
Was macht eigentlich einen guten Verlag aus? Warum ist es überhaupt wichtig, dass es viele unterschiedliche Verlage gibt? Und was ist das Besondere an Independent-Verlagen? Sechs Antworten von Leuten, die es wissen müssen.
Jörg Sundermeier, Verbrecher Verlag: Der Indiebookday ist eine wunderbare Erfindung der Kollegen vom mairisch Verlag. Denn er macht darauf aufmerksam, dass es abseits vom Mainstream viele Romane und Erzählungen sowie vor allem Essays, Gedichte, Theaterstücke und Aufsätze zu entdecken gibt, an die sich die großen Verlage nicht mehr heraustrauen (weil sie es sich angesichts ihres großen Apparates nicht mehr leisten können). Wir aber, die wir in kleineren Verlagen arbeiten, die wir unabhängig sind von Renditeerwartungen großer Verlagskonzerne und die wir – leider – auch in Sachen Selbstausbeutung zu großen Experten geworden sind, wir können uns Titel leisten, die uns einfach nur Spaß machen. Und nicht selten ist das, was uns Spaß macht, auch das, was viele andere interessiert, so sie neugierig auf Neues sind. Davon redet der Indiebookday, nicht von ökonomischer Größe der Verlage (und der Buchhandlungen), sondern von der Neugierde derer, die hier wie dort arbeiten. Und die die Neugierde Dritter bedienen – und nicht irgendeine bloße Vorstellung davon, was Gaby, 40, Hausfrau, und Tom, 33, Freeclimber, sich so wünschen könnten. Wir denken in Menschen, nicht in Werbeklischees.
Selma Wels, binooki Verlag: Independent-Verlage machen aus meiner Sicht die deutsche Verlagslandschaft wesentlich bunter und bereichern uns alle um die noch eine oder andere Facette, die wir sonst nicht zu fassen bekämen. Unser Verlag widmet sich zum Beispiel der jungen türkischen Literatur, die erst jetzt so richtig wahrgenommen wird in Deutschland. Aber nicht nur wir, sondern die meisten Independent-Verlage haben in der Regel einen ganz bestimmten Fokus. Das bedeutet, dass sie das, was sie machen, eben darum ziemlich gut machen, weil sie sich nur darauf konzentrieren. Da ist aber noch diese eine andere Sache, die die Indies so besonders schön macht: Dieses Herzblut, diese Leidenschaft, dieses dafür „brennen“. Und die Kreativität: Weniger finanzielle Mittel erfordern ein höheres Maß an Kreativität. Man sehe und staune, was dabei alles entsteht: So schöne Initiativen wie der Indiebookday eben. Und ohne den Indiebookday wollen wir auch gar nicht mehr sein.
Katy Derbyshire, Übersetzerin und Bloggerin (love german books): Für mich sind unabhängige Verlage die großen Experimentierer, die oft – aus welchem Grund auch immer – nicht unbedingt auf Gewinn vor Qualität schielen. In meinem Beruf als Übersetzerin ins Englische arbeite ich überwiegend mit Indies, weil Bücher aus anderen Sprachen in der englischsprachigen Welt als Risikogeschäft gelten. Ich bin dankbar dafür, dass kleine Verlage noch Risiken eingehen und uns aufregende Leseerfahrungen ermöglichen. In meinem ganz persönlichen Fall: Helene Hegemann, Clemens Meyer, Inka Parei, Dorothee Elmiger, Felicitas Hoppe, Christa Wolf... ja, auch Autoren, die hier als große Namen gelten, werden auf Englisch als Exoten betrachtet und von kleinen Klitschen veröffentlicht, in denen leidenschaftliche Menschen wahnsinnig viel Zeit und Liebe in ihre und meine Bücher stecken. Unsere Bücher – vielleicht bringt es dieses kleine Wort auf den Punkt: bei Independent-Verlagen habe ich oft das Gefühl, es wird eine brennende Liebe großzügig mit der ganzen Welt geteilt.
Nikola Richter, mikrotext Verlag: Dass in der Kontaktinformation auf den Webseiten der großen Verlage heutzutage immer seltener eine Stadt erwähnt wird („unless you count Random Penguin House as a city“), beobachtete kürzlich die Übersetzerin und kluge Bloggerin Lucy Renner Jones – auf Facebook. Ich habe sie natürlich gefragt, ob ich sie hier zitieren darf, denn auch wenn es einige immer mal wieder anders verstehen: Facebook ist ein halböffentlicher Ort, je nach Privatsphäre-Einstellung. Und: Es ist ein großes Schreibarchiv. Interessanterweise gehört nämlich alles, was man dort einstellt, immer noch einem selbst: „You own all of the content and information you post on Facebook“ (aus dem Statement of Rights and Responsibilities). Mir gefiel Lucys Beobachtung, aber nicht die Tatsache. Denn auch, wenn das Verschwinden von geopolitischen Begrenzungen im Bereich der globalen Politik und des globalen Bürgerengagements (Anti-Atomkraftbewegung, Occupy, crowd campaigning, Anti-Überwachungskampf) von Vorteil ist, so finde ich eine örtliche Zuordnung im verlegerischen Bereich sehr notwendig. Ein verorteter Verlag hat ein Gesicht, eine Persönlichkeit und mindestens einen Schreibtisch. Und deshalb sind die Indie-Verlage so wichtig. Im Print- genauso wie im Digitalverlagsbetrieb stellen sie sich mit erkennbarer Stimme und Programm gegen die anonymen Großkonzerne, sind ansprechbar, engagiert, vor Ort. Und alles, was sie tun, verantworten sie vor sich selbst, nicht vor einem darüber geschalteten Management oder Vorstand. Sie gehören sich selbst.
Leif Greinus & Sebastian Wolter, Voland & Quist: Indie-Verlage werden gebraucht, mehr denn je. Während die großen Konzernverlage zunehmend Einheitsware, beispielsweise von Ghostwritern verfasste Bücher von TV-Stars/Prominenten oder internationale Bestseller, veröffentlichen, kümmern sich Indieverlage um das Ungewöhnliche und (noch) Unbekannte. Indieverlage scheren sich nicht darum, welche Trends gerade auf dem Buchmarkt stattfinden, kontinuierlich und starrsinnig entwickeln sie ihr Programm – „jeder Verlag eine eigene Welt“, wie mal ein Kollege so treffend sagte. Indie-Verlage ermöglichen dem interessierten Leser Entdeckungen. Im besten Falle ist ein Indie-Verlag wie ein guter Freund, der einen durchs Leben begleitet und einem immer wieder neue, interessante Bücher empfiehlt.
Sebastian Oehler, Reprodukt Verlag: Das viel zitierte Herzblut und die Leidenschaft kann man mit Sicherheit, auch wenn es manchmal anders scheinen mag, ebenfalls bei den „Großen“ finden. Das schöne an Independent-Verlagen ist die Möglichkeit, die aus Herzblut und Leidenschaft entstehenden Ideen schneller und kompromissloser umsetzen zu können. Ein Budget lässt sich schon irgendwie und irgendwo auftun... und wenn man die Bücher selbst mit der Sackkarre bei den Buchhandlungen vorbeibringt. Damit beleben Independent-Verlage die Verlagslandschaft auf eine Art und Weise, die größeren, in Konzernstrukturen eingebundenen Verlagen öfter einfach nicht möglich ist. Independents wirken als wichtige Impulsgeber, geben Autoren Freiräume ohne allzu großen wirtschaftlichen Druck und haben Geduld auch mit Büchern, die älter als ein halbes Jahr sind. Das und noch viel mehr sind genug Gründe, die Independent-Verlage an einem schönen Tag im März herauszustellen, zu feiern und ihre Bücher zu kaufen.
Fabian Thomas ist Herausgeber von The Daily Frown, dem Magazin für Musik, Literatur, Alltag. Im ocelot Blog beobachtet er die Literaturszene der Hauptstadt. Außerdem ist er selbst Mitbegründer des digitalen Independent-Verlags shelff, der im Dezember 2013 die ersten beiden E-Books veröffentlichte.
Verwendetes Bildmaterial: Ausschnitte der jeweiligen Verlagsprogramme