
Der Doktor, der kleine Will und die Bestien
Das pittoreske Neuengland hat schon öfter als Schauplatz für Ereignisse herhalten müssen, die nichts weniger als den Untergang der Menschheit heraufbeschworen. Monster (und Autoren) aller Art scheinen dabei eine echte Vorliebe für hinterwäldlerische Käffer, nebeltriefende Wälder und viktorianische Friedhöfe entwickelt zu haben, ohne die man sich eine Schauermär nicht vorstellen will. Man denkt mit wohliger Beklemmung (oder wenigstens mit einem nostalgischen Schaudern) an die Grossmeister des Schreckens, an Lovecraft, King und Konsorten, die uns das Land der Pilgerväter als Hort des Grauens präsentierten.
Im "Monstrumologen" ist das fiktive New Jerusalem Heimat von Dr. Warthrop und dem kleinen Will, dessen Eltern ehemals in den Diensten des Doktors standen und ihren Sohn zu einem Waisen machten, als sie einem Brand zum Opfer fielen. Als eines Abends ein Grabräuber dem Doktor die Leiche eines unbekannten Wesens bringt, das sich in sein letztes Opfer verbissen hat, kommt Schwung in die Bude. Warthrop wird ganz hibbelig, handelt es sich doch dabei um einen "Anthropophagen", ein kopfloses Monster, dessen Beissapparat sich im Bauchbereich befindet und dort einzig und gerne Menschenfleisch verarbeitet. Der Doktor konsultiert seine Folianten, liest die eine oder andere Stelle in Altgriechisch, aber eigentlich ist er sich längst sicher, dass es sich um eine echte Bedrohung handelt. Denn der Doktor ist ein Experte für allerlei Fehlwüchse der Natur, ein sogenannter Monstrumologe, der sich der Erforschung und letztlich auch der Jagd solcher abnormer Wesen verschrieben hat, von denen eines jetzt auf seinem Seziertisch liegt. Doch wie ist das Ding gestorben? Um das herauszufinden zieht der gute Doktor alle Register seiner Kunst und nicht zuletzt sein Fleischerbeil, um den monströsen Leichnam in seine Einzelteile zu zerlegen.
"Mach fix, Will Henry!"
Der Monstrumologe liegt schön schwer in der Hand und macht vorerst mit dem stimmungsvollen Schwarzweiss-Umschlag Lust aufs Lesen. Die vergeht einem aber rasch und ich muss gestehen: Das Buch hat mich ab der zwanzigsten Seite gelangweilt, später dann meist geärgert. Die Ausgangslage, die der Klappentext skizziert (ein verquerer Monsterexperte und sein jugendlicher Assistent machen Jagd auf ein, - na was wohl? -, Monster oder auch auf eine ganze Horde davon) schien mir etwa genug Material für eine flotte Kurzgeschichte herzugeben. Wie, - so rätselt man -, wird es der Autor wohl schaffen, diesen schmalbrüstigen Plot aufzubauschen und den Leser über 400 Seiten spannend zu unterhalten? Yancey versucht es von Beginn weg mit Schablonen, sowohl bildhaften als auch sprachlichen. Fast jeder Satz ist ein Klischee und auf nervtötende Weise wird die Floskel "Mach fix, Will Henry!" wie ein Mantra heruntergebetet. "Reisszähne" sind bei Yancey immer "rasiermesserscharf" und die Monster "Ausgeburten der Hölle". Na, wenn das nicht Stimmung macht. Die Dialoge sind unnatürlich, so sprach niemand, auch nicht im ausgehenden 19. Jahrhundert. Ein Beispiel gefällig? In jener Szene fragt der Doktor den fünfzehnjährigen Malachi, was dieser gesehen habe (Der Junge ist soeben Zeuge davon geworden ist, wie seine Familie von den Anthropophagen abgeschlachtet wurde), worauf dieser antwortet: "Ich sah, wie der Schlund der Hölle sich auftat und die Brut Satans sich ergoss! Das ist es, was ich gesehen habe!"
Redet so ein Fünfzehnjähriger im Schockzustand? Immer wieder hatte ich bei diesem Buch das Gefühl, dass hier so manches nicht stimmt. Trugen Ärzte damals (Gummi)-Handschuhe und Mundschutz? Sagten sie "Teenager"? War die Substanz Adrenalin schon bekannt? Auch wenn Will seine Geschichte erst später, als alter Mann, aufschreibt, wirken solche Dinge im Text deplatziert. Und dem guten Doktor wird in Regelmässigkeit die eine oder andere Weisheit in den Mund gelegt, die über die Seichtheit des Plots hinwegtäuschen soll. Nur weil man aber Herodot und Shakespeare zitiert, entsteht noch lange keine gute Literatur.
Im Verlauf der Geschichte erfährt man, dass schon Warthrops Papa (ein noch sonderbarerer Sonderling!) mit den Anthropophagen zu tun gehabt hatte. Diese waren ein Vierteljahrhundert zuvor im Bauch eines ehemaligen Sklavenschiffes von Afrika nach Amerika geschifft worden. Nicht als Staffage für ein Kuriositätenkabinett, sondern weil der Monsterjäger-Papa die Kreaturen für ein geheimes "Zuchtprogramm" auserwählt hatte. Agenten der Konföderation bekundeten bereits Interesse an diesen Plänen. Aber es kommt, wie es kommen muss: Das Schiff erleidet noch vor seiner Ankunft Havarie und wenigstens einem Paar der gefrässigen Monster gelingt die Flucht an Land. All dies erfahren der Doktor und sein Assistent in einer Irrenanstalt, wo der einzige Überlebende des Unglücks in der letzten Stunde vor seinem Ableben diese Geschichte von sich geben darf.
Man ist, was man jagt, lässt Yancey seinen jugendlichen Erzähler räsonieren, doch menschliche Abgründe lotet der Autor mit seinen Figuren nie aus. Weiter fand ich störend, dass Yancey seiner Geschichte partout keine Frauenfiguren gönnen mochte. Diesen sind ausschliesslich die Opferrollen vorbehalten, wobei sie gerade mal von den Monstern "geschwängert" oder von den Jägern als Köder missbraucht werden dürfen. Geschähe das mit einer gewissen Ironie, - es wäre immerhin Geschmackssache. Aber so finde ich das einfach nur erbärmlich.
"All Age Horror" oder langatmige Monsterhatz?
Das grösste Problem, an dem der Roman krankt und das das Geschehen seitenlang lahmen lässt, ist die Perspektive des Erzählers. Nicht, dass es eine Besonderheit darstellte, wenn ein Waisenkind ins Zentrum einer Geschichte gestellt wird, die Liste gelungener Beispiele (von Oliver Twist bis Harry Potter) ist lang. Aber dass Yancey sich entschieden hat, seine Geschichte aus rückblickender Sicht des jugendlichen Assistenten zu erzählen, ist wenig nachvollziehbar. Bei einem Plot, der ja besonders von der Stimmung lebt, vom Ungewissen, was die Bedrohung durch diese Menschenfresser angeht, ist der Erzähler einfach ein unglaublicher Bremsklotz. Man hat stets im Hinterkopf, dass dieser Erzähler ja (leider!) überleben muss, ansonsten könnte er uns nicht mit seinem langatmigen Bericht hinhalten. Aber das eigentlich Schräge am Monstrumologen ist, dass das amerikanische Original als Horror-Roman für Jugendliche angepriesen wird! Man hat Autor Yancey in Verdacht, dass er es nicht schaffte, einen flotten Erwachsenenroman zu schreiben, so dass er das Werk halt einfach für eine jugendliche Zielgruppe ummünzte. Die deutsche Übersetzung hat man sich dann wahrscheinlich wegen der blumig-ekligen Szenen nicht als Jugendbuch zu deklarieren getraut. Die gekünstelte Sprache kann dabei nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Story ziemlich einfach gestrickt ist. Der Monstrumologe ist ja auch kein Roman, sondern eben eine auf 400 Seiten ausgedehnte Kurzgeschichte. Und er könnte durchaus einen neuen Trend begründen, der mit dem Stempel "All Age Horror" gut bezeichnet wäre. Doch damit haben wir auch schon die Inkompatibilität. Meines Erachtens ist ein Buch entweder Horror in all seinen Facetten (und daher für Erwachsene oder für solche, die glauben, harte Kost zu vertragen) oder es ist eine Geschichte, die sich trotz unheimlicher Atmosphäre auch an Jüngere richten kann und dabei auf explizite Gewalt verzichtet. Um das Prädikat eines Jugendbuches zu erhalten, müsste die Hauptfigur des Weiteren eine Entwicklung durchmachen, was im Fall Will Henrys nicht gegeben ist. Der Waisenjunge ist und bleibt ein Hampelmann, der sich nur gelegentlich am schlechten Vorbild des Doktors "reibt", ohne der Geschichte eigene Impulse zu verleihen oder sie zu beeinflussen. Es fehlt somit eine Identifikationsfigur. Und wie legt der Autor punkto Gewalt überhaupt seine Messlatte an? Würde er dieses Buch seinen Kindern vorlesen? Die Ekelszenen sind dann aber auch so etwas wie der (einzige) lohnende Aspekt dieses Machwerks, dort läuft Yancey zu seiner "Hochform" auf und beschert uns ein paar nette Beschreibungen.
Der anfangs erwähnte Lovecraft wusste aber, weshalb man dem Grauen in Form von einer Bedrohung durch Monster nicht unbeschränkt Raum widmen kann. Eben weil sich der Effekt des "Was-lauert-denn-da-im-Dunkel-und-wird-mich-gleich-anspringen?" bald abnutzt. Natürlich darf man als Autor (und auch als Leser) trotzdem Ungeheuer lieben. Dabei bewirken letztlich Handwerk und Talent eines Autors (der das Menschliche und Zwischenmenschliche dazu nimmt), ob aus der Monsterstory eine spannende Geschichte wird. "Der Monstrumologe" ist von Anfang an klischeebehaftet, Spannung kommt nie auf und die Charaktere bleiben Totgeburten. Da helfen auch kein scharfes Riechsalz, kein Blut und kein spritzendes Gehirngewebe, um diese Geschichte zum Leben zu erwecken.
Aber Obacht! Yancey wird von seinem Konzept nicht lassen, denn er hat uns bereits weitere Bände der frivolen Monsterhatz angedroht! Auf Englisch ist der zweite Teil mit dem Titel "The Curse oft the Wendigo" schon erschienen. Und ich denke, da geht es ganz "fix" und der trudelt auch bei uns in die Läden.

Der Monstrumologe
- Autor: Rick Yancey
- Verlag: Bastei-Lübbe
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Der Autor Rick Yancey legt mit dem Buch 'Der Monstrumologe' ein rundes und wunderbares Werk vor. Die Erlebnisse des jungen Henry bei dem schrägen Doktor Warthrop sind dunkel und blutig, doch mit zunehmender Seitenzahl lernt der Leser mehr und mehr von dem Handwerk eines Monstrumologen und versteht das Handeln der Charaktere immer besser. Auch werden die Anthropophagen - also die Menschenfresser - so wissenschaftlich erklärt, als ob diese einst tatsächlich den Erdball bevölkerten. So passen die Geschehnisse prima in das auslaufende 19. Jahrhundert, in dem die Handlung des Buches spielt, welches übrigens mit schönen schwarz-weiß Illustrationen optisch aufgewertet wurde. Da einige Passagen echt nichts für weiche Gemüter sind muss ich sagen, dass 'Der Monstumologe' kein Jugendbuch ist, wie wohl stellenweise angegeben wird! Eine weitere Besonderheit stellen Prolog und Epilog da, die dem Buch ein wenig Realismus verschaffen, denn laut diesen hat Autor Yancey die Geschichte des Romans aus den Tagebüchern des verstorbenen Heimbewohners William Henry James. Bestätigen kann den Wahrheitsgehalt um diese Abenteuer mit den Menschenfressern zwar niemand - trotzdem ist es gut, dass Yancey für diesen Roman erst drei der dreizehn Tagebücher aufgebraucht hat. Wir werden also noch weitere Geschichten um Will Henry und Doktor Warthrop lesen dürfen - gut so, denn dieses Werk habe ich ziemlich anthropophagen-like verschlungen!
92°
Das Buch ist, wie schon oft bemerkt, sehr gut aufgemacht, die Lust aufs lesen wird geweckt.
Aber leider wird man bitter enttäuscht, es ist langweilig, langatmig und öde.
Der Plot wirkt schablonenartig und zu arg vorkonstruiert.
Immer wieder habe ich dieses Buch zur Seite gelegt und nur weitergelesen, wenn mein Buchnachschub zum erliegen kam.
Herr Nussbaum hat in aller Ausführlichkeit im wesentlichen meine Meinung wiedergegeben.
Mein Fazit: durchgefallen
Ein Waisenjunge wächst als Gehilfe bei einem schrulligen, verplanten Doktor, für den auch schon der Vater des Jungen tätig war, auf. Der Doktor ist Monstrumologe, d. h. er erforscht Monster. Eines Nachts steht ein Grabräuber vor der Tür und bringt eine Leiche, in die sich ein Monster verbissen hat. Dieses Untier ist nicht in der Gegend heimisch. Der Monstrumologe beschließt dem nachzugehen und so beginnt die Monsterjagd.
Die Geschichte spielt Ende des 19. Jahrhunderts. Dem sind Begebenheiten, Sprache und Verhalten der Leute angemessen. Man entwickelt sofort Sympathien für den Jungen und nach und nach auch einen gewissen Grad an Verständnis für den Monstrumolgen. Über diesen hätte ich gern mehr erfahren. Leider war dem nicht so. Dafür wurden häufig die Gedanken geschildert, die sich der Gehilfe zu der Person und Handlungen des Doktors macht. Das sorgt leider immer wieder für kleine Längen ohne wirklich viel über den Monstrumologen auszusagen.
Das sind aber auch schon die einzigen Kritikpunkte, die ich hier anführen möchte. Die Story ist nämlich grundsätzlich schon spannend erzählt. Auch mit Blut und ekligen Details wird wirklich nicht gespart. An ein zwei Stellen, hätte der Autor fast meinen Magen in die Knie gezwungen.
Die Dinge, die man über die Charaktere erfährt sind interessant (nur eben leider zu wenig). Die Personen haben alle Ecken und Kanten. Das gefällt mir.
Unterm Strich, eineäußerst unterhaltsame, blutreiche, teils widerliche Geschichte mit kleinen Längen. 85°
DER MONSTRUMOLOGE fiel mir vor einiger Zeit in meiner Bücherei durch die ansprechende Aufmachung an. Ich nahm es neugierig zur Hand und las im Einband oben genannte Einleitung zur "Monstrumologie"...und war sofort "gefangen". Kurz überlegt, da "Broschierte" (Taschen)Bücher ja etwas teurer sind, fand es den Weg in meine Einkauftasche.
Gelesen hab ich Ihn nun zum Jahresende und bin völlig begeistert.
Es liest sich herrlich altmodisch, mit einem modernen Touch; ich weiß es nicht besser auszudrücken, aber wer es liest, wird wissen, was ich meine.
Yancy webt eine Geschichte, die mit Historischem verknüpft wird, um uns eine "klassische" Monstergeschichte zu erzählen; und in seinem Roman sind die Monster (selbstverständlich) real!
erzählt wird die Geschichte hauptsächlich aus der Sicht eines Waisenjungen, der als Gehilfe/Lehrling bei dem angesehensten Monstrumologen in Stellung ist...obwohl die allgemeine Öffentlichkeit von dieser so gar nichts wissen will...
die Charakterisierung ist (meiner Meinung nach) gelungen, die Vertiefung der Beziehung von Lehrling zum Meister verlangt dem Leser sicher auch mal die ein oder andere Länge ab; tut dem ganzen aber keinen Abbruch!
ein Wort als Warnung:
sollte jemand mit dem Gedanken spielen, dieses Buch einem Kind zu schencken (die Aufmachung assoziiert etwas in Richtung Kinderbuch), Aufgepasst! Hier geht es wenig zimperlich zu Werke!!
Ein erstaunlicher Härtegrad wohnt dem ganzen inne (evtl. deshalb von der Couch sogar unter Horror eingepflegt).
Ich bin auf weitere Romane von Yancy sehr gespannt.
Für die Story vergebe ich 90°, zusätzliche 5° packe ich für die ansprechende Aufmachung drauf!
die ganzen liebevollen Schwarz-Weiß-Zeichnungen wirken aber sicher in einem großen Buch besser, also Interessierte: wartet nicht auf ein "verkleinertes" Taschenbuch, sondern belohnt Lübbe für die nette Umsetzung (sowas wünsche ich mir öfter).
eines meiner Jahreshighlights: 95°.