
Hard SF-Feinkost
Raum und Zeit sind die Ursuppe, aus denen Space Operas gemacht sind. Allzu oft allerdings verkocht in diesem Weltraumeintopf die wichtigste Sättigungseinlage: Die Charaktere der handelnden Personen. Und das schmeckt so fad wie Astronautenkost aus der Tube. Der Bücherkoch sollte hier also auf die Garzeit achten und auch kräftig mit Details würzen. Eben wie Alastair Reynolds in seinem Erstling "Unendlichkeit". Er kocht zwar nach klassischem Rezept und benutzt Zutaten wie riesige Raumschiffe, feindliche Aliens, menschliche Mutanten und entlegene Weltraumkolonien. Aber Reynolds greift ins Gewürzbord und raspelt reichlich Charakter über seine Figuren. Sie sind zum Entzücken des Lesers samt und sonders rücksichtslos und ziemlich selbstsüchtig.
Eben wie Dan Sylveste, Klon des legendären Calvin Sylveste, der einer der mächtigsten Männer auf dem prosperienden Planeten Yellowstone im Epsilon Eridani System. Calvin, selbst nur noch eine virtuelle Festplatten-Entität, bezeichnet Dan zu dessen Ärger als seinen Sohn. Dieser hat irgendwann die Nase voll von Yellowstone und macht sich um 2500 auf nach Resurgam, um dort in der von Schmirgelstürmen gebeutelten Atmosphäre nach den archäologischen Überresten einer Alien-Kultur zu graben.
Welches Schicksal droht der Menschheit?
Zwar sind der raumfahrenden Menschheit seit dem Verlassen der Erde ein paar fremde Rassen begegnet, aber längst nicht so viele, wie es selbst die konservativsten Rechenmodelle ergeben. Gemessen an der Anzahl lebensfreundlicher Planeten, müssten es mindestens ein paar Dutzend sein. Was die Menschen stattdessen vorfinden, sind die Überreste dieser Kulturen wie auf Resurgam. Dort lebten dort bis vor rund einer Million Jahren, bis sie plötzlich vom Planetenboden verschwanden - offensichtlich vernichtet von derselben kosmischen Katastrophe, die auch die anderen Aliengesellschaften ausgelöscht hat. Dan ist besessen von dem Wunsch, herauszufinden, was damals vor Urzeiten geschah. Und ob der Menschheit irgendwann dasselbe Schicksal droht.
Auf Yellowstone lebt die ehemalige Soldatin Ana Khouri als professionelle Killerin. Durch einen unwiderruflichen Fehler wurde sie nach ihrem letzten Militäreinsatz auf dem zehn Lichtjahre entfernten Sky's Edge in den Kühlschlaf versetzt und ins Epsilon Eridani System verschifft, und somit durch Zeit und Raum von ihrem Ehemann getrennt. In ihrer neuen Heimat wird sie eines Tages nach einer Exekution von der geheimnisvollen Mademoiselle kontaktiert. Ihr Auftrag für Khouri: Nach Resurgam reisen und dort Dan Sylveste zu erledigen, koste es, was es wolle.
Ebenfalls Kurs auf Resurgam will Ilia Volyova nehmen. Sie gehört als "Triumvir" zu den drei ersten Offizieren, die die "Sehnsucht nach Unendlichkeit", einer gigantischen gotischen Kathedrale von einem Raumschiff, befehligen. Die gesamte Crew besteht aus "Ultras", genetisch und prothetisch für extrem lange Reisen durch das All aufgerüsteten Menschen, die Cybord-mäßig effektiv handeln. Nur der Captain hat ein kleines Problem, er leidet an der Nano-Krankheit "Schmelzseuche". Der Name sagt hier bereits alles, und helfen kann nur Calvin Sylveste, den man aber ausschließlich im Doppelpack mit Klon Dan bekommt. Volyova benötigt außerdem einen neuen Waffenoffizier. Der letzte war aufgrund fortgeschrittenen Realitätsverlustes nicht mehr geeignet, die Bordbewaffnung der "Höllenklasse", echte Planetenpulverisierer und Raumzeit-Verschieber, zu kontrollieren. Khouri wird rekrutiert, mental eingenordet und für die jahrelange Reise nach Resurgam in die Kryobox gesteckt.
Dunkel, detailliert, dicht und organisch
Bis Reynolds diese drei Handlungsstränge zu einem verwebt, verlangt er seinen Lesern eine Menge Koordinationsarbeit ab. Wer nicht aufpasst und zu wenig am Stück schmökert, der kann leicht den Überblick verlieren, denn für die einzelnen Charaktere und ihre jeweiligen Handlungsfäden verwendet Reynolds oft nur wenige Seiten. Auch mit den Zeitperspektiven kann man durcheinanderkommen: Während Sylveste in der erzählten Jetzt-Zeit nach Alien-Artefakten gräbt, bereiten Khouri und Volyova zehn Jahre zuvor ihre Reise nach Resurgam vor.
Die galaktische Geschichte, die Reynolds entfaltet, verliert aber trotz ihrer Komplexität nur vereinzelt an Tempo. Reynolds, der noch bis vor kurzem als Physiker für die European Space Agency gearbeitet hat, schafft es immer wieder Teile aus der übergeordneten Handlung herauszulösen und so den Leser nach mehr sabbern zu lassen. Etwa das Ultra-Raumschiff, das monströs-dunkel und so "gothic" erscheint wie eine kosmische Version von Schloss Gormenghast. Oder die einprägsamen Beschreibungen der "Schleierweber" und "Musterschieber", zwei der wenigen Alien-Rassen, der die Menscheit in seinem Buch begegnet ist. Als Wissenschaftler behält Reynolds stets im Auge, dass es Im All gewisse physikalische Regeln gibt, an die sich alle halten müssen. Dies verleiht den technisch-physikalischen Beschreibungen eine gewisse Authentizität. Die menschliche Komponente dominieren zwei dunkle weibliche Charaktere, Khouri und Volyova. Sie sind komplex angelegt, ihre Motive werden klar erläutert und sind im Sinne der Handlung gerechtfertigt. Auch zeigen beide geistige Flexibilität, in dem sie ihre Ziele geänderten Umständen anpassen können.
Reynolds schreibt dunkel, detailliert, dicht und organisch, so dass "Unendlichkeit" auf seinen rund 800 Seiten eine fesselnde und ausgesprochen unterhaltsame Vision der Menschheit im All liefert. Die glaubwürdigen Protagonisten bewegen sich in plastisch beschriebenen Welten, die mit den Techno-Gimmicks, Aliens und Raumschiffen einen wunderbaren Hard SF-Hintergrund bilden für die nächsten zwei Gänge des "Revelation Space"-Menüs.

Unendlichkeit
- Autor: Alastair Reynolds
- Verlag: Heyne
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Stefan83 hat eine gute Rezension geschrieben! Für mich einer der schwächeren Romane von Reynolds. Da ich aber ein Fan Reynolds bin, der wahre Space-Operas schreibt, ist auch ein etwas schwächeres Buch von Ihm immer noch mehr als lesenswert. Kritik auf hohem Niveau! Wer die Welt des 'Revelation'-Zyklus(Inhibitor-Zyklus) mag, und nichts verpassen will, muss auch hier zugreifen. @Beverly Oft teile ich ihre Meinungen, und eig. ist auch alles ok. Nur schreiben sie manchmal Spoiler, Ereignisse wie z.B. das mißlungene Überholmanöver. Ansonsten alles top! (auch die Phantastik-Rezension verrät oft Dinge, die man lieber selbst gelesen hätte)
„Unendlichkeit“ ist nicht nur der Auftakt zum „Revelation-Space“-Zyklus, sondern gleichzeitig auch das Erstlingswerk des Walisers Alistair Reynolds, welcher lange Zeit als Physiker für die ESA (European Space Agency) gearbeitet hat und damit in Punkto Technik bereits durchaus das qualifizierte Rüstzeug für einen erfolgreichen Sci-Fi-Schriftsteller mitbringt. Leider kann er davon im ersten Band seines im weiteren Verlauf sich stetig steigernden Epos noch nicht viel Gebrauch machen, zumal der beinahe 800 Seiten umfassende Roman trotz beeindruckender Kulisse, vielfältigster Ideen und interessanter Figuren jeglichen Funken von Lebendigkeit bzw. Atmosphäre vermissen lässt. Gerade den „reichlichen Charakter“, welchen Rezensent Frank A. Dudley von der Phantastik-Couch so begeistert lobt, habe ich hier schmerzlich vermisst, ist doch das Gesamtkonstrukt von Reynolds Universum eigentlich äußerst stimmig konzipiert. Allein die Beschränkung der Menschheit auf Reisen unterhalb der Lichtgeschwindigkeit ist ein gelungener Kniff, der aus der in vielen Elementen futuristischen Sci-Fi-Opera eine gleichzeitig auch konsequente Weiterentwicklung des derzeitigen Stands der Wissenschaft macht. Die Handlung von „Unendlichkeit“ kann, im Gegensatz zu den folgenden Bänden des Zyklus, von solchen Einfällen leider (noch) nicht profitieren.
Aufgeteilt ist sie zu Beginn in drei, später zwei parallel laufende Handlungsstränge, welche jedoch in verschiedenen zeitlichen Ebenen spielen. Ihren Anfang nimmt die Geschichte auf dem Planeten Resurgam, welcher im äußersten Winkel der von Menschen kartographierten Galaxis liegt und vor etwa einer Million Jahren Heimat des Volkes der Amarantin war. Von ihnen und ihrer Kultur sind nur noch tief im Boden verschüttete Ruinen übrig geblieben. Eine mysteriöse planetare Katastrophe hat sie vollständig ausgerottet – und Dan Sylveste, egozentrischer Wissenschaftler und Archäologe, arbeitet versessen daran, die näheren Hintergründe der Vernichtung in Erfahrung zu bringen, zumal er befürchtet, dass der Menschheit, welche trotz ihrer weiten Ausbreitung bisher nicht auf nennenswerte Alienvölker gestoßen ist, in nicht allzu ferner Zukunft dasselbe Schicksal drohen könnte.
Zehn Jahre zuvor begleiten wir das Lichtschiff „Sehnsucht nach Unendlichkeit“, das sich, gestartet im Epsilon Eridani System, der Heimat Silvestes, auf der langen Reise nach Resurgam befindet. Mit an Bord ist auch die professionelle Killerin Ana Khouri, welche im Auftrag der geheimnisvollen Mademoiselle, einen Weg finden sollen, den bekannten Archäologen zu eliminieren. Keine leichte Aufgabe, ist doch das Schiff mittlerweile fest im Griff der Schmelzseuche und wird von einem rätselhaften Virus namens „Sonnendieb“ immer wieder sabotiert …
Wenn ich ehrlich bin, ist dieser kurze Anriss des Inhalts doch sehr geschönt, braucht es doch viele hundert Seiten bis überhaupt absehbar wird, dass die einzelnen Handlungsstränge ineinanderlaufen bzw. näher miteinander zu tun haben. Alistair Reynolds springt schneller zwischen Perspektiven, Zeiten und Schauplätzen als Vettel Rennen fährt, weshalb es besonders im ersten Drittel des Romans höchste Aufmerksamkeit bedarf, um zumindest ein wenig den Überblick zu behalten. Mehr als einmal stand ich kurz davor, diesen dicken Schinken in die Ecke zu knallen, wurde dann aber stets wieder schwach, da es dem Autor, trotz des komplexen Handlungskonstrukts, schließlich doch gelingt für gewisse Spannungsmomente zu sorgen und durch rätselhafte Ereignisse den Detektiv im Leser zu wecken. Mit fast schon unverschämter Dreistigkeit hält er uns immer wieder den leckeren Knochen hin, um ihn kurz vor Erreichen unter der Nase wegzuziehen. Bestes Beispiel sind die eindrucksvollen Beschreibungen der „Schleierweber“, deren im Dunkeln lauernde Gefahr man sich (wie auch die „Schmelzseuche“) viel detaillierter ausgearbeitet wünscht. Reynolds belässt es aber bei einer kurzen Geschmacksprobe und konzentriert sich stattdessen auf das konfliktreiche Katz-und-Maus-Spiel der Figuren.
So wird der Leser durchgehend an der langen Leine gehalten, was von der Besetzung des Romans noch verstärkt wird, die – und daran krankt „Unendlichkeit“ besonders – ziemlich blass daher kommt. Ob Ana Khouri, Volyova oder Sylveste selbst – inmitten der durchaus beeindruckenden Kulissen (hier ist vor allem das düstere, schaurige Ultra-Raumschiff „Sehnsucht nach Unendlichkeit“ hervorzuheben) wirken sie allesamt wie ungewollte Staffage, derart lieblos sind sie gezeichnet. Eine größere Verbindung zwischen Leser und Figuren will so nicht aufkommen. Der Mangel an sympathischen Charaktere ist Reynolds dabei weniger vorzuwerfen, als die emotionale Gleichgültigkeit mit der sie handeln. Kalt, rücksichtslos, verschlagen – alles schön und gut. Aber was geht in den Köpfen eigentlich vor? Was sind die Motive? Und warum fühlen wir nicht mit ihnen? Womit Reynolds in „Chasm City“ zu begeistern weiß, das gelingt hier nicht oder zumindest nicht lang genug, um an irgendeinem der Schicksale Anteil zu nehmen. Torpediert wird das Ganze noch durch ein vorangestelltes Personenregister, das unnötigerweise bereits vor dem ersten Satz der Geschichte Auskunft darüber gibt, was mit wem wo und wann passiert bzw. wer was und wie im Schilde führt. Daher vorweg an alle künftigen Leser: Unbedingt ignorieren, um sich nicht vorab die ohnehin rar gesäten Aha-Momente zu nehmen.
So kritisch die Rezension nun klingen mag, ein Flop ist „Unendlichkeit“ beileibe nicht. Allein die detaillierten physikalischen Beschreibungen Reynolds sowie der umfangreiche Aufbau beeindrucken, machen einfach Appetit auf dieses Universum, das augenscheinlich noch so viele Überraschungen bereithält, welche in den kommenden Bänden dann tatsächlich auch auf den Leser warten. Um diese in vollen Zügen genießen zu können, sollte man „Unendlichkeit“ allerdings unbedingt gelesen haben, da hier der Boden für zukünftige Ereignisse bereitet wird. Dieser „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“-Charakter des Buches wird natürlich nicht bei allen Sci-Fi-Freunden auf Begeisterung stoßen.
Letztlich bleibt nur zu sagen: Der Kampf durch dieses manchmal arg staubige und zähe Machwerk lohnt. „Unendlichkeit“ präsentiert sich als verheißungsvolle Spitze eines weit größeren Eisbergs, an dem Freunde der dystopisch-dreckigen Science-Fiction sicherlich ihren Spaß haben werden. Wer hier jedoch nicht bis zum Ende durchhält, hat trotzdem mein vollstes Verständnis.
"Unendlichkeit" ist der erste von mehreren Romanen, die einige Jahrhunderte in der Zukunft in einem recht düsteren Universum spielen. Die anderen Romane sind "Chasm City", "Die Arche" und "Offenbarung".
Die Menschheit in jener Zukunftswelt hat zwar die Sterne erreicht, doch ist sie dabei auf Reisen mit Unterlichtgeschwindigkeit beschränkt. Der Versuch, ein gegnerisches Raumschiff mittels eines Überlichtsprungs zu überholen, endet in einem Desaster - Überlichflug ist theoretisch möglich, praktisch mit unvorhergesehenen Risiken verbunden.
In der Nanotechnik hat die Menschheit ihre besten Tage schon hinter sich: die sogenannte "Schmelzseuche" hat Nanomaschinen nicht nur unbrauchbar gemacht, sondern zu einem lebensbedrohlichen Risiko für ihre Träger.
Zunächst haben die Menschen keinen Kontakt zu anderen Zivilisationen. Auf einem Planeten finden sie Überreste einer untergegangenen Zivilisation. Das, was für ihren Untergang verantwortlich war, wendet seine Aufmerksamkeit nun den Menschen zu und im Laufe des Zyklus zeichnen sich Gefahren ab, die die gesamte Menschheit bedrohen.
Vor diesem Hintergrund erzählt Reynolds an verschiedenen Schauplätzen und mit unterschiedlichen Protagonisten spannende Geschichten mit interessanten, wenn auch oft tragischen oder finsteren Charakteren. Nicht alle seine Protagonisten sind menschlich, wobei die Idee mit den Schweinen genial ist.
Leider trübt "Offenbarung" den sehr positiven Eindruck der Romane davor, weil Reynolds hier einen adäquaten Abschluss für die zuvor entwickelten Handlungsstränge schuldig geblieben ist.
Dem oben-Geschriebenen vermag ich nur zu zustimmen. ,,Unendlichkeit" zeichnet sich v.a. durch seine komplexe Story und durchdachten Hintergründe aus. Eine wahrhaftige Space-Opera, werden hier zu jedem Charackter so viele Ifomationen und Details in einer zusammenhängenden Geschichte gegeben, dass man sie sich wahrlich vorstellen kann!
Da die Anzahl der durch die Geschichte-führenden Protagonisten ist gering gehalten, so dass man trotz Komplexität nicht den Überblick verliert. Die Geschichte mag zu Beginn sehr fantastisch/fictional und auch etwas überfordend scheinen, beginnt aber alsbald zu fesseln und das Prädikat ,Science`in Science-Fiction verdient es sich durch v.a. zum Schluss immer häufiger-erklärte astro-physikalische Details.
Perfekt, um sich einfach mal in eine fictionale Welt hineinzuträumen!