
Das etwas andere Universum
Stellen sie sich vor, sie steigen in einen klassischen Doppeldecker und fliegen damit zum Mond. Unterwegs kreuzen einige Himmelswale ihre Bahn, die gemütlich im Orbit eines Planeten treiben. Sie meinen, das klingt ganz schön verrückt oder nach einer Parodie? Weder noch… Adam Roberts stellt das ganze Universum einfach auf den Kopf und alle uns bekannten physikalischen Gesetze gleich mit. Was dabei herauskommt, ist überaus intelligente Science Fiction, brillant erzählt.
Das System: Sechs Planeten und vier Monde, seit mehr als vierhundert Jahren von Menschen besiedelt. Der Planet Kaspian gilt als Ursprungswelt aller Menschen im System. Irgendwann gelang es einem verwegenen Pionier, den Mond Kaspians zu erreichen. Von diesem Zeitpunkt an wurde den Menschen klar, dass sie auch alle anderen Planeten im System erreichen bzw. kolonialisieren können. Raumschiffe werden dazu nicht benötigt, denn in diesem Universum liegen alle Planeten so eng aneinander, dass man ohne Schwierigkeiten alle Welten mit einem Flugzeug oder Zeppelin erreichen kann. Alle Planeten im System unterstehen der Herrschaft des Reichs, einer äußerst konservativen Monarchie. Ganz oben in der Hierarchie des Reichs steht der Prinz, darauf folgen die Verwalter der einzelnen Planeten, die wiederum nur dem Prinzen unterstellt sind. Einer dieser Verwalter ist der relativ unerfahrene Polystom. In seiner Verantwortung liegt die Verwaltung des Planeten Enting. Eine Aufgabe, die zuvor sein Vater inne hatte. Alles in allem führt Polystom ein sehr angenehmes Leben, da das ";Regieren"; nur sehr wenig Zutun erfordert. Die Maschinerie läuft reibungslos und praktisch störungsfrei. Eine Menge Leibeigene sorgen zudem für sein Wohlergehen. Die Dienerschaft kümmert sich um Haus und Hof, während andere die riesigen Ländereien bestellen und das Wirtschaftssystem am Laufen halten. Obwohl die Bediensteten ihrer persönlichen Freiheit größtenteils beraubt sind, kommt es nur selten zu Zwischenfällen, die den sozialen Frieden stören. Jeder Versuch des Aufbegehrens wird von den Aristokraten mit brutalsten und grausamsten Mitteln bestraft. Bedienstete, die zur Revolte neigen, werden ausgepeitscht oder kurzerhand exekutiert.
Doch nicht auf allen Planeten des Systems herrscht eine solche ";Ordnung"; wie auf Enting. Herrenlose, nicht sesshafte Bedienstete haben schon vor langer Zeit auf Aesop -";Der Schlammwelt";- einen Aufstand angezettelt. Dort herrscht ein blutiger Krieg, der tagtäglich unzählige Opfer fordert. Polystom selbst zeigt kaum Interesse an diesem Krieg. Für ihn spielt sich das alles weit entfernt auf einem Planeten ab, für den er ohnehin kein Interesse hegt. Doch das soll sich schlagartig ändern, als sein Lieblingsonkel Kleonikles Opfer eines feigen Mordanschlags wird. Plötzlich sieht sich Polystom einem Patriotismus verpflichtet, den er zuvor bestenfalls verbal vertrat. Er meldet sich freiwillig zum Militärdienst und zum Einsatz gegen die Aufständigen der ";Schlammwelt";. Hoffend, Ruhm und Ehre auf dem Schlachtfeld zu erlangen, nimmt Polystoms Nationalbewusstsein schon krankhafte Züge an. In seiner grenzenlosen Naivität ahnt er nicht, welche grauenhaften Erlebnisse ihn erwarten. Aber es sind nicht nur die Schrecken des Krieges, die ihm bevorstehen, er wird auch mit einer Wahrheit konfrontiert, die seine Existenz und die des gesamten Systems in Frage stellen wird.
Aus Drei mach Eins
Nimmt man es genau, handelt es sich bei ";Sternensturm"; eigentlich um drei Kurzgeschichten, die allerdings in unmittelbarem Zusammenhang zueinander stehen.
Teil Eins (Polystom - Eine Liebesgeschichte) schildert die tragischen Ereignisse innerhalb der Ehe zwischen Polystom und seiner Frau Beeswing. Eine unglückliche Verbindung, die schließlich in einer Katastrophe endet. Schon zu diesem Zeitpunkt zeichnet sich die grenzenlose Naivität und Ignoranz des Hauptcharakters ab. Der mutmaßliche Sympathieträger Polystom entpuppt sich als eine von Neurosen geplagte Seele, für die der Leser bestenfalls noch Bedauern empfinden kann. Ein selbsternannter Poet, der sich einer Lächerlichkeit preisgibt, wodurch ihm jegliche Art von Respekt und Sympathie versagt bleibt. Polystoms zwanghaftes Bemühen, seine Frau in eine von ihr verhasste Welt zu zwingen, ist zum Scheitern verurteilt und endet schließlich in einer Tragödie. Anspielungen und zugleich Kritik an der viktorianisch-puritanischen Gesellschaftsform sind unverkennbar.
Teil Zwei (Kleonikles - Geschichte eines Mordes) schildert die Geschehnisse der letzten Stunden im Leben Kleonikles (Onkel von Polystom). Sein wissenschaftliches Schaffen und seine Genialität stehen in krassen Gegensatz zu seinen absonderlichen sexuellen Neigungen. Kleonikles geringschätzige und erbarmungslose Art, die er seinen Mitmenschen gegenüber an den Tag legt, ist zum Teil schockierend. Nichtahnend, dass es sich um einen Vorboten seines eigenen Todes handeln könnte, beobachtet er an diesem Tag einen Himmelswal, der dem Mond ungewöhnlich nahe kommt und schließlich auf der Oberfläche strandet. Kleonikles, der diese Tiere schon über Jahrzehnte studiert, sieht die einmalige Gelegenheit gekommen, zum ersten Mal seine Forschungen direkt am Objekt zu betreiben. Dieses Vorhaben wird er jedoch nicht mehr in die Tat umsetzen können, sein Schicksal ist beschlossene Sache.
Teil Drei (Die Schlammwelt - Eine Gespenstergeschichte) ist die wohl eindringlichste Erzählung. Erschreckend, wie authentisch es Roberts gelingt, die Schrecken des Krieges in Worte zu fassen. Wüsste man es nicht besser, könnte man glauben, er hätte in diesem Teil des Romans persönliche Erlebnisse des 1. Weltkriegs verarbeitet. Ähnlich den Protagonisten in Remarques ";Im Westen nichts Neues"; ergeht es Polystom, dessen anfänglich naive Euphorie sich sehr schnell in der brutalen Realität verliert. Sein Leben reduziert sich mit einem mal auf Schnappschüsse, die nur noch ein sinnloses Sterben und Leiden wiederspiegeln. Das schmutzige Sterben in den Schützengräben ist die Realität. Die Hoffnung auf Ruhm und Ehre bleiben naives Wunschdenken eines irregeleiteten Träumers. Polystom selbst bringt es an dieser Stelle des Romans irgendwann selbst am besten zum Ausdruck, indem er sagt: ";Was für ein Scheiß. Ich bin ein richtiger Blödmann."; Als er mit letzter Kraft über die Leichenberge des Schlachtfeldes taumelt, offenbart sich ihm eine Wahrheit, die ihn an seinem Verstand zweifeln lässt.
Mut zum Risiko
Jede dieser drei Erzählungen ist schon für sich genommen das Resultat einer von hoher Erzählkunst geprägten Einzelarbeit. Zusammen ergeben sie ein Werk von solch einer erzählerischen Kraft, wie man es nur sehr selten zu lesen bekommt. Dabei lassen die ersten Seiten des Romans etwas ganz anderes vermuten.
";Eines Morgens bestieg Polystom seinen Doppeldecker, da er beschlossen hatte, zum Mond zu fliegen."; So die erste Zeile des Romans. Anschließend erfährt man, dass Polystoms Onkel Kleonikles - seines Zeichens ein angesehener Wissenschaftler - auf dem Mond in einem Herrenhaus residiert. Nun denn, Polystom benötigt kein Raumschiff (die gibt es nämlich nicht), um den Mond zu erreichen. Ein Ersatzpropeller und ein dickes Lunchpaket sind alles, was er während seines Fluges zum Mond benötigt. In diesem, um es vorsichtig zu formulieren, etwas naiven Erzählstil geht es dann eine Weile weiter. Keine rosigen Aussichten auf ein anspruchsvolles Lesevergnügen befürchtet man da zu recht. Es kommt einem spontan ";Peterchens Mondfahrt"; in den Sinn. Aber es kommt ganz anders. Es dauert nicht sehr lange und man spürt die erzählerische Kraft, die in diesem Roman steckt. Eine Wirkungsstärke, der man sich kaum noch entziehen kann. Ein erstes Indiz also dafür, dass der Autor gewisse Eigenarten gleich zu Beginn der Erzählung erkennen lässt. Das birgt ein gewisses Risiko in sich, da es durchaus passieren kann, dass der ungeduldige Leser schon nach den ersten Seiten den Roman mit einem Kopfschütteln wieder zur Seite legen könnte. Um es kurz zu machen: Tun sie das nicht, denn sonst werden sie vielleicht nie erfahren, was für ein großartiger Roman ihnen entgangen ist. Adam Roberts beweist Mut zum Risiko, indem er so ziemlich alles auf den Kopf stellt, was den grundlegenden Strukturen des Science Fiction-Genres ansonsten entspricht. Anders ausgedrückt, einige ungeschriebene Gesetze innerhalb der Science Fiction, die eine gewisse Ordnung bzw. Logik garantieren, ignoriert er bewusst. Das Geniale dabei ist, dass er zu keiner Zeit (abgesehen vom Anfang) den Eindruck erweckt, er wolle mit einer Parodie aufwarten oder gar in Douglas Adams´ Fußstapfen treten. Adam Roberts hat seinen ganz eigenen Stil und der ist schlichtweg genial.
Zwei Hauptcharaktere genügen, um die Story voranzutreiben: Polystom und Kleonikles. Alle anderen Protagonisten spielen eine eher untergeordnete Rolle, sind aber deshalb nicht minder glaubwürdig. Nach einem Sympathieträger wird der Leser vergeblich Ausschau halten. Polystom ist der klassische Antiheld, jedoch ohne Ambitionen auf die Gunst des Lesers. Ein Gefühl irgendwo zwischen Bedauern und Verachtung ist alles, was man für ihn empfinden kann. Am Ende, wenn sich die Ereignisse überschlagen und ein schwindelerregendes Bombardement aus Halbwahrheiten über den Leser hereinbricht, wird er sich auf die Seite Polystoms schlagen, hoffend, dass dieser die richtigen Entscheidungen trifft. Das Verwirrspiel erreicht schließlich seinen Höhepunkt und die Grenze zwischen Sein und Schein wird fließend, ist nicht mehr zu erkennen. Was bleibt, ist die Frage: erkennt Polystom die ganze Wahrheit oder verliert er einfach nur seinen Verstand?
Fazit
Man sollte nicht mit bestimmten Erwartungen an diesen Roman herangehen. Bei ";Sternensturm"; muss der Leser in anderen Kategorien denken, sich voll und ganz auf diese Erzählung einlassen, ohne wenn und aber. Adam Roberts erfindet das Rad sicher nicht neu, aber er bereichert die Science Fiction mit frischen, unverbrauchten Ideen. Ich persönlich zähle mich jetzt schon zu seiner Fangemeinde, die sicherlich im Laufe der Zeit einen großen Zulauf erfahren wird.

Sternensturm
- Autor: Adam Roberts
- Verlag: Heyne
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Schlechte Nachrichten für alle "Realisten": unsere Welt ist nicht real! Sie kann nicht real sein. Den Grund nennt Adam Roberts in "Sternensturm" und er hat mit der Physik der Atmosphäre zu tun. Darauf baut der Autor einen ebenso faszinierenden wie verstörenden Plot auf, der zumindest mich für einige Längen entschädigt hat.
Diese Längen sind vor allem darin begründet, dass die Welt von "Sternensturm" in Zuständen erstarrt ist, wie es sie in unserer ... hm nicht ganz realen Welt am Beginn des 20. Jahrhunderts gab. Doch die Menschen in dieser Welt haben einen riesigen Computer gebaut, der für ihre und unsere Welt eine wichtige Rolle spielt ...
nettes buch...nur gibts die polystom.com seite irgendwie nicht.
ich werd mir das ende nochmal durchlesen müssen..habe selbst nicht ganz verstanden was da am ende passiert ist..ausser das er wie ein wahnsinniger in einer (nicht?) realen welt alles kurz und klein geschossen hat.
Das erste Buch ist schön.....so zeigt es uns doch auf, wie wenig wir manchmal auf die bedürfnisse und wünsche des anderen eingehen...das wir unsere Partner mit falschen kriterien aussuchen. wir denken, verliebt zu sein oder den anderen zu lieben reiche aus..doch beruht dies auf gegenseitigkeit? mache ich mir gedanken ob meinem Partner die dinge gefallen,die mir gefallen und die ich mit ihm teilen will? oder setze ich meine ego tour durch und ignoriere die Bedürfnisse,Wünsche und Meinungen meines Partners?
Er verliebt sich in sie,heiratet sie..schläft mit ihr.... und sie scheint mir die ganze zeit ein komplett in sich gekehrter Mensch zu sein..die das alles zwar tolleriert und duldet,aber es dennoch nicht schön findet und in exktase verfällt.
Das zweite Buch enthällt auch viel,wozu ich mich aber nicht wirklich äußern möchte.
ich habe ja danach vermutet,dass das Militär selbst Kleonikles umgebracht hatte...und dass diese Box/Buch die sie gesucht haben,mehr enthielt als "nur" die aufzeichnungen für die Machine.
Ds dritte Buch liest sich eher wie ein Kriegsbuch.....dennoch ziemlich brutal. wenn man da von ǵuten Schuhen lies, wo der Protagonist erst beim zweiten hinsehen bemerkt,dass in allen Schuhen noch die abgetrennten füße steckten...er beschreibt die schrecken des krieges sehr genau,meiner meinung nach ein wenig zu sehr.
Besonders mit seinem einem Leutnant..der total entstellt im Lazarett war...mit zerschossenen kehlkopf..zerfetzen kopf..und nachdem dieser sich total nachvollziehbar einen Kopfschuss gegeben hat....und Polystom merkt, dass er noch lebt.....dass er ihn dann nicht erschossen hat,sondern am leben gelassen hat.mit einem zerfetzen auge, einem loch im kopf...usw..... das war schon arg makaber. da hätte er sich seine ehre verdienen können indem er ihn erschossen hätte.
Nunja,was bleibt
einige fragen wirft das buch noch auf
was ist passiert als polystom den computer zerstörte
wer hat die wette gewonnen,er oder der geist seiner verstorbenen Frau
und was in Herrgottsnamen hat es mit den Himmelswalen auf sich...welchen zweck dienen sie..falls polystoms welt real war..und welchem zweck,falls es eine simulation war?
Eigentlich wollte ich hier eine Buchkritik zum "Sternensturm" geben, weil ich die verehrten Leser vor einigen falschen Erwartungen warnen wollte.
Aber besser, punktgenauer oder präziser kann man den Roman garnicht besprechen, als es Hans Frey bereits getan hat.
Ich stimme ihm in jedem Punkt seiner Kritik zu. "Weniger wäre hier mehr gewesen!"
Und für Hans Frey: Sie sollten das zu Ihrem Job machen!
Der überschwänglichen Kritik zu Roberts "Sternensturm" kann ich mich nur bedingt anschließen. Tatsächlich verfügt der Autor über eine große Erzählkraft, die man nicht häufig findet. Sie verführt ihn aber zugleich dazu, sich in ihr zu verlieren und den literarischen Anspruch so weit zu treiben, dass das Lesen passagenweise quälend wird (Z. B. beschreibt er eine Seite lang, wie sich Polystom die Fingernägel schneidet, oder er produziert ständig Wiederholungen, z. B. bei der Beschreibung von Polystoms Erbärmlichkeit oder bei den Kriegsszenen. Das alles bringt nichts Neues, füllt aber die Seiten und nervt den Leser - mich hat es jedenfalls genervt.) Weniger wäre hier mehr gewesen!
Ähnlich sehe ich es, wenn es um den SF-Gehalt des Romans geht. Dieser ist sicher ansprechend und gerade die Schlusssequenz, bei der es um die Frage geht, welche der beiden Welten denn real und welche virtuell ist, gibt dem Text noch einmal einen "Drive", der der Leselust gut tut. Aber: Einen überbordenden Ideenreichtum oder eine außerordentliche Originalität kann ich nicht feststellen. Der "Äther"-Weltraum, den man mit Luftschiffen durchfliegen kann, gibt es schon in der Steampunk-SF, und die tendenzielle Unerkennbarkeit der Wirklichkeit ist im Cyperpunk bzw. Cyberspace fast schon gang und gäbe (eigentlich müsste man sagen, schon seit Philip K. Dick).
Mein Fazit: Man muss sich im Großen und Ganzen nicht ärgern, den Roman gelesen zu haben, zumal er auch hier und da sehr schöne Metaphern enthält, aber großartig, geschweige denn genial ist er nicht.
Letzte Bemerkung: Saublöd finde ich den deutschen Titel "Sternensturm". Hier wird den Käufern/innen etwas suggeriert, was der Roman nicht ansatzweise hergibt. Überhaupt kann ich eine halbwegs logische Beziehung zwischen dem Titel und dem Textinhalt bei aller Liebe nicht feststellen. Wäre man doch beim Originaltitel geblieben! (Hans Frey/25.1.2008)