
Ein düsteres, kraftvolles Erstlingswerk zwischen Suggestion und Realität
";Gütiger Himmel, Bobby, dafür soll ich die Frühjahrsausgabe freihalten? Das handelt von einer Dame, die sich von hinten vögeln lässt, während sie das Blut eines geköpften Mannes trinkt. Oder habe ich etwas übersehen?".
Robert Luczak, amerikanischer Herausgeber fernöstlicher Dichtung, begibt sich in Kalkutta auf die Spuren des vor Jahren verschwundenen und für tot erklärten Dichters N. Das. Von diesem ist angeblich ein neues Manuskript aufgetaucht, das Luczaks amerikanische Auftraggeber erwerben wollen. In der fremdartigen Metropole gestaltet sich die Suche nach dem Manuskript als Albtraum, in den letztlich auch Luczaks Familie hineingezogen wird.
Der Roman beginnt in den rational und zynisch geprägten Vereinigten Staaten von America. Bevor Robert Luczak in die albtraumhafte Metropole von Kalkutta geschleudert wird, erfährt der Leser noch etwas über seine idealistische Motivation. Bereits hier werden erste Ratschläge und Warnungen bzgl. Kakutta gegeben. Spontan fällt das Wort Miasma, wenn eine Beschreibung der Stadt gefordert ist.
Und tatsächlich bewegt sich Luczak schon direkt nach der Ankunft durch die fremde und bedrohliche Metropole wie durch einen zähflüssigen Albtraum, stets auf den vagen Spuren des verschwundenen indischen Dichters. Besser gesagt - er wird bewegt, geschehen doch die meisten seiner Schritte fremdbestimmt durch die Kontaktleute seiner Auftraggeber. Zusammen mit Luczak folgt der Leser den Einheimischen in das traumartige Zwielicht Kalkuttas und hört Geschichten über wiedererweckte Tote, die nun in den Diensten der Göttin Kali stehen, um deren Anhängerschaft zu vergrößern. Einer dieser Wiedererweckten soll der verschwundene indische Dichter sein. Die Spurensuche geht weiter, bis die Bedrohung für Luczak und seine Familie schließlich äußerst real und lebensbedrohlich wird. Stets scheint Kali riesenhaft im Hintergrund zu stehen und die Geschicke der Figuren zu lenken. Dabei bleibt über weite Strecken unklar, ob es sich tatsächlich um übernatürliche Ereignisse handelt oder ob sich Luczak, überfordert durch die extreme Fremdartigkeit Kalkuttas, alle scheinbaren Zusammenhänge nur einbildet. Schließlich ist es seine subjektive Sicht der Dinge, die dem Leser vermittelt wird.
Den heftigsten Schock spart sich Dan Simmons für das nahe Ende auf. Die Enthüllung, was tatsächlich mit seiner entführten Tochter geschehen ist, wirkt stärker nach als alle zuvor erlebten surrealen Begegnungen mit Kalkuttas Schattenwelt. Trotz dieses äußerst realen Horrors und dem nachfolgenden Absturz Luczaks, schafft es der Autor, ein versöhnliches und dennoch stimmiges Ende zu ersinnen, in den Robert Luczak aus der andauernen Nacht seiner eigenen Seele wieder ans Licht gelangt.
Die Handlung des Romans ist nicht klar zu fassen. Es handelt sich eher um episodenhafte Erlebnisse, die zwar durch die andauernde Suche nach dem indischen Autor verbunden sind, aber trotzdem nicht durchgängig erscheinen. Oft handelt Luczak nicht selbst, sondern folgt seinen Führern scheinbar wahllos in das Zwielicht von Kalkutta. Auch Kali hat in Persona keinen Auftritt und doch ist ihr Wirken und ihr Einfluß (auch wenn dieser lediglich in den Köpfen der Beteiligten stattfindet) stets präsent.
Dan Simmons´ klare Sprache steht im Gegensatz zur teilweise surrealen Handlung. Dies trägt dazu bei, dass die Geschehnisse noch fremdartiger und bedrohlicher wirken. Obwohl ich persönlich immer eine fehlende Motivation des Bösen bemängele, halte ich diesen Umstand in "Göttin des Todes" nicht für einen Schwachpunkt. Kali beherrscht Kalkutta wie eine gigantische Spinne und Robert Luczak gelangt auf seiner Suche in die Fäden ihres Netzes. Kali gab es vor Luczak und wird es auch nach ihm noch geben. Dass das Böse nicht durch den Helden vernichtet wird ist vielleicht die Besonderheit des Romans.
Der Name von Luczaks Tocher Victoria Regina erinnert in Verbindung mit Kalkutta unweigerlich an die britische Kolonialherrschaft in Indien. Dies jedoch ohne den zunächst zu erwartenden negativen Beigeschmack, ist doch die Popularität von Königin Victoria in Kalkutta nach wie vor ungebrochen.
";Göttin des Todes" wurde als bester Roman des Jahres 1985 mit dem ";World Fantasy Award" ausgezeichnet. Die deutsche Übersetzung wurde angefertigt von Joachim Körber, dem ehemaligen Stammübersetzer von Stephen King. Nach dem Erscheinen im Heyne-Verlag wurde ";Song of Kali" unter seinem Originaltitel in überarbeiteter Form auch nochmals in Joachim Körbers Liebhaber-Reihe ";Edition Phantasia" als Paperback veröffentlicht.

Song of Kali
- Autor: Dan Simmons
- Verlag: Heyne
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Es ist schwer zu erklären, was die Faszination an Dan Simmons ausmacht - Fakt ist: Auch mit seinem Erstlingswerk "Song of Kali" gelingt ihm das, woran wieviele Autoren bei mir scheitern: Nachdrückliche, eindringliche Bilder entstehen zu lassen und mittels Worten Gefühle zu erzeugen, welche sich aufgrund der rauhen Schale sonst eher weigern, zutage zu treten. Diesen Ausflug in den Moloch Kalkutta, diese weitläufige Metropole voll Armut, Schmutz, tosendem Lärm und unerträglichen Gestank, werd und kann ich wohl ganz sicher nicht so schnell vergessen. Und es sind auch diese bildhaften, stimmungsvollen Beschreibungen, welche nachwirken. Der feinziselierte Horror findet vor allem unterschwellig statt. Simmons' Realität, sein Abbild des Elends, trifft schwerer, als die düsteren Gegenspieler. Und der geschilderte familiäre Schicksalsschlag hat mir auf schmerzhafte Weise die Kehle zugeschnürt. Einfach bewundernswert, wie der Autor, aus einem im Grunde einfachen Plot, so etwas schmieden kann. Wie er Lachen und Weinen vereint, Tiefgang und Kurzweil verbindet. Und die Bilder bleiben, wie der "Song of Kali", lange im Kopf. Ein starker, nur an wenigen Stellen etwas zu verspielter Debütroman, der immer wieder überrascht, da er nie das bietet, was man vorher erwartet hat. So gut schreiben wie Simmons, das können nur wenige.
Nach "Terror" und "Drood" ist das mein drittes Buch von Dan Simmons, sein Erstlingswerk. Und es hat mich endgültig davon überzeugt, dass dieser Mann schreiben kann. Dass er gern als SciFi- und Horroroautor gehandelt wird, mag an seinen weiteren Werken liegen, ich schätze ihn vor allem als einen Autor, der mit den richtigen Worten Bilder im Kopf der Leser erschafft, die nicht so schnell wieder verschwinden.
"Göttin des Todes" ist in erster Linie das Bild einer Stadt, die sich in den 30 Jahren seit Entstehen des Buches sicher nur unwesentlich verändert hat. Dreck, Slums, Armut, Lärm, Gestank, ein undurchdringliches Wirrwarr von Gassen - so stelle ich mir Kalkutta vor. Untrennbar damit verbunden sind Kriminalität, Fanatismus und für uns nicht nachvollziehbare religiöse Riten, die in Simmons\' Geschichte für den Gruselfaktor sorgen. Für echte Emotionen ist das Verhältnis der Hauptfigur Robert Luszak zu seiner Familie zuständig, das als Gegenpol zu all den Grauslichkeiten steht, und deren Schicksal einem die wahre Gänsehaut über den Rücken jagt.
In seiner trockenen Art erzählt Simmons von Luczaks Suche nach dem verschollenen Dichter, von der Schnitzeljagd durch eine Stadt, in der sich ein Europäer nicht zurechtfinden kann. Er spricht von Literatur und verweist in seinen Zitaten vor jedem Kapitel immer wieder darauf, wie viele Autoren diese Stadt schon beschäftigt hat. Trotz der traurigen Thematik bringt Simmons den Leser immer wieder zum Schmunzeln, und lässt ihn am Schluss hoffen, dass die Welt, auch im Zeitalter der Kali, doch noch eine Chance hat.
Alles in allem ein intelligentes berührendes und wirklich spannendes Buch, für das man trotz des Fehlens echter Horror-Elemente starke Nerven braucht.
Detlef Bierstedt liest das Hörbuch (ungekürzt exklusiv bei audible.de), wie immer, mit viel Einsatz und verleiht vor allem den Randfiguren noch zusätzlich Charakter. Ein Hörbucherlebnis der besonderen Art, würde ich sagen!
Ich kann mich eigentlich nur anschließen, alles wesentliche wurde gesagt.
Ultraviolet hat es ziemlich gut mit "verstörender und beängstigender Grundstimmung" getroffen. Hatte irgendwie ständig ein "bedrücktes" (weiß nicht ob´s das richtig trifft) Gefühl beim Lesen.
Wenn man sich zwischendurch bewusst wird wie nahe manche Dinge dem realen Zustand sind, fand ich das errschreckend.
Möchte hiermit einfach nur eine Empfehlung ausprechen, da dieses Buch mal wieder ganz anders zu lesen war.
Ein spannendes Erstlingswerk, dass sich glücklicherweise nicht nur an dem Genre des "reinen" Horrors orientiert, sondern darüber hinaus auch sehr interessante Einblicke in das Innenleben der indischen Gesellschaftskultur und der hinduistischen Mythologie vermittelt.
Die geniale und bildhafte Beschreibung des urbanen Molochs Kalkutta mit all seinem Dreck und Elend bewirkt in Kombination mit der eigentlichen Erzählung eine verstörende und beängstigende Grundstimmung, welche sich bis zur letzten Seite des Buches konsequent durchzieht und den Leser in seinen Bann zieht!
Wenn ich den ganzen Sonntag ein Buch nicht aus der Hand lege, dann muss es mir gefallen haben. „Song of Kali“ aber als„gut“ zu titulieren fällt mir schwer. Eigentlich sind es eher negative Adjektive, die mir einfallen, aber diese Gefühle wollte der Simmons wecken. Also ist es doch gut.
Die Art und Weise wie er Kalkutta und deren Bewohner beschreibt, stösst ab. Selten fühlte ich ein körperliches Unwohlsein beim lesen wie hier, wenn der Protagonist hilflos (keine Orts- und Sprachkenntnis) durch die Gassen gelotst wird. Wenn Hieronymus Bosch Sodom und Gomorrha gemalt hätte, wäre Simmons Kalkutta seine Vorlage gewesen.
Gibt es einen Plot? Der ist in meinen Augen nicht der Rede wert. Dieses Buch lebt nur von der meisterlichen Beschreibung Kalkuttas und der Hilflosigkeit des Protagonisten. Hätte man den Stoff dieses Buches einem anderen Autor gegeben, wäre es gründlich in die Hose gegangen.
„Song of Kali“ als Horror zu verkaufen, finde ich weit aus dem Fenster gelehnt und auch seine Berechtigung auf der Phantastik-Couch stelle ich in Frage. Es gibt nur zwei Aspekte, die fantastischer Art sein könnten und diese könnten entweder geträumt oder getrickst sein.
Es ist ein verstörendes Buch, dass mich nachdenklich einschlafen lies. Viele Fragen blieben offen, aber vergessen werde ich „Song of Kali“ nicht so schnell.
Was soll man zu diesem Buch noch schreiben. In vielen Fanzines ist so viel zu Simmons Erstlingswerk gesagt worden.
"Song of Kali" (der deutsche Titel ist nicht zutreffen) ist ein Roman, der einen fesselt und der es dem Leser unmöglich macht, auch nur eine Pause einzulegen.
Warum? Zum einen ist es die lebendige Sprache des Autors, weiterhin ist es die Geschichte und letztlich ist es die Stadt Kalkutta als Handlungsort, welches den Erfolg garantiert.
Zudem ist es interessant in die indische Mythologie einzusteigen.
Fazit: Ein Meisterwerk und unbedingt zu empfehlen.