
Down London - der Ort wo Monster, Verräter und Engel leben - oder sollte es eher lauern heißen?
Am Freitag hatte ich noch einen wohl dotierten Job als Investmentbanker, eine umwerfend schöne, intelligente und ehrgeizige Verlobte aus bestem Hause, ein Heim in einer der angesagtesten Gegenden Londons und ein Leben, das einen Sinn ergab. Dann fand ich ein blutendes Mädchen auf dem Bürgersteig und gab den barmherzigen Samariter. Seitdem ist nichts mehr, wie es vorher war! Verlobte - weg, Job - perdu, Wohnung - vermietet, Bankkarten - nicht akzeptiert - mein offizielles Dasein - gelöscht. Jetzt laufe ich durch eine Kulisse aus einem Horrorfilm fünfzig Meter unter den Straßen von London, und meine Lebenserwartung gleicht der einer Eintagsfliege.
In diesem anderen London gibt es tausende von Menschen. Menschen, die durch das soziale Netz gefallen sind, die durch die Ritzen unserer modernen Welt abgetaucht sind, Menschen, die so unglaublich das auch klingen mag, hier unten geboren wurden. Dann sind da noch Wesen - merkwürdige, angst einflößende, grausame Wesen. Und es gibt Engel, besser gesagt, einen Engel. Eigentlich will ich ja nur ein langweiliges, geordnetes Leben zurück, doch mein Schicksal will es anders. Ich schließe mich dem Mädchen an, das ich blutend gefunden habe und erkunde eine Stadt, die es für die da oben nicht gibt. Verfolgt von zwei Assassinen, die ihre Kunst seit Jahrtausenden ausüben treffe ich auf Rattensprecher, Bestien, Hüter und andere interessante Wesen. Interessant im Sinne von gefährlich, mörderisch, verschlagen, gnadenlos. Und dennoch habe ich hier, bei aller Angst, die mich umtreibt, vielleicht das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, etwas Wichtiges, etwas Richtiges, etwas Sinnvolles zu machen - auch wenn meine Überlebenschancen kaum vorhanden sind - noch lebe ich ...
Der Debütroman Gaimans erstmals ungekürzt und in der von Autor ergänzten Fassung
Neil Gaiman ist ein besonderer Autor. Wie kaum ein anderer Verfasser der phantastischen Literatur ist er nicht nur stilistisch versiert, sondern auch mit einer unglaublichen Phantasie ausgestattet, die es ihm ermöglicht, weit ab der bekannten, ausgetretenen Pfade zu verzaubern. Vorliegender Roman ist sein Erstlingswerk und wurde vor mehr als 10 Jahren bereits im Heyne Verlag aufgelegt. Dennoch ist dies ein neues, ein anderes Buch als der Roman von Damals. Dazu muss man wissen, dass Gaiman sich den Plot ursprünglich für eine BBC Fernsehserie hat einfallen lassen. Der Roman entstand parallel zum Dreh und erschien zunächst in einem kleinen britischen Verlag. Für die spätere US-Ausgabe überarbeitete und erweiterte der Autor dann seinen Text. Vor einigen Jahren nun, wandt Gaiman sich dem Roman erneut zu, fügte beiden Versionen zusammen, schrieb um, kürzte und erweiterte und legte einen neuen, deutlich längeren Director's Cut vor. Und was für ein tolles Buch ist das geworden. Der Verlag hat dem Roman noch einige Originalillustrationen von Saskia Wragge spendiert, dazu kommt eine Kurzgeschichte um eine der Hauptfiguren des Romans, die als Zugabe nachgereicht wird.
Inhaltlich besticht der Autor mit einer Welt, wie man sie so noch nicht gelesen hat. Die Stadt unter der Stadt wirkt dabei gleichzeitig anheimelnd und gefährlich, verspielt aber auch einer ganz eigenen Ordnung folgend. Wir besuchen malerische Orte und Märkte, dann wieder gefährliche, von Ungeheuern bewachte Brücken, fahren durch vergessene und aufgegebene Tubestollen zu Haltestellen, die es nicht gibt und lernen gar faszinierend andere Figuren kennen. Dabei sind es gerade diese Gestalten, die dem Roman ihr Gepräge geben. Vielschichtig sind sie, rätselhaft, faszinierend und liebevoll gezeichnet. Und wir lernen Verräter kennen, Mörder, Verrückte und Ungeheuer, die, obzwar deutlich negativ besetzt, uns ebenso an die Seiten fesseln, wie die Protagonisten selbst. So unwahrscheinlich es klingt - die Kombination aus vergessenen Herrschern, intelligenten Ratten, verlorenen Menschen und einem Engel, sie funktioniert - und dies bestens. Man fühlt sich als Leser gut aufgehoben in dieser so anderen Welt, erlebt haarsträubende Abenteuer, gewinnt und verliert Freunde, wird enttäuscht und triumphiert - wie im richtigen Leben. So ist dies ein Buch, das uns packt, die Realität um uns herum vergessen lässt und uns in eine so unmöglich dies scheint märchenhaft reale Welt entführt.

Niemalsland - ungekürzt
- Autor: Neil Gaiman
- Verlag: Eichborn
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Ich finde den Roman, den ich sowohl in der gekürzten, als auch in der längeren Orginalversion gelesen habe, immer wieder spannend und fantasievoll. Ab und zu lese ich einen Abschnitt und bin begeistert. Einer meiner Lieblingsromane - ich würde gerne die ewähnte ursprüngliche Fernseh-Serie von BBC kennenlernen.
9/10
Unterhaltsamer, aber durchschnittlicher Fantasyroman mit einem altbekannten Thema. Ein »Otto Normal« gerät durch Zufall in eine magische (Londoner) Parallelunterwelt und erlebt dort verschiedene Abenteuer inmitten der Kreaturen, die diese Unterwelt bevölkern.
Wie in diesem Dramaturgie-Genre üblich ist die Hauptperson wider Willen am Anfang ein willensschwacher Angsthase ohne besondere Eigenschaften und reift dann im Laufe einiger lebensgefährlicher Abenteuer zum Helden heran.
Leider hat es Autor Gaiman nicht geschafft, dieser schon aus Kindermärchen bekannten Storyline einen wirklich einzigartigen Kniff zu geben. Wer bereits einige Geschichten dieses Typs gelesen hat, kann die Handlung des jeweils folgenden Kapitels fast selbst weitererzählen.
Mein Fazit: Dieser Debutroman von Gaiman ist lesbar, aber ohne Alleinstellungsmerkmal. Die späteren Romane von Gaiman sind sehr viel besser, böser und fantasievoller.
6,5/10
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