
Ein Erstkontakt der völlig anderen Art
Stanislaw Lem, 1921 geborener Pole, ist eindeutig der Literat unter den Sci-Fi-Autoren. Er entwickelt keine großen Zukunftsbilder in seinen Werken, sondern versucht stattdessen philosophische Gedanken und Thesen in eine ansprechende Handlung zu verpacken.
Solaris ist ein Planet, der fast vollständig von einem aus gallertartiger Masse bestehenden Ozean bedeckt ist. Dieser Ozean bildet die bizarrsten Formen und Gestalten und ist in der Lage, Formen nachzubilden. Als auch noch festgestellt wird, dass er durch seine Bewegung die Flugbahn des Planeten stabil hält, muss man davon ausgehen, dass es sich hierbei um eine Art intelligente Lebensform handelt. Doch die Kontaktaufnahme mit dieser Lebensform schlägt über Jahrzehnte fehl.
Kris Kelvin, der Ich-Erzähler der Geschichte, findet bei seinem Eintreffen auf der Station, die über der Oberfläche von Solaris kreist, diese in einem ziemlich heruntergekommenen Zustand vor und keiner der 3 Besatzungsmitglieder ist zu seiner Begrüßung anwesend. Nach einigem Suchen stößt er zumindest auf Snaut, den Kybernetiker der Station, und muss erfahren, das der Stationsleiter vor kurzem verstorben ist und das andere noch vorhandene Besatzungsmitglied keinen Kontakt wünscht, da es ";beschäftigt"; sei.
Nach kurzer Zeit auf der Station wird Kelvin langsam klar, warum die anderen sich so seltsam verhalten. Denn er bekommt Besuch von Harey, seiner ehemaligen Frau. Doch diese hat sich vor 10 Jahren auf der Erde umgebracht und Kelvin gibt sich die Schuld für dieses Ereignis.
Scheinbar ist der Ozean in der Lage, die Gedanken der Menschen zu scannen und aus deren Unterbewusstsein Abbilder, sogenannte ";Gäste"; zu kreieren, die das Schuldbewusstsein der Menschen darstellen. Diese ";Gäste"; sind sich darüber nicht bewusst, sondern glauben, wirklich, die jeweilige Person zu sein und verhalten sich genau so.
Als ich Solaris um 1980 das erstemal gelesen habe, war für mich Science Fiction mehr oder weniger gleichbedeutend mit Weltraumschlachten, tapferen Astronauten, fremdartigen Aliens und all den anderen Dingen, die man so allgemein mit dem Genre verbindet (Star Trek war mir auch noch kein Begriff; aber ich war ja auch gerade mal 13 Jahre).
Und plötzlich bekomme ich ein Buch empfohlen, in dem es keinerlei Schlachten gibt, das Außerirdische ist überhaupt nicht fassbar und auch sonst gibt es relativ wenig wirkliche Handlung. Stattdessen sehr viel Gedankengänge, Überlegungen, Zweifel etc.. Ich gebe ehrlich zu, dass ich beim ersten Lesen doch so meine Schwierigkeiten hatte. Trotzdem hinterlies das Buch einen bleibenden Eindruck und ich habe es seit damals häufiger zur Hand genommen, und mit jedem Lesen wird es faszinierender. Vielleicht kann ich ein wenig dieser Faszination hier vermitteln:
Den größten Eindruck auf mich hat in diesem Buch die Darstellung der außerirdischen Lebensform gemacht. Denn dies war für mich das erste Werk, in dem das außerirdische Leben nicht in irgend einer Form humanoid oder mit sonstigem Leben auf der Erde vergleichbar dargestellt wurde (und bis heute habe ich nicht viele Werke gelesen, in denen mit einem ähnlichen Ansatz gearbeitet wird). Stattdessen ein riesiger gallertartiger Ozean ohne offensichtliche Sinnesorgane, ohne die Möglichkeit, direkten Kontakt aufzunehmen. Und gerade diese unüberwindbar scheinende Verschiedenartigkeit ist eines der Hauptthemen des Buches. In den Rückblicken auf die Geschichte der Erforschung des Planeten wird berichtet, dass lange Zeit bezweifelt wurde, dass der Ozean überhaupt eine Lebensform darstellt. Es ist verständlich, dass die menschliche Phantasie natürlich zuerst die eigenen Lebensumstände als Grundlage nimmt. Sci-Fi spielt zwar in fernen Welten und Zeiten, schildert letztendlich doch ";nur"; menschliche Probleme. Daher sind die ";Fremden"; in vielen dieser Romane doch unverkennbar humanoid. Der Pole Lem hat mit Solaris schon 1960 dieses Schema durchbrochen und damit ganz andere Möglichkeiten gefunden. Denn hier steht dem Menschen etwas vollkommen Fremdartiges gegenüber, trotzdem bringt die Beschäftigung mit diesem Wesen zwischen den Zeilen sehr viele philosophische Erkenntnisse über den Menschen. Denn verpackt in die Handlung ist das Buch eine Sammlung philosophischer, anthropologischer und durchaus auch religiöser Fragen, die aber niemals langweilig oder zu theoretisch werden.
Der zweite aus meiner Sicht wesentliche Punkt, der diesen Roman so besonders macht, ist sein ironische Beschäftigung mit der Wissenschaft. Es gibt eigentlich zwei Handlungsebenen in diesem Buch. Zum einen die Erlebnisse von Kris Kelvin auf der Station, die chronologisch ablaufen. Aber Kelvin, die Hauptperson, sucht auch nach Informationen über Solaris in der Bordbibliothek und gibt bei dieser Suche so ganz nebenbei auch einen Abriss über die verschiedenen Strömungen und Lehren in Bezug auf den Planenten im Laufe der Jahre seit seiner Entdeckung. Vordergründig werden die Infos natürlich für die Handlung benötigt, aber die Ausführlichkeit und der Detailreichtum, mit dem Lem dies hier schildert, ist eine ganz klare Anspielung auf die reale Wissenschaft. Noch bevor genauere Erkenntnisse über Solaris vorliegen, wird der Planet und die auf ihm vorkommenden Phänomene klassifiziert, jede wissenschaftliche Richtung, egal ob Physik, Astronomie oder sogar Psychologie hat ihre eigenen Theorien, ";unerschütterliche"; Tatsachen erweisen sich im Laufe der Zeit als falsch und sogar bei den drei Besatzungsmitgliedern kommt es zu Unstimmigkeiten im Bezug auf verschiedene Lehrrichtungen, als sie über den Umgang mit den ";Gästen"; debattieren. Dies ist ziemlich eindeutig eine Spitze auf die ";Elfenbeintürme"; und Diversifikation in der realen Wissenschaft, in der es heute sogar vorkommen kann, dass sich schon zwei Physiker nicht mehr verstehen, weil sie unterschiedliche Fachgebiete haben.
Als dritten und letzen Punkt für die Faszination des Buches will ich noch den Begriff Psychologie in den Raum werfen. Denn wenn man all die Sci-Fi-Elemente weglässt und nur die Situation betrachtet, die durch die Anwesenheit der ";Gäste"; entsteht, ist dies ein zutiefst menschliches Thema. Wie reagiert man, wenn man dem Objekt seiner größten Schuldgefühle wieder gegenübersteht. Kelvin gibt sich die Schuld am Tod seiner Frau und plötzlich ist sie wieder da. All die Möglichkeiten des Verhaltens werden im Roman aufgezeigt und diese Konstellationen sind, ohne zuviel vom Ende zu verraten, ein wesentliches Hauptelement dieses Buches.
Ein Meisterwerk der Science Fiction, das bei seinem Erscheinen dem Rest der Branche um Jahre voraus war und auch heute noch genauso aktuell und lesenswert wie bei der Ersterscheinung vor fast fünfzig Jahren. Der Klassiker ist garantiert nichts für Freunde der actionreichen Scifi, sondern regt eher zum Nachdenken an.

Solaris
- Autor: Stanislaw Lem
- Verlag: -
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Hallo Herr Traud, nachdem ich immer wieder über die Bedeutung des Buchs gelesen habe, quäle ich mich auch durch das Buch. Ich habe durch Sie nochmals einen anderen Zugang bekommen und werde auch die letzten vierzig Seiten lesen.
Ich kann viele der Kritiken verstehen, die das Buch als kaum lesbar schildern. Ich habe mir neben der Hauptübersetzung die von Kelm organisiert, da die etwas leichter lesbar sein soll. Wenn ein Buch mir Opfer soweit abverlangt, dass ich Sätze mehrfach gelesen werden müssen, dann mag es auch am Leser liegen - es wird schwierig, dann noch an die darunter liegenden Bedeutungen heranzukommen.
Anyway, lieben Dank für Ihre Rezension!!!
"Solaris". Zuerst das Gute. Die Idee mit dem Ozean als lebendiges, intelligentes Wesen ist ganz ausgezeichnet. Deshalb habe ich mir das Buch gekauft und gelesen (ab ca. Seite 100 reingezwungen).
Nun das nicht so Gute. Der Schreibstil ist eine Katastrophe und zerstört die großartige Idee. Eigentlich habe ich beim lesen das Gefühl gehabt, Herr Lem hat im LSD- oder Wodka-Delirium geschrieben.
Deshalb kann ich auch die vielen positiven Kritiken nicht verstehen. Ein typischer Fall von "Des Kaisers neue Kleider". Der Kaiser ist nackt. Das muss man sich auch als Erwachsener eingestehen können.
"Solaris" ist nach wie vor einer der besten SF-Romane die ich je gelesen habe. Für mich liegt der Reiz dieses Romans gerade darin begründet, dass dieser Roman die Grenzen des menschlichen Denkens, Fühlens und Handels aufzeigt.
Werden wir Menschen wirklich in der Lage sein fremde Intelligenz zu erkennen, zu verstehen und mit ihr zu kommunizieren ... ?
Ich habe "Solaris" vor allem als Roman über die Wissenschaft gelesen, die rat- und hilflos vor einem Planeten steht, der von einem lebenden Ozean bedeckt ist. Denn es gibt in dem Roman nicht nur Solaris, sondern auch die neu entstandene Disziplin der Solaristik, die sich dem Studium von Solaris widmet. Da gibt es allerlei Phänomene und Formationen zu klassifizieren, zu studieren und zu analysieren, doch zu einem richtigen Ergebnis kommen die Wissenschaftler dabei nicht.
Sie stehen ratlos da und der Leser weiß nicht einmal mit Sicherheit, ob die Unerklärbarkeit des Phänomens Solaris in ihm selbst liegt oder in verfehlten Strukturen und Denkmustern der Wissenschaftler. So erfährt man in dem Roman mehr über Theoriebildung als über das Phänomen Solaris selbst.
Lem gelingt hier eine Reise ins Ich, das im Streit mit Über-Ich und Es liegt.
Da hat der Mann vom Fach seine Sicht der neurologischen Geschichte "Mensch sein" ausgepackt.
Bis auf ein paar Längen, die aber irgendwie rein gehören, denn das Leben hat auch so seine quälenden Längen, ein perfektes Buch. Als weiteres Studium auf dem angerissenen Pfad empfiehlt sich z.B. Oliver Sacks "Awakenings".
Nicht der allerbeste Lem, aber wohl der packendste.
Über den Stellenwert und die Bedeutung von Science-Fiction-Literatur ist schon immer kontrovers diskutiert worden. So bezeichnete Stanislaw Lem die anglo-amerikanischen Science-Fiction-Werke aus der Anfangszeit des Genres als kitschiges, kommerzielles Lesefutter, dessen Mängel allzu offensichtlich seien. Es entbehrt deshalb nicht einer gewissen Ironie, dass sein Roman "Solaris" zum unumstrittenen Klassiker dieser Literaturgattung wurde und sogar zwei, eher weniger gelungene, Filmadaptionen nach sich zog. Grund genug damit für mich, dieses Buch aus dem Regal hervorzukramen und meine erste Erfahrung mit einem Science-Fiction-Werk zu machen, in dem es keine Schlachten gibt und die Außerirdischen selbst körperlos sind und für den Leser nicht fassbar bleiben.
Im Zentrum von Lems "Solaris" steht der gleichnamige, von einem vermutlich intelligenten und lebenden Ozean bedeckte Planet, der sich bereits seit Jahrzehnten einer Erforschung widersetzt. Kris Kelvin, ein Psychologe und der Erzähler dieser Geschichte, soll eine Reihe merkwürdiger Ereignisse auf der über dem Planeten schwebenden Station untersuchen und findet bei seiner Ankunft eine Mannschaft vor, die mit schmerzhaften Erinnerungen und verdrängten Bildern ihres Unterbewusstseins konfrontiert wird. Der Zustand der Männer ist desolat, ein Mitglied hat in seiner Verzweiflung bereits Suizid begangen. Und auch Kelvin hat kurze Zeit später eine Erscheinung, welche die Form seiner Geliebten Harey annimmt, die sich vor vielen Jahren das Leben nahm, als er sie verlassen wollte. Obwohl ihm die Künstlichkeit dieser "Harey" bewusst ist, entwickelt er bald gewisse Gefühle für sie und vesucht, eine neue Beziehung zu ihr aufzubauen. Ein Versuch, der letztendlich genauso zu scheitern droht, wie der in Kontakt mit dem Ozean zu treten...
Schon der formale Aufbau unterscheidet sich von allem, was ich bis dato gelesen habe. Der Beginn könnte einem Kriminalroman entsprungen sein, derart spannend ist Lems Spiel mit den Worten, das nur einige Seiten später einer kalten, leidenschaftlosen Sprache mit wissenschaftlicher Nüchternheit weicht, welche dem Leser große Geduld und Aufmerksamkeit abfordert. Schnell kristallisiert sich als Kernstück des Roman die philosophische Frage heraus, wie ein Mensch mit den Dingen, die zu begreifen er nicht im Stande ist oder die sich seinem Verständnis bewusst entziehen, umgeht. Kelvin, der in der Bordbibliothek nach Informationen über Solaris sucht, gibt nebenbei einen Abriss über die Arbeiten früherer Wissenschaftler, welche auf verschiedenste Weise Kontakt aufzunehmen versucht und dabei selbst die Vernichtung als Möglichkeit in Betracht gezogen haben. Ein geschickter Schachzug Lems, der natürlich vordergründig diese Informationen für die Handlung benötigt, dabei eigentlich aber eher auf die reale Wissenschaft und ihre Irrwege anspielen will. Denn wie dort, werden Phänomene klassifiziert, Theorien als unerschütterliche Tatsachen niedergeschrieben, um von der nächsten Generation von Physikern, Astronomen oder Psychologen widerlegt zu werden. Selbiges geschieht auch mit der Mannschaft. Ihre Versuche, Solaris zu verstehen, werden auf sie selbst zurückgeworfen, die Experimente fördern nur ihre eigenen psychologischen Schwächen zutage. Was folgt ist ein Spielraum für Vermutungen, Theorien, Möglichkeiten, denen sich auch der Leser stellen oder daran verzweifeln muss.
Der Grad zwischen beiden Alternativen ist schmal, da Lems Ausschweifungen und wissenschaftliche Diskurse die Geduld des Lesers in hohem Maße auf die Probe stellen. Obwohl nicht langweilig geschrieben, bleibt "Solaris" keine leichte Unterhaltung. Es ist ein Buch, das nicht nebenbei bewältigt werden kann und will. Ein Werk, mit dem sich aber eine Auseinandersetzung lohnt und das ganz nebenbei die Möglichkeiten dieser Literaturgattung aufs Eindrucksvollste unter Beweis stellt.
Insgesamt ist "Solaris" ohne Frage ein Meisterwerk des Genres und ein Klassiker der Weltliteratur, der heute noch genauso aktuell ist und wirkt, wie bei der Erstveröffentlichung im Jahre 1961. Eine zwiespältige, nachdenklich stimmende Leseerfahrung, die jedem ans Herz gelegt sei, aber sicher nicht jedem zusagen wird.
80° von mir
Das ist eines der unglaublichsten Bücher, die ich je gelesen habe. Der eigenständige wissenschaftliche Zweig Solaris betreffend, die erstaunlichen erscheinungen auf Solaris und die "Gäste" auf der Station geben diesem Buch soviel Inhalt und der Leser bekommt soviele Möglichkeiten, eigene Gedanken zu entwickeln, dass philosophische Menschen dieses Buch einfach lieben müssen.
Es ist schon lange her, als ich diesen Roman gelesen habe. Er machte mich zu enem großen Fan von Stanislav Lem. Die Beschreibung der fremden Intelligenz, die philosophischen Ansätze - ein Roman, den man nicht vergisst. Äußerst empfehlenswert!