
Für Parisliebhaber und Romantiker
Nach der Beerdigung ihres Verlobten flüchtet Sophie nach Paris. Sie mietet sich ein Zimmer bei einer alten Dame, nimmt tagsüber an einem Fremdsprachenkurs teil und versucht mit ihrer Trauer fertig zu werden. Aber die Ablenkung gelingt nicht, zu vieles erinnert in der Stadt der Lichter an ihren ermordeten Verlobten Rafael (Rafe). Die Verzweiflung treibt sie eines Abends über das Geländer einer Seine-Brücke. Im letzten Moment, bevor sie springen will, erblickt sie auf einem Schiff einen Mann, der genau wie Rafael aussieht. Aufkeimende Hoffnung lässt ihr keine Ruhe und sie begibt sich auf die Suche. Während ihrer nächtlichen Detektivarbeit bewahrt ein anderer Fremder namens Jean sie davor, eine gefährliche Dummheit zu begehen. Wider aller Logik und trotz Jeans Warnungen, sich auf keinen Fall mit dem Mann mit Rafaels Aussehen einzulassen, trifft sie sich mit ihm. Die bis dahin realistische Handlung gleitet ins Fantastische, denn der Fremde entpuppt sich als gefallener Engel.
Das Flair einer Stadt
Der Einstieg in das Buch fällt leicht, denn es beginnt mit spannenden Szenen. Die Sprache ist sehr ansprechend und die Autorin zeichnet Paris in stilistisch so kraftvollen und lebendigen Bildern, dass man sich sofort hineinversetzt fühlt in die Straßen, die Cafes und Plätze dieser Metropole. Nach der Lektüre verspürte ich sofort Lust, einen kurzen Parisurlaub einzuschieben.
Dieser starke Einstieg verliert allerdings bald an Schwung und die Handlung kommt im Mittelteil nur langsam voran. Durch die anfangs ausschließlich gewählte Innenperspektive von Sophie nimmt der Leser intensiv an ihrem Gefühlsleben teil, für Anhänger von Schlag auf Schlag Action ist das sicher ein dickes Manko. Sophie zweifelt, ist ängstlich, weint ständig und es fällt ihr schwer, aus ihrer Trauer herauszukommen. Ihre heile Welt ist durch die Ermordung Rafes zusammengebrochen, alle ihre Zukunftspläne sind vernichtet. Ihr Parisaufenthalt sollte ihr helfen, aus diesem tiefen Loch herauszufinden. Das geschieht natürlich auf eine gänzlich andere Art als gedacht. Die Ereignisse der Handlung sind nicht besonders überraschend und einige Ideen und Nebenfiguren wirken leicht aufgesetzt.
Aber das alles wird sprachlich so gekonnt und atmosphärisch dicht erzählt, dass ich mich an keiner Stelle gelangweilt fühlte und ich hatte den Stoff innerhalb kürzester Zeit gelesen. Aufgebrochen werden die Ereignisse durch den Perspektivenwechsel auf Jean. Er ist ein geheimnisumwitterter Mann, der durch seine vielschichtige Persönlichkeit fesselt. Die Auseinandersetzung mit ihm, die Diskussionen und die Exkurse in theologische Grundsatzfragen sind interessant. Besonders der Ansatz, dass die gefallenen Engel keine Möglichkeit haben, etwas Gutes zu tun, sondern von Gott dazu verdammt sind, als reine Instrumente des Bösen zu dienen, gefällt mir gut. Natürlich werden solche Fragen nur angerissen, eine tiefer gehende Betrachtung würde die meisten Leser eines solchen Romans abschrecken und passt auch nicht zu dem Genre. Das rasante Ende erscheint im Verhältnis zum breiten Mittelteil gedrängt und lässt leider noch etliche Punkte offen.
Wer braucht einen Prinzen auf einem weißen Pferd?
Meine Hauptkritik richtet sich gegen die Hauptprotagonistin selbst und den klassischen Plot, Frau muss sich von starken Männern retten lassen. Letzteres ist natürlich von vielen Leserinnen genau so gewünscht, aber das kann man als Autor auch anders ausgestalten. Sophie ist der größte Schwachpunkt der ganzen Geschichte, sie ist mir als Heldin zu bieder und brav. Höflich, nett, ängstlich darauf bedacht, nicht anzuecken, fleißige Schülerin, brave Tochter, wohlbehütet, ein durch und durch an die Gesellschaft angepasstes Mädchen, die nicht aufbegehrt. Sie glaubt zwar nicht an Gott, aber sie rennt sofort zu einem Priester und ist gewillt, ihm zu glauben, weil er angeblich Fachmann ist. Auf die Idee, Autoritäten in Frage zu stellen, kommt sie nicht. Das nervt, da hätte ich eine Entwicklung erwartet.
Sophie ist hübsch genug, um die Aufmerksamkeit von Männern auf sich zu ziehen, aber sie fühlt sich in Gegenwart von attraktiven, selbstbewussten Frauen sofort eingeschüchtert. Ihr Verlobter dagegen ist ihr Prinz auf dem weißen Pferd. Der gefallene Engel Gadreel wirkt auf mich viel sympathischer als dieser Überheld und Gut-Mensch Rafe, den Sophie auf einen viel zu hohen Sockel hebt.
Natürlich könnte man argumentieren, Verstorbene werden immer verklärt gesehen, die negativen Eigenschaften werden verdrängt. Am ärgerlichsten empfinde ich, dass Sophie das klischeehafte Mädchen ist, das die Rettung von einem Mann erwartet und Opferung als einzige aktive Möglichkeit für eine Frau ansieht.
Meine Hoffnung ist, dass es eine Fortsetzung geben wird, in der genau diese fehlende Entwicklung der Hauptprotagonistin vollzogen wird, und die offenen Punkte bieten genug Ansätze dafür. Denn trotz der Kritik habe ich den Roman gerne gelesen.

Der Kuss des Engels
- Autor: Sarah Lukas
- Verlag: Piper
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Der Engel küsst, der Dämon beißt
In Sophies Leben ist ein großes Unglück geschehen. Ihr Verlobter Raphael ist tot, wurde in Kolumbien von Guerillas erschossen, als er da als werdender Arzt bei einer Hilfemission im Einsatz war. Seitdem findet Sophie keine Ruhe und weiß nicht mehr, wie sie weiterleben soll. Sie zieht nach Paris und versucht neu anzufangen. Die Gedanken an Raphael und die Trauer um ihn lassen sie nicht los. Eines Tages ist sie fast dabei, sich das Leben zu nehmen. In diesem Augenblick sieht sie einen Mann, der ihrem verstorbenen Geliebten so ähnlich ist, dass Sophie glaubt, es sei Raphael selbst. Sie versucht ihn in der Millionenstadt zu finden und das gelingt ihr tatsächlich. Doch dieser Raphael ist nicht der Raphael, den sie kannte und liebte und von dem sie geliebt wurde.
Wer ist er aber? Er erkennt Sophie nicht, kann sich an nichts gemeinsames erinnern, er benimmt sich sehr seltsam und scheint sogar mit den dunklen kriminellen Gestalten der nächtlichen französischen Hauptstadt verbunden zu sein.
Bis dahin entwickelt sich die Geschichte eher wie ein Krimi, lässt sich spannend lesen und ist interessant. Man hofft auf einen gelungenen Roman von der jungen Autorin Sarah Lukas. Das ist ihr erstes Werk und alles deutet darauf, dass sie ihre Schriftstellerei handwerklich ganz gut beherrscht. Der Stil ist präzise, die Sätze gut durchdacht und schön aufgebaut. Das gilt allerdings nur für die erste Hälfte des Buches.
Dann kommen aber unterirdische Kräfte ins Spiel. Dieser Raphael ist in Wirklichkeit nicht ihr Raphael. Er ist ein Engel. Und zwar ein gefallener Engel namens Gadreel, von der dunklen Macht auf die Erde geschickt. Mit welcher Aufgabe er sich ausgerechnet in Paris in Gestalt von Raphael aufhielt, bleibt dem Leser auch nach dem Ende der Handlung unklar. Die Idee des Romans neigt damit ins Irreale und der Plot verliert gänzlich an Spannung. Nach langem hin und her, vielen Zitaten aus dem Buch Henoch, langweiligen Gesprächen über die Rolle Gottes und seiner Diener, die in nichts führen, vielen Nebenfiguren ohne ausgearbeiteten Charakter…
Und wie sieht ein gefallener Engel aus, wenn er sein wahres Gesicht zeigt? Klar, mit einem Schwanz, roten Augen, Hufen, pelzig und feuerspeiend. Die Autorin hat sich nichts Besseres einfallen lassen. Kindisch und lächerlich.
Ab der Stelle, wo dem Leser dieses fürchterliche Bild des Dämons gezeigt wird, habe ich das Buch nur mit Mühe weiter gelesen. Solche Erscheinungen interessieren mich gar nicht. Es ist einfach nicht mein Lesestoff.
Den Gedanke selber, dass Engel (auch die gefallenen) unter uns leben, würde ich akzeptieren, wenn die Autorin ihre Idee besser umgesetzt hätte. Warum wird der richtige Raphael, der von allen nur als vorbildlicher und sehr netter Mensch beschrieben wurde, plötzlich nach seinem Tod zu einem GEFALLENEN Engel? Womit hat er es verdient? Wozu wurde er ausgerechnet nach Paris geschickt, wo jetzt auch seine frühere Verlobte lebt, wenn er sich gar nicht an sie erinnert? Muss er sich dann genau als Raphael ausgeben? Fragen über Fragen. Und keine Antworten. Nur eine irreale Liebesgeschichte. Ausgedacht aber nicht durchdacht. Mit Happy End natürlich, das gehört zum Genre. Aber das Ende der Geschichte bringt keinerlei Licht in das Dunkel der Verwirrung. Zu welchem Zweck wurde die Geschichte überhaupt geschrieben?
Wem solche Sujets gefallen, dem wird vielleicht das Buch auch gefallen. Mir allerdings hat der Roman nicht zugesagt und ich würde ihn nicht weiterempfehlen.