Wespenplage
Stellen wir uns eine Fantasy-Welt vor, die nicht von Elfen, Orks, Zwergen, Trollen oder Drachen bevölkert ist, sondern einzig von Rieseninsekten und den dazugehörigen Insektenmenschen. Womit keine fliegenähnlichen Mutantenwesen aus 60er-Jahre SF-B-Movies gemeint sind. Auf Tchaikovskys bislang namenloser Welt haben sich einst die schwachen, wehrlosen Menschenstämme Insekten zu Totems erkoren. Und Jahrtausende später sind sie inzwischen enge Verbindungen mit ihnen eingegangen, die sich auch in der Art der Völker niedergeschlagen hat. Wo andere Fantasy-Romane Elfen, Zwerge und Halblinge haben, finden wir hier die technisch begabten Käfer-Leute, die telepathischen Ameisen-Sippen, wendige Fliegen- und kriegerische Mantis-Völker oder Skorpionsmenschen.
Unbeliebte Gäste am Kaffeetisch der Zivilisation
Und eben auch die Stämme der Wespen-Menschen. Welche prompt beschließen, sich die restliche Welt unter den Stachel zu reißen und im Hinterland der zivilisierten Welt ein Imperium aufzubauen. Um dann mongolengleich mit ihren in schwarz-goldenen Rüstungen gepanzerten Soldaten quer über den Kontinent zu rollen und sich Stadt für Stadt und Land für Land einzuverleiben.
Im Zentrum der zivilisierten "Lowlands" gibt es nur einen Mann, der die Gefahr kommen sieht: Stenwold Maker, ein alternder Käfer-Artificer (Erfinder und Mechaniker zugleich), Lehrer und Betreiber eines privaten Spionageringes ist schon Jahrzehnte zuvor mit den Soldaten der Wespen aneinander geraten. Jetzt sieht er, wie sich die Aufmerksamkeit des Imperiums auf seine Heimat richtet. Und er erfährt am eigenen Leib, dass auch er dem Imperium nicht verborgen geblieben ist: Nur knapp entkommt er den Anschlägen auf sich und seine Angehörigen. Zusammen mit einer unerfahrenen Truppe aus Schülern (unter diesen seine Nichte und seine Ziehtochter vom Spinnenvolk, ein schüchterner Käfer-Ameisen-Mischling und ein leichtlebiger Libellenvolk-Adeliger) zieht er den Wespen entgegen, um zu retten, was zu retten ist. Währenddessen machen die Diplomaten, Spione und Soldaten des Imperiums gleichermaßen Jagd auf ihn. Doch alte und neue Verbündete in diesem heimlichen Krieg finden sich an den ungewöhnlichsten Orten...
Das große Krabbeln
Tchaikovskys Roman ist ungewöhnlich. In vielerlei Hinsicht. Nicht allein, dass er die ausgetretenen Fade der typischen Fantasy-Rassen-Beschickung verlassen hat, er hat in diesem Zug gleich auch noch die Klassische Magie über Bord geworfen. Und die klassische Schwarz-Weiß-Malerei.
Sicherlich, seine Insekten-Menschen haben hin und wieder starke Anleihen bei den klassischen Fantasy-Rassen. So erinnern die kräftigen, bodenständigen Käfer-Leute sehr stark an Zwerge und Gnome, während der Libellen-Adelige schon immens einem Elben ähnelt. Von der Ähnlichkeit zwischen Spinnen-Volk und Dunkelelfen ganz zu schweigen und auch dass Art und Wesen der Fliegen-Leute den Halblingen ziemlich nahe steht, ist kaum zu verleugnen. Dennoch schafft es Tchaikovsky, dem Leser seine Alternativrassen und deren Geschichte so dicht, schlüssig und faszinierend nahe zu bringen, dass man ihm selbst kleinere Schnitzer (Spinnen und Skorpione sind KEINE Insekten, dürften also eigentlich der Logik dieser Welt nach gar keine Menschen-Nachfolger haben!) gern verzeiht.
Immerhin hat er es geschafft, auch die Magie auf passende Art in seine Welt zu integrieren. Die Insektenartigen Eigenschaften der verschiedenen Völker stellen eine Art angeborene Magie dar - so haben die Ameisen-Leute zu all ihren Verwandten eine telepathische Verbindung, die sie zu perfekten Soldaten macht, die Mantis-Krieger haben übermenschliche Reflexe und Libellen und Fliegen können eben das: fliegen. Der Stachel der Wespen hingegen ist tatsächlich ein schmerzhaftes Energiegeschoss.
Schwarz-Gold, nicht Schwarz-Weiß
Es scheint zwar noch etwas wie "echte" Magie zu geben, die den (nicht ganz unerwarteten) Gegenpol zur Steampunk-Technologie der Käfer-Volk-Mechaniker zu bilden scheint, doch dies bleibt in diesem ersten Band der Serie nur angedeutet und im Dunkel der Geschichte verborgen. Auch vieles zu den Rassen und der Funktionsweise der Welt bleibt tatsächlich in diesem ersten Band noch unklar und schemenhaft, was aber auch gut so ist.
Denn statt langatmig die Welt und ihre Zusammenhänge zu erklären und zu erläutern, versetzt Tchaikovsky den Leser mit einem schnellen Schreibstil und atmosphärisch dichter Erzählweise in die Schuhe seiner jungen, unerfahrenen Protagonistengruppe. Und unter diesen besonders in die von Cheerwell Maker, der Nichte des alten Spion-Meisters.
So wie Che und ihre Freunde und Weggefährten erst nach und nach die Funktionsweisen der Welt erkunden und erfahren, so werden diese Bestandteile auch dem Leser in leicht verdaulichen Happen präsentiert. Dafür kann er sich voll und ganz auf die schnell rasant und reichlich werdende Action der Handlung konzentrieren - und die politischen wie emotionalen Verwirrspiele, in die der Autor seine jungen Protagonisten stürzt.
Denn selbst wenn die Fronten in diesem Konflikt klar gesteckt scheinen: Die einzelnen Charaktere sind komplex genug gezeichnet, dass man die Beweggründe der "Bösen" tatsächlich nachvollziehen kann - und darüber ins grübeln gerät. Ein Spagat also, der größtenteils gelungen ist.
Viele Fäden hat ein Spinnennetz
Lediglich der unübersichtliche, emotionale Zustand von Cheerwell und ihren Vielleicht-Verehrern (Zwei? Drei? Vier?) ist ein wenig anstrengend für einen Band - aber wie die meisten der eher angedeuteten Sachen kann man es dem Buch nicht wirklich übel nehmen. Denn das sind die Fäden, die in den Folgeband führen, das kunstvolle, komplexe Spinnennetz, an dem man als Leser hängen bleibt - gerade weil man nicht absehen kann, wo der eine oder andere Handlungsstrang hinführen soll. Nebenbei: Cheerwell Maker... also bitte! Hoffen wir, dass es eine Verbeugung vor "Cheery Littlebottom", Pratchetts Zwergin, ist, der die Figur der Che gelegentlich ziemlich ähnelt.
Insgesamt eine sehr lesenswerte Alternative für alle, die genug von den ewig-gleichen Elfen und Orks haben und intelligenter Steampunk-Fantasy jenseits klar umrissener Gut-Böse-Fronten etwas abgewinnen können. Und der Lust darauf macht, auf den Nachfolgeband zu warten.

Invasion des Feuers
- Autor: Adrian Tchaikovsky
- Verlag: Heyne
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ADRIAN TCHAIKOVSKY „Schwarmkriege 1 - Invasion des Feuers“ ,Heyne‘
Zu der Zeit als die Insekten noch die Welt beherrschten, gab es für die frühen Menschen nur eine Verteidigung, eins werden mit dem jeweiligen Platzhirsch, durch Meditation sich mit der Umwelt verbinden. Dadurch entstanden neue Rassen, mit den Merkmalen der, vor ewigen Zeiten herrschenden Gliedertiere. Furioser Beginn auf den ersten Seiten, der Leser wird von einer Schlacht heimgesucht und, gleich zum Anfang, wird er seine Sympathie verteilen. Keine lange Einleitung, der Krieg hat begonnen und wird erbarmungslos ausgetragen. Für den Konsumenten dieser Seiten empfiehlt erst mal der Stahlhelm, da man die Geschehnisse, ohne Vorwarnung, um die Ohren geprügelt bekommt. Tchaikovsky lässt hier nichts auf der Pfanne kokeln, er überzieht die Leserschaft sofort mit einem Flächenbrand. Ist schon etwas brutal, was A.T. auf einen zu rollen lässt. Vergleichbar wäre wohl ein Angriff mit Napalm. Einmal zum Feuer entfacht, lässt es sich nicht mehr löschen. Am besten ist, auf Gegenwehr verzichten und Adrian einfach weiterschreiben zu lassen. Nach dieser Schlacht ist die Welt…verändert. Menschen, mit der Magie der Fähigkeiten von Insekten, so dumm, wie Russland groß ist, gepaart mit der extremen Engstirnigkeit und unmotivierter Rücksichtslosigkeit unserer Spezies, bevölkern einen Planeten und bringen sich gegenseitig um, weil, am Ziel könnte ja Reichtum stehen, Macht. Und so wird okkupiert, auf, Teufel komm raus. Was sich in den Weg stellt, wird niedergemacht, nur wer sind die Kollateralopfer? Auf jeder Seite stehen sie Schlange, da sie sich nicht wehren können! Stenwold, vom Volk der Käfer, ist eigentlich Techniker und Erfinder, hat hier, als Nichtkrieger, einen schweren Stand. Er ist auf der Flucht, weil Verrat im Spiel war, aber er ist eine große Hoffnung auf Frieden. Und so gibt es Gefährten, die ihm Rückendeckung geben. Tisamon, einer der furchtgebietenden Kämpfer der Fangschrecken, Marius, ein Ameisenkrieger, der die Flucht mit seinem Leben bezahlt, eine Kriegerin aus Marius Volk, deren Zukunft doch eher trübe aussieht. Stenwold Werker zieht sich nach Süden, in die Stadt Collegium zurück, wo er der Mahner ist und vor weiteren kriegerischen Aktivitäten des Imperiums der Wespen warnt. Wie nicht anders zu erwarten, wird er verlacht. So organisiert er ein eigenes Netz von Agenten, mit dem Ziel, den Invasoren in Gelb – Schwarz, Widerstand zu leisten. Wahnsinniges Spektakel, das A.T. mit allen Registern eines Kriegsberichterstatters hier entwickelt. Er schreibt mit einer Aggression im Herzen, als gäbe es kein Morgen. Unrecht hat Tschaikovsky ja auch nicht, ohne Menschen, wie Stenwold Werker würde es für die nächste Generation keinen neuen Sonnenaufgang geben, es sei denn, sie wären mit Sklaverei und Rechtlosigkeit zufrieden. Beides hat viele Facetten, Adrian beschreibt sie sehr ausführlich. Wollen wir das? Stenwold (der Autor, die Geschichte?) hat der neuen Generation einen Weg gezeigt, nur wie geht man auf diesem Pfad, ohne die Konsequenz, zu werden, wie der Feind. Bitter ist es, dem Tod zu dienen (Dornenreich), vor allem wenn man seine eigene Menschlichkeit dafür in Frage stellt. Eine Frage, die hyperaktuell ist und bleibt. In seiner Art zu Schreiben ist Adrian Tschaikovsky ein Hurrikan, der einen mitreißt und nicht mehr los lässt. Nur lässt er nicht nur Trümmer zurück, sondern neue Hoffnung auf ein helleres Morgen und ein Stück neues Selbstbewusstsein, für unsere Kinder und unsere Zukunft. (MRD)
ISBN 978-3-453-52524-5 445 Seiten 8,95€ (D) 9,20€ (A)