
(vielleicht doch) ein Märchen 2.0
Vielleicht erinnern Sie sich noch an Glenkill, den Krimi, in dem Schafe ermittelten. Leonie Swanns neuer Roman Dunkelsprung hält es da sogar noch fantastischer: In einem London der Gegenwart lässt der Flohzirkusdirektor Julius Birdwell seine verstorbenen Flohartisten von dem Fabelwesen Elizabeth Thorn aus dem Reich der Toten zurückholen. Im Gegenzug soll er ihr helfen, die anderen Fabelwesen aus den Fängen des Magiers Fawkes zu befreien. Ihnen zur Hilfe kommt der Privatdetektiv Frank Green, der sich mit einem Vergessenshypnotiseur von seiner Vergangenheit als korrupter Kommissar befreit hat, eine liebenswerte alte Dame mit einer Feder, die Labyrinthe durchqueren hilft und ein flauschiger Drache.
Julius, jüngster Spross einer traditionsreichen Diebesfamilie, will mit all dem nichts zu tun haben und führt ein - so lange ihn die zwielichtigen Gestalten Londons in Ruhe lassen - glückliches Dasein als Flohdompteur und Goldschmied. Als dieser befreit er seine vornehmlich weibliche Klientel von verfluchten Edelsteinen, die manchmal nur eine neue Fassung benötigen, um ihre Trägerin nicht mehr mit Schwermut und Unglück zu quälen. Als er vor einem nächtlichen Verfolger zur Rettung in die Themse springt, rettet ihn eine Nixe, die ihn bittet, ihre Schwester zu suchen. Und weil seine Flöhe das nächtliche Bad mit dem Leben bezahlen mussten, lässt er sich notgedrungen auf die hübsche Frau mit den tiefgrünen Augen und den kleinen Hörnchen am Kopf ein, die seine Flöhe wiederbeleben kann und ihrerseits Hilfe benötigt: Denn unzählige Wesen wie sie werden von dem bösen Magier Fawkes gefangen gehalten.
"Niemand ist einfach nur, was er ist. Und niemand ist vollkommen das, was andere in ihm sehen. Wir sind alle etwas dazwischen, mehr oder weniger dazwischen. Du mehr, ich weniger."
Herrlich beiläufig wie ebenso märchenhaft schreibt Swann ihre fantastische Abenteuergeschichte. Niemand wundert sich beim Lesen, dass Frauen Hörner haben, Flöhe per Telepathie kommunizieren, jemand unsichtbare Socken strickt, oder putzige kleine Drachen existieren. Mit einer modernen Leichtigkeit vergisst die Autorin dabei auch nicht, dass Märchen - auch wenn der Untertitel des Romans behauptet, es sei keines - eine Moral und ein "Sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage" haben müssen.
Mit einer sanften poetischen Sprache lässt sie kleine Weisheiten einfließen und lullt ihre Leser liebevoll in eine Märchenwelt ein, die jeder von uns als Kind wohlig genossen hat. Die detailreich gezeichneten Figuren lassen hoffen, dass Swann noch weitere Fälle für ihr ungewöhnlich buntes Ermitterlteam in petto hat.
Die Hörbuch-Version wird mit leisem Charme und samtig gelesen von Andrea Sawatzki, hier passt der ruhige Ton und haucht Birdwells London magisches Leben ein.
Dunkelsprung
- Autor: Leonie Swann
- Verlag: Goldmann
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Julius Birdwell, Flohzirkusdirektor und Goldschmiedemeister gerät unversehens in ein phantastisches Abenteuer, bei dem er nicht nur eine Meerjungfrau retten muss.
Mehr möchte ich über die Geschichte gar nicht sagen, man muss sie selbst lesen, sie ist verrückt, voller skurriler Charaktere, unerwarteter Wendungen, oft ist nichts so, wie zunächst gedacht.
Ich habe ein paar Seiten gebraucht, um in die Geschichte zu finden, doch dann hatte sie mich gepackt und erst ganz am Ende wieder losgelassen, dazwischen fiel es mir mehr als schwer, den Roman überhaupt aus der Hand zu legen. Man muss sich einlassen auf die Geschichte, dann eröffnet sich ein Feuerwerk bizarrer Ideen und Charaktere. Auch wenn es manchmal scheint, als sei die Logik abhanden gekommen, sie findet sich immer wieder und am Ende macht alles Sinn.
Erzählt wird mit sehr viel Humor, wunderbaren Details und herrlichen Bonmots. Die Figuren sind alle gut durchdacht und sehr gut gezeichnet, sie sind allesamt herrlich skurril, seien es Menschen, Tiere oder andere Wesen. Die Handlung spielt in der heutigen Zeit, auch wenn man sich hin und wieder in ein früheres Jahrhundert versetzt vorkommt, insgesamt trägt das sehr zum Charme der Geschichte bei.
In einem Interview deutet Leonie Swann an, dass es ev. ein Wiedersehen mit den Charakteren geben könnte. Nötig ist das nicht, denn, obwohl die Geschichte durchaus nicht abgeschlossen ist, kann sie für sich stehen, der phantasievolle Leser (der wird sowieso benötigt) ist zufrieden und denkt sich die weitere Entwicklung selbst. Jedoch – schön wäre ein Wiedersehen in Romanform wohl trotzdem.
Sehr gut gefallen hat mir, dass das Buch mit einigen Extras aufwartet, neben einem Lesebändchen gibt es ein Personenverzeichnis, das nicht zu viel verrät, und als Nachwort „Ein Blick hinter den Vorhang“, in dem die Autorin erzählt, wo sich Fakten verbergen.
Insgesamt ein ganz besonderes Buch, für phantasiebegabte Leser, dem ich viele Leser wünsche und das von mir eine uneingeschränkte Leseempfehlung erhält.