Carson McCullers: A Tree, a Rock, a Cloud

Posted on: Mai 8th, 2014 by Fabian Thomas No Comments
carson-mccullersEin eher ungewohnter Blick: The Ballad of the Sad Café in Knallbunt (gefunden bei Strand Books)

Carson McCullers wurde 1917 in einer Kleinstadt in Georgia geboren, etwas mehr als fünfzig Jahre später starb sie in Upstate New York. Ein glückliches Leben war ihr kaum beschieden: Rheuma, Herz- und Kreislaufprobleme begleiteten sie, ein Schlaganfall führte zur halbseitigen Lähmung; ihr mittleres bis schweres Alkoholleiden war da auch alles andere als zuträglich.

Vielleicht sind deswegen, einem alten Künstlerklischee zufolge, in den Jahren nach ihrem Tod bei Carson McCullers stets das große Empathievermögen, die Vorliebe für Figuren am Rande der Gesellschaft und eine sensible Schilderung des Südstaaten-Mikrokosmos hervorgehoben worden. The Heart is a Lonely Hunter, der berühmte Debütroman, erschienen 1940, steht schon mit seinem mottohaften Titel sinnbildlich für die Themen, die Carson McCullers immer gerne zugeschrieben werden: Liebe, Einsamkeit, Bitterkeit, das passt doch nur zu gut ins rührselige Bild der sensiblen, vom Leben geprüften Autorin. Ähnlich wie bei Sylvia Plath oder Ingeborg Bachmann scheint es auch in diesem Fall unmöglich, einen klaren, unverstellten Blick auf die literarische Arbeit von Carson McCullers zu werfen. Ihre Bücher werden währenddessen regelmäßig als hübsche Klassikerausgaben neu aufgelegt, der Kanon scheint seinen Platz für sie gefunden zu haben.

Wer es trotzdem wagen möchte, Carson McCullers' literarisches Können jenseits von allen Autobiographismen und vorgefassten Klischees in einer packenden Liebesgeschichte zu erleben, dem sei die Kurzgeschichte „A Tree, A Rock, A Cloud“ ans, nun ja, Herz gelegt. Hier spielt Carson McCullers mit großer Raffinesse das Überraschungsmoment einer zufälligen Begegnung aus: Ein offenbar betrunkener Mann an der Bar beginnt völlig aus dem Blauen heraus ein tiefsinniges Gespräch mit einem Zeitungsjungen. Aber statt in Weinerlichkeit oder sinnloses Geplapper zu verfallen, führt er dem Jungen – und damit gleichsam dem Leser – seine herzzereißende Lebensgeschichte, die gleichzeitig eine Liebesgeschichte ist, vor Augen. Und die geht so durch Mark und Bein, dass man sich danach am liebsten zu dem Erzähler an die Bar setzen möchte: „Son, do you know how love should be begun? A tree. A rock. A cloud.“

Nachzulesen in den gesammelten Erzählungen von Carson McCullers, etwa der Ausgabe aus dem Diogenes Verlag, oder im englischen Original bei Penguin Classics.

Gesammelte Erzählungen

Carson McCullers

Diogenes Verlag, 2004

19,90 €

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Fabian Thomas ist Herausgeber von The Daily Frown, dem Magazin für Musik, Literatur, Alltag. Im ocelot Blog stellt er in der Rubrik Classics einmal im Monat Lieblingsbücher und Wiederentdeckungen vor.

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