
Eine geradlinige Geschichte um Freiheit und Kunst
Farben werden häufig mit Gefühlen und Stimmungen assoziiert. Rot wirkt als Farbe der Leidenschaft und Gefahr meist aggressiv, während Braun als Erdton sanfter erscheint. Weiß als Farbe der Unschuld und Reinheit steht im Gegensatz zum harten bedrohlichen Schwarz. Aber unsere Welt ist nicht Schwarz-Weiß, sondern besteht aus vielen Farben und ihren Abstufungen. Kaja Evert kleidet in ihrem Roman ´Flügel aus Asche´ ihre Liebe zu den Farben des Himmels, der Erde und des Lichts in Worte und zeigt in ihrem Debüt, wie wichtig Freiheit und Kunst sind. Und so wie unsere Welt nicht einfach nur Schwarz-Weiß ist, sondern die Grauzonen überwiegen, sind die Helden in Kaja Everts fantastischer Welt nicht leicht einzuteilen in Gut oder Böse.
Adeen, ein Junge mit einer großen Begabung fürs Zeichnen, darf sein Talent nicht ausleben, denn das Malen von nicht genehmigten Bildern ist per Gesetz verboten. An der Akademie der Magier verdient sich Adeen seinen kläglichen Lebensunterhalt mit dem Abschreiben von Zaubersprüchen, aber er kann die Texte weder lesen noch versteht er die Sprache der Magie. Dank seiner schwarzen Hautfarbe und als Spross einer verbotenen Verbindung bleibt er ein Außenseiter in Rashija. Er wird herumgestoßen, als Krähe beschimpft und besonders von dem adligen Lehrmeister Charral schikaniert. Aber das ist nichts Ungewöhnliches in der fliegenden Stadt, Grausamkeiten gegenüber machtlosen Angehörigen der Unterschicht sind an der Tagesordnung. Selbst die privilegierten Adligen und Magier werden vom despotischen Herrscher in ein enges Korsett gezwängt, das allein seinem Machterhalt dient. Nicht nur die edle Draquerin Talanna, die Verlobte Charrals, hat die Nase voll davon, auch Adeen schließt sich den Rebellen an, als sich herausstellt, dass sogar sein Ziehvater Rasmi deren Aktionen unterstützt.
Eine sanfte Künstlerseele begehrt auf
Flügel aus Asche ist ein temporeicher Roman mit einer dezenten Liebesgeschichte, in dem geradlinig in einem einzigen Handlungsstrang aus der Sicht des Protagonisten erzählt wird. Dank des stilsicheren und gekonnten Aufbaus verfolgt man die Ereignisse mit Spannung, obwohl das Grundmuster, ein Geknechteter begehrt gegen seine Unterdrücker auf, ein altbekanntes Motiv ist. Sofort im ersten Kapitel erhält der Leser eine ziemlich gute Vorstellung von der repressiven Umwelt des Helden, lernt den Gegenspieler kennen und ahnt, wer die Herzensdame des Helden sein wird. Adeen hebt sich allerdings ein wenig ab von den zahlreichen Helden der High-Fantasy, die sich im Laufe ihrer Queste vom einfachen Burschen zu einem starken Kämpfer entwickeln.
Adeen ist sanftmütig, zögerlich und hat massive Schwierigkeiten, jemand Gewalt anzutun. Er gibt schnell auf, er will eigentlich nicht kämpfen und töten. Er kann die Macht in sich nicht kontrollieren und er empfindet Abscheu vor sich selbst, wenn er davon überwältigt wird. Er ist ein Künstler und wünscht sich nichts anderes, als frei zu sein, um endlich seine Bilder malen zu können. Die Autorin zeichnet ihren Hauptprotagonisten sehr genau und authentisch. Sie verbiegt ihn nicht, auch auf die Gefahr hin, dass man sich als Leser an manchen Stellen wünscht, er möge endlich und vor allem anders handeln. Adeen wird meistens von den Ereignissen geschoben, er ist passiv. Den aggressiven, handelnden Part überlässt die Autorin Talanna, der Frau, in die Adeen sich verliebt. Sie ist eine selbstbewusste Frau, die sich nichts gefallen lässt. Sie ist eine Draquerin mit einer violetten Haut, mit wilden, hellen Augen und flammendroten Haaren. Sie hat ein kantiges Gesicht, ist groß, eine ausgebildete Kriegerin, die mit ganzem Herzen eine Kämpfernatur ist. Mit Talanna ist der Autorin eine hervorragende mehrschichtige Figur gelungen, mit einem glaubhaften psychologischem Profil. Leider können die Nebenfiguren in der straffen Handlung ihr Potenzial nicht entfalten. Sie wirken häufig wie austauschbare Statisten.
Der Herrscher als Tyrann bleibt im Hintergrund, der handelnde Gegenspieler ist Talannas Verlobter Charral. In meinen Augen ist diese Figur leicht überzeichnet und ich hätte mir eine differenziertere Darstellung gewünscht. Er wird so negativ, so snobistisch und brutal geschildert, dass Mitgefühl oder Verständnis für ihn gar nicht erst aufkommt. Talanna ist für diesen skrupellosen Mann mit dem glatten, hübschen Gesicht und dem silberblonden Haar nur ein Mittel zum Zweck.
Die Idee einer fliegenden Stadt ist faszinierend. Eine Stadt in den Wolken erweckt spontan die Vorstellung von eleganten, ansprechenden Bauten, aber Rashija ist eine trostlose Stadt, in der Mangel herrscht. Die bedrückende Atmosphäre wird so wirksam beschrieben, dass sich die gesamte Stadt für mich einfach nur grau anfühlte, obwohl die Angehörigen der Oberschicht sehr farbenfroh aussehen und einige Gebäude aus weißem Marmor erbaut wurden.
In Flügel aus Asche geht es um den Kampf um Freiheit, die Unterdrückten wehren sich gegen ein repressives System, dass nur einer Elite der Oberschicht nützt. Die Autorin schildert die fliegende Stadt einerseits als autarkes System, dass sich vom Erdboden seit fünfzig Jahren isoliert hat, an die letzte Landung können sich nur ältere Bewohner erinnern, andererseits bezeichnet Kaja Evert die Draquer als Besatzer und Eroberer. Das ist ein Widerspruch in sich, der mich sehr gestört hat. Nirgendwo wird erwähnt oder erklärt, wie die Luftmagier ihre Besatzungsmacht auf die Erdbewohner ausüben, wenn sie nur so selten den Boden besuchen? Rashija erscheint mir eher wie Nordkorea, das sich von anderen Ländern abschottet, und dessen Bewohner deswegen Mangel leiden, weil es keinen Handel mit anderen Nationen gibt.
Abgesehen von diesem nicht ganz durchdachten Weltenbau ist "Flügel aus Asche" ein spannender Roman mit gut ausgearbeiteten Protagonisten, die abweichen vom üblichen Klischee. Wer endlich mal wieder ein abgeschlossenes Werk ohne ständige Perspektivwechsel und tausendfache Verstrickungen und Intrigen lesen möchte, ist mit Kaja Everts Debüt am richtigen Buch.

Flügel aus Asche
- Autor: Kaja Evert
- Verlag: Droemer-Knaur
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High Fantasy ist eine Genrebezeichnung, mit der aufgrund des enormen Erfolgs von Werken wie Der Herr der Ringe heute leider geradezu inflationär um sich geworfen wird. Jeder, der sich berufen fühlt, eine Geschichte über Zauberer und Elfen zu schreiben, ist plötzlich der neue Tolkien. Aufgrund dieser Erfahrungen bin ich mit dieser Art von Büchern in den letzten Jahren vorsichtig geworden, doch mit Kaja Everts Flügel aus Asche ist ein Roman in den Buchläden gelandet, der die Bezeichnung High Fantasy mehr als verdient hat. Eine neue Idee trifft auf große Liebe fürs Detail, einen flüssigen, aber nicht flapsigen Schreibstil und ein großes Talent, Atmosphäre zu schaffen. Die Charaktere sind ausnahmslos liebevoll und ausführlich gezeichnet, bleiben stets nachvollziehbar und – jeder auf seine Art – sympathisch.
Adeen ist kein heroischer Weltretter, der aus der Gosse aufsteigt und plötzlich alles kann. Stattdessen sind seine Gedanken stets von Selbstzweifeln und Angst begleitet, besonders bezüglich der dunklen Macht, die in seinem Inneren zu leben scheint. Er lernt nur langsam, sie unter Kontrolle zu bringen, und fürchtet sich teilweise vor sich selbst. Seine Skrupel, selbst in Kämpfen um Leben und Tod, einen wehrlosen Gegner zu töten, machen ihn zu einem vielleicht naiven, aber rundum positiven und lebensbejahenden Charakter.
Dezent eingeflochten ist eine Romanze, die zwar stets präsent bleibt, aber nur selten in den Vordergrund rückt, was die Handlung im Ganzen umso ernster und gravierender macht, immerhin befindet man sich über weite Teile der Geschichte in Rebellion oder Krieg. Die Wirren und das Chaos dieses Zustandes kann Evert ohne rosa Brille darstellen: Jeder kämpft um sein Leben, seine Ideale, seine Freiheit. Es gibt nur eine oberflächliche Einteilung in Gut und Böse, denn Krieg ist keine saubere Heldengeschichte – er ist kalt, grausam und erbarmungslos. Dem jahrelang unterdrückten Bodenbewohner ist egal, dass der kleine Junge aus der fliegenden Stadt ihm nichts getan hat, so wie den Himmelsmagiern über Generationen hinweg die eigene Überlegenheit und Herrschaftsgewalt über die Erdgeborenen eingeimpft wurde. Wer ist also aufgrund seiner Überzeugung nun der Böse? Adeen erkennt – womöglich als einziger – genau dieses Dilemma, und steht ihm doch hilflos gegenüber.
Flügel aus Asche besticht schon auf den ersten Seiten durch die Schilderung der Stadt Rashija, die sich ihren Weg durch den Himmel bahnt. Wie zauberhaft klingt diese Idee, was für ein uralter Traum der Menschheit, die Gravitation zu überwinden und sich in die Wolken zu erheben. Der Kontrast zu Adeens Welt könnte kaum größer sein, der sich als ein Gefangener der Stadt und ihrer Gesellschaft nichts Schöneres vorstellen kann, als den Boden unter ihm. Dass dieser Wunsch der Macht in seinem Unterbewusstsein die Gestalt eines Vogels gibt, ist naheliegend.
Malerei und Farbsymbolik sind präsente Motive des Romans, sowohl ihre Abwesenheit in der Stadt als auch ihre umso größere Präsenz in Adeens Träumen. Evert versteht es ausgezeichnet, Stimmungen und Atmosphäre in Farben zu kleiden und dem Leser so auf einer ganz anderen Ebene näher zu bringen. Am Boden beinhaltet auch der Herbst und beginnende Winter eine ganz eigene Symbolik von Vergänglichkeit, Schwäche, Trauer, gleichzeitig aber die Vorbereitung auf eine Rückkehr des Frühlings, wenn man die dunkle Zeit erst überstanden hat.
Flügel aus Asche steigt schnell in eine aufregende Geschichte ein und spart sich eine langatmige Einführung des Lesers in eine neue Fantasy-Welt. Stattdessen wird er mitgerissen und ich war überrascht, wie schnell Evert in der Handlung voranschreiten kann, ohne dabei den Blick für Details zu verlieren. Auf rasanten 444 Seiten führt sie durch Rebellion, Flucht, Krieg und die Wirren der Nachkriegszeit – und das reicht vollkommen aus. Sie beweist eindrucksvoll, dass ein epischer High-Fantasy-Roman vollkommen ohne Elben und Zwerge auskommt und keine 1000 Seiten braucht.
Ein absolutes Muss für Genre-Fans und ein Talent, an dem so mancher Autor sich ein Scheibchen abschneiden könnte. Hoffentlich werden wir noch einiges von Kaja Evert zu lesen bekommen!