Tschick habe ich mir aus Verlegenheit gekauft. Es war in der Inselbuchhandlung auf Hiddensee, und ich wollte eigentlich, in typisch-klischeehafter Ostsee-Romantik-Stimmung, Judith Zanders Dinge, die wir heute sagten lesen, das war aber nicht vorrätig, also griff ich zu Tschick, das zu diesem Zeitpunkt schon in die achte Auflage gegangen war und eine unterhaltsame Urlaubslektüre zu versprechen schien.
Wir hatten an diesem Tag schon ziemlich viel getrunken, genaugenommen hatten wir auf dem Segelboot schon zu trinken angefangen, waren nackt in die Ostsee gesprungen und mit nassen Handtüchern auf den Köpfen durch den Ort gelaufen. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – las ich die ersten Seiten von Tschick wie im Rausch und hatte schon am zweiten Tag auf Hiddensee das Buch zur Hälfte durch. Wenn man anfängt, sich das Lesen in Rationen einzuteilen, weiß man üblicherweise, dass es sich um ein ziemlich gutes Buch handeln muss. Ich habe Tränen gelacht bei Tschicks Inhaltswiedergabe von Brechts Keuner-Geschichte, getrauert mit Maik bei der Beyoncé-Niederlage und, als ich fertig war, gleich versucht das Buch noch einmal zu lesen, weil ich nicht damit einverstanden war, dass es so schnell vorbei war.
So schnell war es jetzt auch mit Wolfgang Herrndorf vorbei. Obwohl alle wussten, dass es nicht gut um ihn stand, seine letzten Blogeinträge immer düsterer geworden waren. Er hat viel zu wenig für uns hiergelassen, irgendwo las ich davon, dass wir von ihm noch mindestens fünf oder sechs der besten Romane der Zehner- oder Zwanzigerjahre hätten bekommen können. Jetzt bleibt nur eine fürs erste völlig überlastete Webseite. Die Welt ist nicht gerecht.
Fabian Thomas ist Herausgeber von The Daily Frown, dem Magazin für Musik, Literatur, Alltag. Er liebt alte Schallplatten, schöne Bücher und geht gerne zu Fuß, weil man so mehr mitkriegt.