Saul Bellow: Herzog

Posted on: Januar 22nd, 2014 by Fabian Thomas No Comments
saul-bellow-romaneIn den Vereinigten Staaten gilt er als der große Erzähler des 20. Jahrhunderts, er ist Nobelpreisträger und übte Einfluss auf so unterschiedliche Autoren wie Philip Roth und Ian McEwan aus: Die Rede ist von Saul Bellow, 1915 in Quebec geboren, 2005 bei Boston gestorben.

Der im Vergleich dazu im deutschen Sprachraum immer noch in weiten Teilen vorherrschenden Unbekanntheit Bellows suchte zuletzt der Verlag Kiepenheuer & Witsch entgegenzuwirken, und zwar mit einem edlen dreibändigen Schuber, der die Romane Die Abenteuer des Augie March, Herzog und Humboldts Vermächtnis umfasste; öffentlichkeitswirksam wurde Saul Bellow gar als „Obamas Lieblingsautor“ beworben.

Über Sinn oder Unsinn solcher Zuschreibungen lässt sich streiten – sicher sein kann man jedoch, dass jeder, der sich lesend mit der amerikanischen Gesellschaft im 20. Jahrhundert auseinandersetzt, irgendwann bei Saul Bellow landet. Gut auch: Wenn ein Autor nicht so bekannt ist, ist die Chance relativ groß, günstige Taschenbuchausgaben in Antiquariaten aufzustöbern. Mir ging es jedenfalls so, dass ich nach langjähriger Philip-Roth-Lektüre irgendwann einmal auch auf den Namen Saul Bellow stieß. Die Flohmarkt-Kiste in der Münchner Stadtbibliothek und ein Bücherverkauf am Amerika-Institut in der Schellingstraße taten ihr Übriges, und so fanden nach und nach die Romane des 1915 ursprünglich in Kanada geborenen Autors, der einen Großteil seines Lebens in Chicago verbrachte, den Weg in mein Bücherregal.

Als Entwicklungsroman, ebenbürtig zum Fänger im Roggen, gilt das 1964 erschienene Adventures of Augie March. Bis nach Afrika führte Bellow seine Helden, etwa in Henderson the Rain King. Mein Lieblingsbuch, in vielerlei Hinsicht ein Höhepunkt von Saul Bellows Schaffen, ist aber nach wie vor Herzog.

„If I am out of my mind, it’s all right with me, thought Moses Herzog“: Allein dieser Eröffnungssatz! Ein Satz, der in sich schon die ganze Ausweglosigkeit und stoische Grundhaltung seiner Hauptfigur birgt. Und mitten in das Geschehen führt: Herzog ist am Ende. Seine Frau hat ihn verlassen, er hat seine Stelle als Hochschullehrer verloren und sich ins ländliche Massachusetts zurückgezogen. Dort schreibt er Briefe, einen nach dem anderen, an alle Personen, die ihm etwas bedeutet haben: Seine Ex-Frau, seine Kinder, später auch scheinbar wahllos an Geistesgrößen wie Heidegger, Spinoza oder Nietzsche. Darin reflektiert er sein Leben, seine Verfehlungen und findet wieder langsam zu sich zurück. Zwischendurch gibt es allerdings noch zwei Exkursionen, die Herzog nach New York und Chicago führen, und fast kommt es dort vorzeitig zu einem tödlichen Showdown.

Ian McEwan stellte seinem Roman Saturday 2005 dieses Zitat aus Herzog voran:

„For instance? Well, for instance, what it means to be a man. In a city. In a century. In transition. In a mass. Transformed by science. Under organized power. Subject to tremendous controls. In a condition caused by mechanization. After the late failure of radical hopes. In a society that was no community and devalued the person. Owing to the multiplied power of numbers which made the self negligible. Which spent military billions against foreign enemies but would not pay for order at home. Which permitted savagery and barbarism in its own great cities. At the same time, the pressure of human millions who have discovered what concerted efforts and thoughts can do. As megatons of water shape organisms on the ocean floor. As tides polish stones. As winds hollow cliffs. The beautiful supermachinery opening a new life for innumerable mankind. Would you deny them the right to exist? Would you ask them to labor and go hungry while you yourself enjoyed old-fashioned Values? You—you yourself are a child of this mass and a brother to all the rest. or else an ingrate, dilettante, idiot. There, Herzog, thought Herzog, since you ask for the instance, is the way it runs.“

Kein Wunder, dass Saul Bellow unter heute schreibenden Autoren immer noch ein Maßstab dafür ist, wie man die Komplexität und das Paradoxon heutigen Lebens in zwei Buchdeckeln zusammenbringt. Wenn es nach mir geht, kann er das noch lange bleiben.

Herzog

Saul Bellow

Fischer Taschenbuch, 2011

10,99 €

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Fabian Thomas ist Herausgeber von The Daily Frown, dem Magazin für Musik, Literatur, Alltag. Im ocelot Blog stellt er in der Rubrik Classics einmal im Monat Lieblingsbücher und Wiederentdeckungen vor und beobachtet die Literaturszene der Hauptstadt. Außerdem ist er selbst Mitgründer des digitalen Verlags shelff, der im Dezember die ersten beiden E-Books veröffentlichte.

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