand. Ja, man sollte es wohl gelesen haben – aber das Buch? Nein. Das ist es nicht. Herr Klepp wählte Colum McCann's Die große Welt. Am Ende war es Sarah’s Empfehlung, Bolano’s 2666, welche den Inselpreis des Tages gewann und von unserem Kunden gewählt wurde.

 

Und seither? Schlaflose Nächte. Mrs Dalloway kämpft mit dem Zauberberg und der Gedichtband von Rilke (übrigens Whoopi Goldberg's Inselbuch) taucht zwischendurch immer mal wieder, flaschenpostartig, auf. Alice Munro sonnt sich in der Hängematte, während Raymond Carver sich dem Rum hingibt.

 

Liebe Leser, liebe Leserin, bitte helfen Sie. Schicken Sie Ihre Insel-Auswahl! Gerne auch für Lieder und Luxusartikel, aber um Himmels Willen, UNBEDINGT für ein Buch! Wir alle würden uns freuen. Wirklich.

 

Danke, danke, danke und bis bald.

Reisewarnung für pauschale Gefühlslagen

Posted on: November 4th, 2012 by Dana Buchzik 1 Comment

 

Herr Ungesagt, ein Zimtrest am Display; die Vertreibung von deiner Herzkante ist mein Freifahrtschein. Heute gibt es nicht nur eine Andeutung von Abend. Heute werden Gläser von Nutztischflächen gestürzt, heute rutsche ich beim Tanzen Richtung Bildrand. Die Musik ist Grund genug, um zu küssen; egal, wen.

Am nächsten Morgen verstricken sich Vogelgeräusche vorm Fenster; der Fremde liegt schief grinsend in seinem Bett. Ich täusche Milchsucht vor, der Fremde das Fehlen von Milch; auf dem Heimweg nehme ich Coffee to go und ein neues Selbstbild in Angriff, Unabhängigkeitsglamour und am Horizont die rettende Kopfschmerztablette. Zuhause schweigen sowohl Katze als auch Telefon; der Tag lässt sich nach Nuancen von Stille sortieren.

Du bist keiner, der in pauschalen Gefühlslagen urlaubt, Herr Ungesagt. Du würdest dich nie wund laufen auf dem Weg zu jemandem, der nicht du selbst bist. Vielleicht hätte ich in deinem Aftershave Lunte riechen müssen. Aber die Zündschnur in deinem Mund wurde erst sichtbar, als du sagtest, wir sollten keine große Sache daraus machen. Dass auch kleine Sachen für Ärger sorgen könnten, kooperiert nicht mit deiner Realität. Aber auch Kleinweh erfordert Berge von Taschentüchern, auch Kleinweg will emotionale Klopftechniken an deiner Tür ausprobieren, Kleinweh will nicht wahrhaben, dass Verliebtsein bloß Vintagekonzept ist, eine Berlinkampagne, ein Wellnessgeräusch der Kreativmonarchie.