Ricarda Huch

Leben und Schreiben im europäischen Horizont

1864


Am 18. Juli wird Ricarda Huch als drittes Kind des brasilianischen wohlhabenden Kaufmanns Richard Huch und seiner Frau Emilie in Braunschweig geboren.

 

 

 

 

 

 


Fotos der Ausstellung von F. Sirmen,
Düsseldorf

1870-1878 Bis zu ihrem neunten Lebensjahr wird sie von einer Erzieherin unterrichtet, anschließend besucht sie eine Privatschule bis sie 14 Jahre ist.
1883 Im Alter von 19 Jahren verliert sie die Mutter; 1887 Tod des Vaters.
1886 Aufgrund der Liebesbeziehung zu ihrem Schwager Richard Huch und dem zunehmenden wirtschaftlichen Verfall der Familie wird sie zur Übersiedlung nach Zürich bewogen.
1888-1896 Lebt in der Schweiz. Beginn des Geschichts- und Philosophiestudiums an der Universität Zürich, nachdem sie innerhalb eines Jahres das Abitur nachgeholt hat.
1890 Ricarda Huch besteht als erste Frau das Diplom-Examen für das höhere Lehramt mit der Gesamtnote "Eins".
1891 Die erste Erzählung Die Goldinsel erscheint in der Berner Zeitung Der Bund. Ein erster Band Gedichte wird unter dem Pseudonym Richard Hugo veröffentlicht.
Promoviert am 18. Juli in Geschichte mit dem Thema: Die Neutralität der Eidgenossenschaft, besonders der Orte Zürich und Bern, während des spanischen Erbfolgekrieges.

Schweizer Geschichte literarisiert: Nicht nur ihre Geschichtsstudien konzentrierten sich auf die Schweizer Geschichte, auch Teile ihrer schriftstellerischen Arbeit baute sie in der Züricher Zeit auf Ereignissen der Schweizer Geschichte auf, beispielsweise:

  • Der Bundesschwur. Komödie zu Ereignissen in der Schweizerischen Eidgenossenschaft
    von 1798
    (1891)

  • Die Hugenottin. Historische Novelle (1893)

  • Spiel von den vier Züricher Heiligen (1895)

1892ff. Sie arbeitet halbtags als Angestellte an der Stadtbibliothek Zürich und gibt Deutschstunden. Seit1893 unterrichtet sie an der Höheren Töchterschule Deutsch und Geschichte. Der erste Roman entsteht: Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren, in dem die Liebesbeziehung zu Richard Huch verarbeitet wird.
1894 Sie gibt die Bibliotheksstelle auf; der Unterricht in der Schule erfolgt nun auf einer festen Stelle.
1897 Nach einer kürzeren Lehrtätigkeit in Bremen zieht sie im Sommer nach Wien, nachdem Richard Huch ihrer 13jährigen Liebesbeziehung ein Ende gesetzt hatte.
1898 Ricarda Huch heiratet den sechs Jahre jüngeren italienischen Zahnarzt Ermanno Ceconi und folgt ihm nach Triest. Am 9. September wird die Tochter Marie Antonie (Marietta) geboren.

Im Jahr vor der Heirat mit Ermanno Ceconi.
Das Bild ist der Freundin Marie Baum gewidmet.

 

1899 Frau Celeste und andere Erzählungen erscheinen. Der erste Band der Romantik-Studie liegt vor: Blütezeit der Romantik; 1902 kommt der zweite Teil heraus: Ausbreitung und Verfall der Romantik.
1900 Die Familie Huch-Ceconi zieht im Sommer nach München. In den folgenden Jahren entstehen die historischen Arbeiten über die italienischen Freiheitskämpfer Garibaldi und Confalonieri.
1902 Sie besucht Zürich und hält Vorträge in Wien. Der in Triest entstandene Roman Aus der Triumphgasse erscheint.
1903 Vita somnium breve (späterer Titel: Michael Unger).
1906 Scheidung von Ermanno Ceconi, der ein Verhältnis mit ihrer Nichte eingegangen war. Die Geschichten von Garibaldi erscheinen.
1907 Mit 43 Jahren heiratet sie Richard Huch, der inzwischen geschieden ist. Sie ziehen nach Braunschweig. Eine allmähliche innere Entfremdung mündet 1910 in die Scheidung.
1908 Das Risorgimento, Porträts aus der Frühphase des italienischen Freiheitskampfes
1910 Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri wird publiziert.
1912-14 Die umfangreiche Arbeit über den Dreißigjährigen Krieg, an der sie seit 1910 arbeitete, erscheint: Der große Krieg in Deutschland.
 
Bronzebüste von Clara Westhoff-Rilke, 1912
1916 – 1918 Ricarda Huch lebt während der 2. Hälfte des 1. Weltkriegs in der Schweiz. Sie wird zu Vorträgen eingeladen und setzt sich mit religionsphilosophischen Themen auseinander; sie arbeitet an Der Sinn der Heiligen Schrift. 1916 erscheint Luthers Glaube.
Die Schweiz - ein bleibendes Zuhause: "Dieses Land der Zuflucht, die Heimat, die mir geschenkt worden, die mir Segen, eine rettende Insel und Zuflucht gewesen." 1916 kehrte sie aus Gesundheitsgründen für zwei Jahre zurück in die Schweiz und lebt in Bern: "Ich war kaum einen Tag in der Schweiz, so fiel alles von mir ab, Wünsche, Sorge, Sehnsucht, so vieles, was mir sonst wichtig war, ohne im Grunde wichtig zu sein. Ich sehe doch, daß gerade diese Natur zu mir gehört, nur hier kann ich das Gefühl des Zuhausseins haben, das einen so sicher macht."

Im Alter von 48 Jahren

1917 Der Fall Deruga, psychologischer Roman mit Kriminalhandlung, der ein großer Publikumserfolg wird.
1918-1927 Sie lebt in München mit der Tochter.
1923 Michael Bakunin und die Anarchie. 
1924 Anläßlich ihres 60. Geburtstages verleiht ihr die Stadt München die akademische Ehrenbürgerwürde.

Thomas Manns Glückwunsch zum 60. Geburtstag von Ricarda Huch 18. Juli 1924 in der Frankfurter Zeitung markiert ihren Stellenwert in der europäischen Kulturgeschichte: "Dies sollte ein Deutscher Frauentag sein und mehr, als ein deutscher. Denn nicht nur die erste Frau Deutschlands ist es, die man zu feiern hat, es ist wahrscheinlich die erste Europas."

1926 Der wiederkehrende Christus. Eine groteske Erzählung. Mitglied in der Preußischen Akademie der Künste.






Während einer Sitzung der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste in Berlin,
neben Thomas Mann.
Als erste Schriftstellerin wurde Ricarda Huch in die am 26. Oktober 1926 gegründete Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste gewählt, wenige Wochen nach der Gründung.
1927ff. Lebt im Haus der Tochter und des Schwiegersohns, zunächst in Berlin, dann in Heidelberg.
1930 Alte und neue Götter. Späterer Titel: Die Revolution des 19. Jahrhunderts in Deutschland.
1931 Erhält die damals angesehenste literarische Auszeichnung, den Goethepreis der Stadt Frankfurt.

28.8.1931 Verleihung des Goethepreises
im Staatszimmer des Goethe-Hauses in Frankfurt.
Ricarda Huch mit Alfons Paquet und Dr. Keller.
1933 Mit der kompromißlosen Ablehnung der Rassendoktrin und ihrem Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste leistet sie aktiven geistigen Widerstand gegen den Nationalsozialismus.
Als "Rebellin des Gewissens" erwies sich R. Huch, als sie am 9.4.1933 aus der Preußischen Akademie der Künste austrat, da sie das Treuegelöbnis gegenüber dem NS-Staat nicht unterschreiben wollte und die Hetze gegenüber den jüdischen Kollegen verurteilte.
1934 Deutsche Geschichte. Bd.1 : Römisches Reich deutscher Nation.
1936 Lebt in Jena. Ermittlungsverfahren gegen sie und den Schwiegersohn wegen "Vergehens gegen das Heimtückegesetz".
1937 Das Zeitalter der Glaubensspaltung; der 3. Teil der Deutschen Geschichte erhält von den Nazis keine Druckerlaubnis.
1938 Der Band Frühling in der Schweiz. Jugenderinnerungen erscheint.
1942 Teilnahme an der Feier des goldenen Doktorjubiläums in der Universität Jena.

1944 Herbstfeuer. Gedichte
Plant ein Buch über den deutschen Widerstand zu schreiben, unmittelbar nach dem mißlungenen Attentat am 20. Juli, als zahlreiche Freunde und Bekannte von ihr verhaftet und hingerichtet wurden. Entwirft biographische Skizzen, um jene, die "im Kampf gegen das Böse fielen", zu ehren.
1946 Anläßlich ihres 82. Geburtstages wird ihr die Ehrendoktorwürde der Friedrich-Schiller-Universität in Jena verliehen.
1947 Die Arbeit am Buch über die Widerstandskämpfer umfaßt schon 40 Biographien; sie muß aber erkennen, daß sie das Projekt nicht alleine würde durchführen können. Sie übergibt ihr Material an den Autor Günther Weisenborn, der es 1953 als Der lautlose Aufstand herausgibt.
Sie wird Ehrenpräsidentin des 1. deutschen Schriftstellerkongresses, der Anfang Oktober in Berlin tagt. Am 17. November stirbt Ricarda Huch im Alter von 83 an den Folgen einer Lungenentzündung.

Letzte Standortbestimmung:
Gegen einseitigen Nationalismus und für nationale Identität

Nach dem Zusammenbruch 1945 nahm sie auf dem 1. deutschen Schriftstellerkongreß am 4. Oktober 1947 in Berlin eine Standortbestimmung vor: "Ich habe Geschichte studiert und kenne nicht nur die Geschichte unseres eigenen Volkes, sondern auch die der anderen Nationen gut; ich habe jahrelang in der Schweiz gelebt und fühle mich dort zuhause; ich war mit einem Italiener verheiratet, und ich habe sehr gerne in Italien gelebt; all diese Umstände haben bewirkt, daß ich ganz frei von einseitigem Nationalismus bin, aber national fühle ich durchaus."