Dezember, 2012

Kulturtheorie Sekt

Posted on: Dezember 27th, 2012 by Dana Buchzik No Comments

 

Vom höchsten Wipfel baumeln Preise: Prosa und Lyrik. An Lianen schwingen Mikrofone vorbei, wer kann, keucht sich ein paar Meter Ruhm zusammen. Je weniger man anhat, desto weniger kann einem vom Leib geatmet werden; es ist heiß vor gestauten Erwartungen. Von links und rechts zischeln einem Geiermädchen ins Ohr: Hast du keinen Agenten, bist du Bodensatz; hast du einen, ist es der falsche. Es ist Herbst, raunen sie, wer sein Buch jetzt nicht fertig geschrieben hat, wird es niemals tun. Am schlimmsten sind die mit den Kindergesichtern, die mit den glatt gekämmten Haaren und Lippen. In Schneewittchen steckt immer schon die Stiefmutter, die alles töten will, was eines Tages Konkurrenz sein könnte.

In ihren Geschichten leben die Geiermädchen auf dem Land: dort, wo maximal Tiere gestresst sind. Wo sich Obstbäume umkreisen lassen, bis der Tag über den Feldern zusammen bricht. Geiermädchentextimmanente Sehnsucht. Nach klaren, kantigen Oberflächen. Nach Schemeln und Fensterläden. Nach gebeiztem, dunklem Holz. Sehnsucht nach Apfelmessern, nach sich langsam abschälender Zeit, in der sich hoffentlich irgendwo Bedeutsamkeit findet.

Im Dschungel hast du keine andere Wahl, als wach zu bleiben. Hier hört dich niemand, wenn du verzweifelt bist. Hier gehen Geiermädchen auf die Jagd, in kurzen Röcken und eindeutigen Lieblingsfarben. Hier läuft es auf Schummrigkeit hinaus und dass alle da sind. Es läuft darauf hinaus, zu rauchen. Es läuft darauf hinaus, dass alle viele Gedanken und Gefühle haben. Es läuft auf Applaus hinaus. Während die Jury, halb hinter Blättern versteckt, offenbart, wer dieses Jahr für wertvoll befunden wurde, wickle ich Absperrband um meinen Körper. Das hier ist zu viel, zu laut; das hier steht mir bis zum Hals.

Wer sich nicht zur Auswahl gestellt hat, sitzt ratlos und hitzeklebrig auf dem Boden. Keiner kann unter Geiermädchen gut aussehen, denke ich, nicht mal die Literatur. Was bleibt, ist die praktische Ausdeutung der Kulturtheorie Sekt und die Hoffnung, dass dieser Tag ironisch gemeint ist.

Advent, Advent: Das 24. Türchen

Posted on: Dezember 24th, 2012 by Fabian Thomas No Comments

 

Das letzte Türchen im not just another Adventskalender: Unser Leser Ralf Diesel empfieht sein Buch des Jahres, Only Revolutions von Mark Z. Danielewski.

 

Die romantischen Liebesgeschichten von zwei Jugendlichen - Hailey und Sam - die quer durch den amerikanischen Kontinent und die Zeit unterwegs sind. Ein atemberaubendes Buch, das von beiden Seiten gelesen werden kann: von vorne nach hinten und von hinten nach vorne.Das Schicksal der Liebe von Sam und Hailey ist das Leben. Das Leben, dem sie zu entkommen versuchen. Bei ihrem Trip quer durch die USA verfolgt sie stets das Schicksal der Geschichte, nicht nur der amerikanischen, sondern der Weltgeschichte. Als ewig Sechzehnjährige reisen sie durch zweimal hundert Jahre, vom amerikanischen Bürgerkrieg bis zum Kalten Krieg und von der Bürgerrechtsbewegung bis zum Irakkrieg. Zwei junge Liebende, die ihrem Schicksal entgegentreiben.Only Revolutions weckt auch beim Leser die unendliche Sehnsucht nach dem, was hinter der Zeit verborgen liegt. Mitreißend, beschwingt und anarchisch fordert Only Revolutions die großen Gefühle heraus.

 

Ralf Diesel meint dazu: "Man kann es drehen und wenden. Die Geschichte eines jungen Pärchens, das seine Liebe an zwei Jahrhunderten entlang lebt ohne von den trabantenartigen historischen Ereignissen tatsächlich betroffen zu sein, dreht sich im Kreis. Egal welchen inneren oder äußeren (Erzähl-)Zirkel man durchdringt, wie man es auch dreht und wendet, auf Liebe folgt Tod, auf Tod folgt Liebe. Ein Buch von Körperlichkeit durchdrungen, von Geist geleitet, in einem moralisch verschmutzten Kosmos, voll Hoffnung auf Schönheit."

 

Mark Z. Danielewski: Only Revolutions, Tropen Verlag, 365 Seiten, 24,95 €

Advent, Advent: Das 23. Türchen

Posted on: Dezember 23rd, 2012 by Fabian Thomas No Comments

 

Heute im not just another Adventskalender: Fliehkräfte von Stephan Thome – für Frithjof Klepp das Buch des Jahres!

 

Hartmut Hainbach ist Ende fünfzig und hat alles erreicht, was er sich gewünscht hat: Er ist Professor für Philosophie und hat seine Traumfrau geheiratet, die er nach zwanzig Jahren Ehe immer noch liebt. Dennoch ist Hartmut nicht glücklich. Seine Frau ist nach Berlin gezogen, sodass aus der Ehe eine Wochenendbeziehung geworden ist, die gemeinsame Tochter hält die Eltern auf Distanz, der Reformfuror an den Universitäten nimmt Hartmut die Lust an der Arbeit. Als ihm überraschend das Angebot zu einem Berufswechsel gemacht wird, will er endlich Klarheit: über das Verhältnis zu seiner Tochter, über seine Ehe, über ein Leben, von dem er dachte, dass die wichtigen Entscheidungen längst getroffen sind.

 

Frithjof sagt dazu: "Stephan Thome schreibt in seinem Roman über Menschen in Zwischenwelten: Zwischen alt und neu, Karriere und Erfüllung, privatem Glück und gesellschaftlicher Konvention. Wer denkt, dass ihn der Protagonist, ein Professor von Mitte 50 aus Bonn, nicht ausreichend interessiert, wird spätestens im zweiten Kapitel von Thomes Sprache mitgerissen..."

 

Stephan Thome: Fliehkräfte, Suhrkamp Verlag, 473 Seiten, 22,95 €

Advent, Advent: Das 22. Türchen

Posted on: Dezember 22nd, 2012 by Fabian Thomas No Comments

 

Heute im not just another Adventskalender: Vielen Dank für das Leben von Sibylle Berg, empfohlen von ocelot-Mitarbeiterin Steffi!

 

Toto ist ein Wunder. Ein Waisenkind ohne klares Geschlecht. Zu dick, zu groß, im Suff gezeugt. Der Vater schon vor der Geburt abgehauen, die Mutter bald danach. Und doch bleibt Toto wie unberührt. Im kalten Sommer 1966 geboren, wandelt er durch die DDR, als ob es alles noch gäbe: Güte, Unschuld, Liebe. Warum, fragt er sich, machen die Menschen dieses Leben noch schrecklicher, als es schon ist? Toto geht in den Westen, wo der Kapitalismus zerstört, was der Sozialismus verrotten ließ. Nur zwei Dinge machen ihm Hoffnung - das Wiedersehen mit Kasimir und sein einziges Talent: das Singen. Es führt Toto bis nach Paris. Ein wütender, schriller Roman einer großen Autorin über das Einzige im Leben, was zählt.

 

Steffi sagt dazu: "Berg begleitet das Waisenkind Toto durch seine Lebensstationen, beginnend mit der ungewollten Schwangerschaft seiner Mutter und der Geburt des intersexuellen Totos. Wer trotz Totos Schicksal Sentimentalität erwartet, wird von dessen naiver Lakonie und Bergs Zynismus überrascht. Empfehlenswert, super geschrieben, mit nur minimalen Längen während der 400 Seiten. Es gibt auch einen Überraschungskniff..."

 

Sibylle Berg: Vielen Dank für das Leben, Hanser Verlag, 400 Seiten, 21,90 €

Advent, Advent: Das 21. Türchen

Posted on: Dezember 21st, 2012 by Fabian Thomas No Comments

 

Heute im not just another Adventskalender: Quints Tierleben von Quint Buchholz.

 

Die Bilder in diesem Buch sowie die Geschichten und Gedichte von Rose Ausländer, Erich Fried, Emile Zola, Elias Canetti u.v.a. , beschäftigen sich mit der uralten und dennoch ganz gegenwärtigen Gefährtenschaft zwischen Mensch und Tier auf dieser Erde. Sie erzählen von Nähe und Angst, von Träumen und Sehnsucht, von Zauber und Staunen, von Verrat und Liebe. Einst zog der Mensch als Gleicher unter Gleichen mit mächtigen und weniger mächtigen Tieren gemeinsam über diese Erde. Inzwischen aber ist er der absolute Herrscher geworden, der über fast alles im Leben der meisten Tiere entscheidet: Den weltweit über 50 Milliarden getöteter Nutztiere stehen immer größere Heerscharen oft grenzenlos verhätschelter Haustiere gegenüber, während der Lebensraum wild lebender Tiere gleichzeitig immer knapper wird. Unsere Welt ist längst eine Welt des Menschen geworden – und nur des Menschen. Dieses wunderbare Buch öffnet die Herzen: »Die Tiere sind unsere Brüder, die großen wie die kleinen. Erst in dieser Erkenntnis gelangen wir zum wahren Menschentum.«
Albert Schweitzer

 

Quint Buchholz: Quints Tierleben, Gütersloher Verlagshaus, 168 Seiten, 24,99 €