
Faule Finnen fangen keine Fische (Otto-Kuhala-Reihe 4) — Inhalt
"Ein großartiger Fang." NDR
Die Studentin Ilona Lost hat den Sommer über in einem kleinen Supermarkt in Jyväskylä gearbeitet und wird an ihrem letzten Arbeitstag erschlagen. Da die Polizei den Fall nicht aufklären kann, beauftragt der Vater der Toten den Privatdetektiv Kuhala – und der kann die zusätzlichen Einnahmen momentan gut gebrauchen. Nicht nur wegen der horrenden Tierarztrechnungen für seinen Hund Jeri. Eine wunderbar finnisch-schräge Mörderjagd beginnt.
Leseprobe zu „Faule Finnen fangen keine Fische (Otto-Kuhala-Reihe 4)“
Der einsetzende Regen und die immer schnelleren Schläge der Tropfen auf dem Fensterbrett holten Ilona in die Wirklichkeit zurück. Sie saß auf ihrem Hocker hinter der Kasse und war beim Blick auf die Titelseite einer Zeitschrift erstarrt, genau genommen auf die dort abgebildete Frau, deren Mumienlächeln mit Wundercremes und Puder aufgearbeitet worden war: Meine Krisen haben mich stark gemacht. Endlich lerne ich, das Leben zu genießen.
Langsam ließ die Uhr am Pfeiler über dem Monitor den letzten Arbeitstag und gleichzeitig den Sommer auslaufen. Auf die [...]
Der einsetzende Regen und die immer schnelleren Schläge der Tropfen auf dem Fensterbrett holten Ilona in die Wirklichkeit zurück. Sie saß auf ihrem Hocker hinter der Kasse und war beim Blick auf die Titelseite einer Zeitschrift erstarrt, genau genommen auf die dort abgebildete Frau, deren Mumienlächeln mit Wundercremes und Puder aufgearbeitet worden war: Meine Krisen haben mich stark gemacht. Endlich lerne ich, das Leben zu genießen.
Langsam ließ die Uhr am Pfeiler über dem Monitor den letzten Arbeitstag und gleichzeitig den Sommer auslaufen. Auf die Tür zum Hinterzimmer, das als Pausenraum und Lager diente, fiel der dürre Schatten eines Turms aus Bierkisten. Das hier war der gewöhnlichste und wahrscheinlich auch der hässlichste Supermarkt Finnlands. Er protzte weder mit individuellem Kundenservice noch mit einer reichhaltigen Obst- und Gemüseabteilung. Am Eingang konkurrierten zwei Bananenstauden, ein paar Weintrauben und eine Steige wachswangiger polnischer Äpfel mit Kartoffeltüten um ein bisschen Lebensraum, die Grillwürste lagen neben Gläsern mit eingelegtem Hering und verpackten Käsestücken in Reih und Glied. Es folgten Haushaltspapier, Brot, Säfte, Konserven und Milchprodukte. Ilona kannte die Ordnung auswendig und wäre fähig gewesen, mit geschlossenen Augen zu jedem gewünschten Produkt zu gehen, ohne irgendwo anzustoßen, obwohl die Gänge zwischen den Regalen so eng waren, dass zwei Kunden nur seitlich aneinander vorbeikamen – gewissermaßen scheibchenweise. Über allem lag unausrottbar der Duft nach Schmierseife und schimmeligem Brot.
Das begehrteste Produkt war Bier, und der Kosename, der ihm verliehen wurde, wechselte wöchentlich. Als Ilona in der ersten Juniwoche anfing, sprachen viele von Flüssigbrot. Jetzt, Ende August, schien aus irgendeinem Grund mal wieder der gute alte Gerstensaft aufgewärmt zu werden, während man die durstige Studentengeneration Ausdrücke wie Bölkstoff kultivieren hörte.
Die Vorstellung, dass der Sommer vorbei war, machte Ilona wehmütig. Sie stand auf und holte sich eine Lakritzpfeife aus dem Süßigkeitenregal, um ihren Abschied zu feiern. Hatte sie wenigstens die Hälfte von dem, was sie sich vorgenommen hatte, geschafft? Oder machte sie sich den Vorwurf nur aus dem Gefühl der Unzulänglichkeit heraus, das in ihrem Inneren schwelte? Sie musste arbeiten, und sie musste sparen, und diese Pflichten hatte sie erfüllt. Dass sie es nach mehreren vergeblichen Versuchen endlich geschafft hatte, einen Studienplatz in Helsinki zu ergattern, war auch keine Kleinigkeit und Grund genug, das Hadern mit sich selbst zu lassen. Finnische Sprache und Literatur – davon hatte sie schon im Gymnasium geträumt.
Es war dreiundzwanzig vor neun. Ilona steckte sich die klebrige Lakritzpfeife zwischen die Lippen und zündete sie an. Sie blies den Qualm in die Luft und drechselte am Titel ihrer künftigen Magister-, nein, Doktorarbeit: „Frequenz und etymologischer Bezugsrahmen von Synonymen für das Wort ›Bier‹ in mittelfinnischen Trabantenstädten.“
Der Umzug von Jyväskylä nach Helsinki würde ihr außerdem die Gelegenheit bieten, Viljami auf natürliche Art loszuwerden. Der hatte nämlich den ganzen Sommer über seinen mauligen, pubertären Charakter mehr ins Licht gerückt, als Ilona ertragen konnte. Nicht einmal richtig streiten konnte er. Je ernster es wurde, desto mehr schoss er übers Ziel hinaus oder stellte sich stumm. Manchmal war er einfach nur ein anstrengendes Kleinkind. Er hatte sogar die Stirn gehabt, wegen Ilonas Schichtarbeit zu maulen, obwohl er selbst keinen Finger dafür krumm machte, ein bisschen Ordnung ins Leben zu bekommen, sondern bloß in seiner Hinterhofbude bei flimmernden Satellitenkanälen vor sich hin gammelte, wenn er nicht gerade an seinem gelben Hippie-Käfer herumschraubte.
Oder mal wieder herumheulte. Dafür fehlte ihm nie die Energie.
Außerdem begriff Ilona inzwischen, dass sie ein bisschen in Mika Rentonen verknallt war, der manchmal in den Laden kam, um Bier zu kaufen. Mika war ein hübscher Junge und schien das auch zu wissen. Er wohnte nicht in dieser Wohnblocksiedlung, die Sippilinna hieß, hing hier aber mit seinen Kumpels ab und ließ jedes Mal, wenn er an der Kasse stand, ein betörendes Lächeln aufblitzen. Es war nicht klug, sich auf Typen wie Mika einzulassen, auch wenn die Versuchung noch so groß war. Helsinki würde in diesem Fall ebenfalls helfen.
Außerdem würde die Entfernung im Verhältnis zu ihren Eltern für frischen Wind sorgen. Ihre Mutter war seit der Stilllegung der Keksfabrik langzeitarbeitslos, ihr Vater werkelte in seinem eigenen, aber nur dürftig profitablen Schlüsselladen vor sich hin. Beide waren vom Leben ziemlich gebeutelt worden, das Sortiment der Medikamente im Schrank über der Kaffeemaschine wurde immer vielfältiger, und der Fernseher in der Wohnzimmerecke käute unablässig seine Wiederholungen wieder, obwohl niemand hinschaute. Wegen des Alters, das bereits hinter der nächsten Ecke lauerte, wirkten die Eltern irgendwie ungeschützt und schreckhaft, und wenn Ilona zu Besuch kam, redeten sie immer über das gleiche nichtige Zeug. Sie liebte ihre Eltern, machte sich Sorgen um sie, hatte aber schon vor längerer Zeit begriffen, dass die Ablösung vom Elternhaus schnell und auf einen Schlag passieren musste. Sie wohnte allein in einem Fünfundzwanzig-Quadratmeter-Apartment in der Innenstadt, hielt das aber nicht für eine richtige Ablösung, zumal ihre Mutter eine Vorliebe für Überraschungsbesuche hatte, und zwar grundsätzlich dann, wenn man es am wenigsten gebrauchen konnte.
Ilona biss die Hälfte vom Pfeifenstiel ab und lächelte. Der Pinguin aus Pappe, der mit einer Angelschnur über der Tiefkühlwanne aufgeknüpft worden war, erzitterte, das bronchitische Röcheln des Kühlschranks brachte die Flaschen, mit denen er bestückt war, zum Klirren. Sein Thermostat pfiff auf dem letzten Loch. Das Gleiche galt für Ilonas Sommerjob.
Sie musste das Lachen unterdrücken, als sie sich mit dem Mund voller Lakritze wieder an die Kasse setzte, weil die Tür ging und der letzte Kunde, ein allein lebender Quartalssäufer aus dem zweiten Stock, in seinen Altersheimschlappen und seinem T-Shirt mit der Aufschrift Cuba Serenade hereingetappt kam. Von der Sambatänzerin auf dem Shirt waren nur noch die Umrisse zu erkennen.
Der wortkarge Mann schaute mit seinen blutunterlaufenen Augen wie ein Echsentier von langsamem Verstand durch die dicken Brillengläser. Er wurde Matti genannt. Alle wussten, wer gemeint war, wenn von Matti die Rede war. Das Rascheln seiner Regenhose verschwand hinter den Regalen.
Ilona aß Lakritze und ließ die Finger über die Kassentastatur tanzen. Der Regen wurde stärker. Matti hatte sich ein Sixpack und vier Dosen Erbsensuppe aus dem Sonderangebot gekrallt. Er zahlte stets mit Münzen. So auch jetzt. Und so wie immer hatte er die Summe erst zusammengekratzt, nachdem jede einzelne Hosentasche gefilzt worden war. Am Daumen der Hand, die das Geld reichte, fehlte ein Stück, der Kettenraucheratem, der dem Mund in diesem unrasierten Gesicht entwich, pfiff mit dem Zittern der Hände im gleichen Takt. Ein Fünfzig-Cent-Stück machte sich selbstständig, rollte auf die Erbsensuppendosen und hüpfte von dort auf den Fußboden. Matti sagte zweimal Scheiße. Das zweite sollte wohl eine Art Bitte um Entschuldigung sein.
Ilona lächelte. „Schon gut.“
Matti hob die Münze auf und gab sie Ilona. Dann kniff er den Mund zu, umfasste seine Einkäufe, als wäre er bereit, sie gegen alle Angriffe zu Land, zu Wasser und aus der Luft zu verteidigen. In seinen Augen flackerte der Blick eines allein lebenden Menschen, der kurz davorstand, den ersten vollständigen Satz an diesem Tag aufsteigen zu lassen. Das Projekt fiel allerdings in sich zusammen; der Mumm schien nicht zu reichen.
Eine Zeit lang starrte er noch auf die Annoncen am Schwarzen Brett, dann setzte er seinen Weg fort. SippilinnaSerenade.
Ilona schluckte den letzten Brocken Lakritze und knallte die Kasse zu. Wieder rotierte der Pinguin aus Pappe um die eigene Achse. Vierzehn vor neun. Der Junggeselleneigengeruch, den Matti hinterlassen hatte, war so intensiv, dass Eila am nächsten Morgen bei der Frühschicht auch noch etwas davon haben würde.
Eila Salmela war die Filialleiterin, forsch und alles anderes als kleinlich. Ihr schien die Kundennähe zu gefallen, sie sang schon früh morgens vor dem Öffnen alte Schlager, während sie die Warenlieferungen auspackte oder mit den Lieferscheinen raschelte. Sie hatte vor niemandem Angst und wechselte mit jedem ein freundliches Wort, Leute wie Matti eingeschlossen, auch wenn sie kaum mehr als ein Brummen von sich gaben.
Ilona stand auf und entfernte in der Kiste mit Trauben eine Rispe, die jemand kahl gepflückt hatte. Es sah nach Mundraub aus. Von den Obstkisten aus hatte man freie Sicht auf die Kasse: Die Dreistigkeit der Leute kannte keine Grenzen. Früher war Ilona sämtlichen Kampagnen à la „Der Ladendieb sitzt bei dir am Esstisch“ mit Gleichgültigkeit begegnet, aber seit sie von ihrem Logenplatz an der Kasse aus Zeugin der beknacktesten Klauereien geworden war, hatte sich ihre Einstellung geändert.
In der zweiten Juliwoche war sie zum Beispiel einer Frau hinterhergerannt, die einen Erdbeerkuchen in ihre Regenjacke eingewickelt hatte. Sie war im vollen Lauf gestürzt und auf dem Bauch gelandet, sodass es ausgesehen hatte, als würde ihr der Zwölf-Personen-Kuchen aus den Gedärmen quellen.
Oder der Zigarettendieb von Anfang August, ein höchstens fünfzehn Jahre alter Hip-Hopper, der Ilona gedroht hatte, sie umzubringen, nachdem sie ihn beim Griff nach Beute erwischt hatte. Zum Glück war die Situation durch das Eingreifen eines anderen Kunden entschärft worden. Der Junge war davongerannt, und Ilona hatte ihn seitdem nicht mehr gesehen.
„Ropponens Krimi überzeugt auf der ganzen Linie – packender Plot, unaufgeregte Gesellschaftskritik, wunderbare und gut gezeichnete Figuren, herzlicher Humor und ein feines Gespür für die leisen Töne im Zwischenmenschlichen.“
„Ein Krimi für Freunde der ruhigeren Gangart, unterschwellig sozialkritisch, mit knorrigem Humor und Sympathie für eigenartige Menschen.“
„Finnischer Marlowe.“
„Ein spannender Krimi aus Finnland.“
„Ein schöner Ropponen-Roman, genau beobachtet, wunderbar überzeichnet. (...) Sein Thema ist das Leben, von dessen Abgründen er mit so trockenem Humor erzählt, dass man gut gelaunt in jeden noch so grauen Wintertag gehen kann.“
„Ropponen-Ware ist viel, viel edler als nur lustig. (...) Ropponen zu lesen macht glücklich.“
„Schnörkellos und stark erzählt, dabei sehr finnisch: viel trockener Humor, im Leben und seiner Melancholie ganz undramatisch geerdet, starke Figuren. Absolute Leseempfehlung! Ein Krimi wie ein guter Saunagang.“
„Der überaus trockene Witz dieses Abenteuers entwickelt echte Sogwirkung.“
„Die Charaktere sind glaubwürdig und ganz und gar menschlich, die Sprache authentisch und witzig. Insgesamt ein unterhaltsames, spannendes Leseereignis.“
„Tiefgründiger, fast schwarzer Humor und eine sehr eigenwillige Sicht auf die finnische Gesellschaft. Ein Schmunzelkrimi von großer Klasse.“
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