Neulich, ein Kunde: groß, Ende dreißig, mit heiterem Lockenschopf, runder Brille, orange-brauner Lederjacke und leichtem Wiener Akzent. Harmlos, nett. Er bat Sarah und mich um eine Empfehlung. Ja, gerne, nickten wir fröhlich, in welche Richtung denn, etwas Literarisches, etwas Spannendes, etwas Aufmunterndes, etwas Politisches, Sozialkritisches, etwas Locker-Leichtes, etwas…? Nein, nein, unterbrach uns der Herr freundlich und schüttelte den Kopf, die Locken hüpften auf und ab, nein, sagte er, er wolle von jedem von uns nur ein Buch. Und dieses eine Buch solle unser jeweiliges Lieblingsbuch sein.
Wissen Sie, sagte er noch, ein einziges Buch, das man ihrer Meinung nach gelesen haben muss.
Mir stockte kurz der Atem. Sarah verschluckte sich, währendessen der Chef juchzend aus seinem Sessel hochsprang und “ich will auch mitspielen” rief. Dann zogen wir los, wir drei, in die Tiefen der Buchhandlung, um dort dieser unerhörten Aufforderung nachzukommen. Ich für meinen Teil fühlte mich ein bisschen wie der allseits bekannte Vogel, dem die offen stehende Käfigstür nicht Freudens- sondern Panikgefühle verursachte. Soviel zum Thema Freiheit.
Auf Radio 4, dem Kultursender des BBC in England, gibt es eine Sendung mit dem schönen Namen Desert Island Discs. Seit 1942 wird dort regelmäßig eine berühmte Persönlichkeit gefragt, was sie auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Mitgenommen werden dürfen acht Lieder, ein Luxusartikel und ein Buch. Immer wieder habe ich mir diese Sendung angehört und mich gefragt, welches eine Buch ich wohl mitnehmen würde. Ein einziges Buch, das einem die unerträgliche Schönheit und Monotonie des Inseldaseins etwas aufzumischen vermag. Booker-Prize Gewinner Julian Barnes wählte die Briefe von Gustave Flaubert, Alfred Hitchcock entschied sich für Mrs. Beeton's Rundum-Haushaltsratgeber, Debbie Harry von Blondie Krieg und Frieden.
Irgendwann, nach langer Zeit, drückte ich dem netten Herren Jonathan Franzen’s Die Korrekturen in die Hand. Ja, man sollte es wohl gelesen haben – aber das Buch? Nein. Das ist es nicht. Herr Klepp wählte Colum McCann's Die große Welt. Am Ende war es Sarah’s Empfehlung, Bolano’s 2666, welche den Inselpreis des Tages gewann und von unserem Kunden gewählt wurde.
Und seither? Schlaflose Nächte. Mrs Dalloway kämpft mit dem Zauberberg und der Gedichtband von Rilke (übrigens Whoopi Goldberg's Inselbuch) taucht zwischendurch immer mal wieder, flaschenpostartig, auf. Alice Munro sonnt sich in der Hängematte, während Raymond Carver sich dem Rum hingibt.
Liebe Leser, liebe Leserin, bitte helfen Sie. Schicken Sie Ihre Insel-Auswahl! Gerne auch für Lieder und Luxusartikel, aber um Himmels Willen, UNBEDINGT für ein Buch! Wir alle würden uns freuen. Wirklich.
Danke, danke, danke und bis bald.