August, 2013

Vorbei. Für Wolfgang Herrndorf.

Posted on: August 27th, 2013 by Fabian Thomas 1 Comment

 

Tschick habe ich mir aus Verlegenheit gekauft. Es war in der Inselbuchhandlung auf Hiddensee, und ich wollte eigentlich, in typisch-klischeehafter Ostsee-Romantik-Stimmung, Judith Zanders Dinge, die wir heute sagten lesen, das war aber nicht vorrätig, also griff ich zu Tschick, das zu diesem Zeitpunkt schon in die achte Auflage gegangen war und eine unterhaltsame Urlaubslektüre zu versprechen schien.

Wir hatten an diesem Tag schon ziemlich viel getrunken, genaugenommen hatten wir auf dem Segelboot schon zu trinken angefangen, waren nackt in die Ostsee gesprungen und mit nassen Handtüchern auf den Köpfen durch den Ort gelaufen. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – las ich die ersten Seiten von Tschick wie im Rausch und hatte schon am zweiten Tag auf Hiddensee das Buch zur Hälfte durch. Wenn man anfängt, sich das Lesen in Rationen einzuteilen, weiß man üblicherweise, dass es sich um ein ziemlich gutes Buch handeln muss. Ich habe Tränen gelacht bei Tschicks Inhaltswiedergabe von Brechts Keuner-Geschichte, getrauert mit Maik bei der Beyoncé-Niederlage und, als ich fertig war, gleich versucht das Buch noch einmal zu lesen, weil ich nicht damit einverstanden war, dass es so schnell vorbei war.

So schnell war es jetzt auch mit Wolfgang Herrndorf vorbei. Obwohl alle wussten, dass es nicht gut um ihn stand, seine letzten Blogeinträge immer düsterer geworden waren. Er hat viel zu wenig für uns hiergelassen, irgendwo las ich davon, dass wir von ihm noch mindestens fünf oder sechs der besten Romane der Zehner- oder Zwanzigerjahre hätten bekommen können. Jetzt bleibt nur eine fürs erste völlig überlastete Webseite. Die Welt ist nicht gerecht.

Fabian Thomas ist Herausgeber von The Daily Frown, dem Magazin für Musik, Literatur, Alltag. Er liebt alte Schallplatten, schöne Bücher und geht gerne zu Fuß, weil man so mehr mitkriegt.

Deutscher Buchpreis 2013: Die Nominierten

Posted on: August 14th, 2013 by Fabian Thomas No Comments

 

Die Jury in Frankfurt hat gesprochen: Das ist die Longlist für den Deutschen Buchpreis 2013!

Weiter eingegrenzt wird am 11. September mit der Bekanntgabe der Shortlist. Vergeben wird der Preis schließlich am 7. Oktober in einer feierlichen Zeremonie im Kaisersaal des Frankfurter Römers.

  • Mirko Bonné: Nie mehr Nacht
  • Ralph Dutli: Soutines letzte Fahrt
  • Thomas Glavinic: Das größere Wunder
  • Norbert Gstrein: Eine Ahnung vom Anfang
  • Reinhard Jirgl: Nichts von euch auf Erden
  • Daniel Kehlmann: F
  • Judith Kuckart: Wünsche
  • Olaf Kühl: Der wahre Sohn
  • Dagmar Leupold: Unter der Hand
  • Jonas Lüscher: Frühling der Barbaren
  • Clemens Meyer: Im Stein
  • Joachim Meyerhoff: Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
  • Terézia Mora: Das Ungeheuer
  • Marion Poschmann: Die Sonnenposition
  • Thomas Stangl: Regeln des Tanzes
  • Jens Steiner: Carambole
  • Uwe Timm: Vogelweide
  • Nellja Veremej: Berlin liegt im Osten
  • Urs Widmer: Reise an den Rand des Universums
  • Monika Zeiner: Die Ordnung der Sterne über Como

Was ist eure Meinung zur Longlist? Sind eure Wunschkandidaten dabei? Schreibt uns!

 

Representing REVUE & ocelot! Tolle Ausgabe!

Representing REVUE & ocelot! Tolle Ausgabe! © by Katharina Reinsbach

Wir passen gut zusammen! Foto © Katharina Reinsbach

 

»For Beuys Transformation meant personal healing expanded to social and political change, and
I subscribe to that view«, sagt Robert Montgomery, Featured Artist dieser Ausgabe, dessen Poesie auf Billboards den öffentlichen Raum in einen Resonanzraum für »collective internal monologues« verwandelt. In einer von Umstürzen gezeichneten Gesellschaft misstrauen wir dem Begriff, so dass uns die Poesie, aber nicht die der Reformen und Revolutionen in ihren Bann ziehen kann. Es geht nicht um Sieg oder Niederlage. »Transformation ist Verunsicherung«, so die Soziologin Maren Lehmann. Und die hat viele Namen. Sie ist »a raw fishhead full of love«, sagt MusikerIn CHRISTEENE. Sie verliert sich zunehmend in Richtungslosigkeit, so der amerikanische Schriftsteller Kenneth Goldsmith: »It doesn’t seem to matter what we’re moving as long as we are moving.«

Wir haben uns umgesehen: Die »Erfahrung von Veränderung« wird in der Next Society zu einem reparablen Schrecken, doch ein »dramatically extendet lifespan« erscheint vielen als Horrorvision, meint der Mediziner Aubrey de Grey, der das Sterben abschaffen will. Und vielleicht unterscheidet sich der antike Gilgamesch, der lernen musste, dass er nicht unsterblich ist, gar nicht so sehr vom Manager, der lernen muss, dass er nichts besitzt und dies produktiv nutzen muss: »Wir sind uns spielerisch und selbstreflexiv der eigenen Lüge bewusst«, so Thomas Oberender im Managertalk mit Dirk Baecker. Weitere Spielarten des Übergangs fanden wir u.a. im »Aufbruch der Boheme aus 1001 Nacht«, in »Protesten im digitalen Zeitalter«, im Gespräch mit Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus.

Die REVUE #13 ist ein Resonanzraum für all diese Stimmen, in dem immer wieder die Frage nachhallt: Ist eine Next Society eher als Wiedereinführung verlorener Möglichkeiten zu verstehen – und weniger als deren Ablösung?

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Wir waren jung und meinten es ernst!
© Katharina Reinsbach