AN DIE MUSE
’s gibt in deinen
aaaaaaaaageheimen
aaaaaaaaaaaaaaaaaGesängen
Schicksals Nachrichten
aaaaaaaaaaaaaaaaaüber’n Welttod.
In Verfluchung
aaaaaaaaaden heiligen Regeln
Gibt’s Beschimpfung
aaaaaaaaaaaaaaaaadie glücklichen Wort’.
’s gibt in dir solche
aaaaaaaaaaaaaaaaaziehenden Kräfte…
Und ich bin
aaaaaaaaaso zu sagen bereit:
„Du erniedrigst sogar
aaaaaaaaaaaaaaaaaauch Engel
So unirdisch ist deine
aaaaaaaaaaaaaaaaaSchönheit!“
Und wenn Du über Glauben
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaredest,
Dann entzündet sich
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaum deinen Kopf
Der rotgraue… Kreis
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaus Perlen,
(Vorher schon ihn zu sehen –
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaagab mir Gott…)
Welche bist Du –
aaaaaaaaaaaaaaaaagut, böse –
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaawer weiß es?
Du – nicht hiesig’ –
Du kamst
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaus Weit’n,
Du – für andere
aaaaaaaaaaaaaaaaa„Muse“ und „Wunder“
Bist für mich –
aaaaaaaaaaaaaaaaanur Inferno und Leid’n.
Wir –
aaaaaaaaaich wollt’s –
Wären Feinde
aaaaaaaaageblieben.
Denn warum
aaaaaaaaaschenkst Du mir
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaanicht ein Mal
Blumenwiese,
aaaaaaaaamit Sternen –
aaaaaaaaaaaaden Himmel,
Auch die Flucht
aaaaaaaaaaaader Schönheit vom Weltall?
’s waren
aaaaaaaaanordische
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaNächte viel böser,
und betrunkener, als Ai-Wein!,
Auch kürzer
aaaaaaaaaals Lieb’ der Zigeuner,
Dein Liebkosen
aaaaaaaaaaaaund dein’ Zärtlichkeit.
Es gibt
aaaaaaaaaauch die tödliche
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaFreude,
Als Du trittst auf
aaaaaaaaaaaaheiles Gesetz…
Aber süß sind
aaaaaaaaaund bitter, wie Wermut
Diese Leiden,
aaaaaaaaatrotz allem,
aaaaaaaaaaaafür’s Herz!
wurde im November 1880 als Sohn eines Juraprofessors und einer Übersetzerin in Sankt Petersburg geboren. Schon während seines Studiums der Philologie und der Rechtswissenschaften begann sein literarischer Erfolg: 1904 erschienen die „Gedichte über die wunderschöne Dame“ über die göttliche Weisheit in der Schönheit der Frau, 1907 folgte das berühmte Gedicht „Die Unbekannte“. Blok war einer der bedeutendsten jungen Vertreter des russischen Symbolismus und besaß zahlreiche Bewunderer. Als kluger und gebildeter Schriftsteller wurde er im vorrevolutionären Sankt Petersburg gefeiert und bejubelt. Als er 1909 das Erbe seines Vaters erhielt, begann für ihn eine Zeit des ausschweifenden Lebens.
Seine große Faszination für die Weiblichkeit zieht sich nicht nur durch seine Gedichte. Da er nicht nur mit großem Talent, sondern auch mit außergewöhnlicher Schönheit gesegnet war, hatte Alexander Blok riesigen Erfolg bei Frauen und hatte zahlreiche Affären. An seiner Ehefrau hing er trotzdem mit unendlicher Liebe, die allerdings weitgehend platonisch blieb. Blok litt unter großen Schuldgefühlen und war überzeugt, seinen Geliebten nur Verderben zu bringen. Verzweifelte Stunden und tiefe Depressionen wechselten sich ab mit ausgelassenen Stunden in Kneipen und Restaurants, wo er Zigeunerlieder schmetterte und Nächte durchzechen konnte. Viele Abende verbrachte der Schriftsteller im Theater. Blok liebte das Theater und verfasste neben seinen vielen Gedichten auch kleinere Dramenszenen und -entwürfe.
„Er war dem hellen Abend ähnlich: kein Tag, keine Nacht, kein Licht, keine Finsternis…“ So beschrieb der russische Dichter Michail Lermontow. Blok wurde von düsteren Vorahnungen geplagt und sah sein Zeitalter eher pessimistisch:
Das 20. Jahrhundert …
Ärger …
wird obdachlosen
Lebens Dunkel noch
schwärzer
und ganz riesig
werden uns oben
Luzifers Flügel …
Seine zerrissene Grundstimmung verstärkte sich noch, als es in Russland zur Revolution kam. Blok stand der Revolution – trotz seiner adligen Herkunft und seiner festen Verwurzelung in orthodoxen Werten und Vorstellungen – zunächst durchaus positiv gegenüber. Er sah die russische Revolution eher als mystisches Ereignis denn als politische Umwälzung und brach mit der Bourgeoisie, die seine Gedichte so bewundert hatte. Doch die Bolschewisten lehnten Bloks metaphysischen Stil ab, was den Dichter sehr traf.
Innerhalb kurzer Zeit verarmte der einstmals so erfolgreiche Blok und besaß kaum das Nötigste zum Leben. Mitten in diesem Elend verfasste er im Winter 1918 sein vielleicht berühmtestes Werk, das Poem „Zwölf“. Er stellte in mehreren Cantos mittellos gewordene und verzweifelte Bürger zwölf Soldaten der Roten Armee gegenüber, die mit der Fahne der Revolution durch den Schnee ziehen und schließlich von einer messiasähnlichen Figur geleitet werden. Das Gedicht verursachte eine enorme Kontroverse und wird noch heute intensiv diskutiert. Ob Blok mit einer Seite sympathisiert und, wenn ja, mit welcher, ist in der Forschung nicht mit Sicherheit geklärt. Das Gedicht wurde in viele Sprachen übersetzt, unter anderem übertrug Paul Celan das Gedicht ins Deutsche.
Bereits mit 40 Jahren starb Blok 1921 in der Wohnung seiner Mutter in Sankt Petersburg. Vergeblich hatte er zuvor versucht, eine Ausreisegenehmigung zu bekommen.
Bloks geistiges Erbe ist immens. In seinem Werk findet man nicht nur kunstvolle und schwärmerische Gedichte, sondern auch schlichte Poeme mit einfachen menschlichen Themen. Obwohl ihm nur ein kurzes Leben vergönnt war, findet man in seinen Gedichten die ganze Wandlung vom metaphysischen Dichter zum feinsinnigen Beobachter, der die Situation in Russland in den Jahren nach der Oktoberrevolution porträtiert.
Wolfgang Kawechmacher, Vorwort
– aus Andrej Belyjs Buch Im Zeichen der Morgenröte. Erinnerungen an Aleksandr Blok. –
Aleksandr Aleksandrovitsch Blok ist gestorben, der erste Dichter unserer Zeit, die Erste Stimme ist verstummt, das Lied der Lieder jäh unterbrochen worden: in dem Sternbild (Puschkin, Nekrasov, Fet, Baratynskij, Tjutschev, Shukovskij, Dershavin und Lermontov) leuchtet: Aleksandr Blok.
Aleksandr Aleksandrovitsch ist der einzige „ewige“ unter den russischen Dichtern dieses Jahrhunderts. Er brachte das poetische Element unseres Heute mit einer Weltepoche, die sublime, bis jetzt noch unbesungene, grenzenlos vertiefte Themen erschließt, in einen für Rußland vernehmbaren, wie der Wind freien Zusammenklang, der auf eine neue Weise die Seele Rußlands offenbart. … Undeutlich in ihrer Deutlichkeit, deutlich in ihrer Undeutlichkeit sind seine „Unbekannte“, die „Schöne Dame“, „Rußland“, das „Neue Amerika“, die „Skythen“ und die „Zwölf“ – real in ihrer Symbolik, universell in ihrem Subjektivismus; alle diese Themen sind nur einzelne Noten des Hauptthemas seiner Themen, in dem sich Mystik, Philosophie, feuriges staatsbürgerliches Bewußtsein mit Methapher, Mythos und Rhythmus verflechten; er spricht den Spezialisten, den Stilisten, die studierende Jugend, die Arbeiter, alle Russen, Franzosen und Deutsche an … Er ist der wahrhafte Dichter Urbi et orbi, er ist unser, eine außerordentliche Erscheinung, gemeinsames Gut, der Liebste, der für Jeden, für den Einzelnen gesungen hat; deshalb ist er innerhalb der Plejade außerordentlicher und viel beachteter Talente etwas ganz Besonderes; wir bringen ihm unsere Liebe entgegen, wir, die Söhne furchtbarer Jahre, wir erblicken unser eigenes, bis dahin noch nicht erkanntes Antlitz in seiner Muse, in ihrer Ganzheit, welchen Namen wir ihr auch geben mögen (die Seele Rußlands, die Seele der Menschheit oder der Welt…); als die Schöne Dame, als die Unbekannte, als Mary oder als Katjka, in verschiedener Gestalt durchdringt uns die Ganzheit seiner Dichtung, verwurzelt in den unberührbaren Schichten seiner nicht zu enträtselnden außerordentlichen Persönlichkeit.
Wie ein wunderbares Rätsel stand er vor uns, die wir ihn nahe kannten. Einmal nahe, einmal fern, immer aber – herrlich. Wir wußten nicht, wer in ihm größer war – der nationale Dichter oder der sensible einzigartige Mensch, der im Schatten seines eigenen dichterischen Ruhmes stand, wie unter einem königlichen Mantel, unter dessen Falten die Züge eines edlen, verständnisvollen, schönen, neuen Menschen erkennbar waren: kalos k’agathos – so möchte man die Verbindung von Güte, Schönheit und Wahrheitsliebe bezeichnen, einer Wahrheitsliebe, die keinerlei Rethorik, Affektation, Pose, „Poesie“, Falschheit und ähnliches für Prediger, poetische „Maitres“ und andere „Größen“ charakteristisches „Tamtam“ vertrug und die auf dem Bild seiner weichen Seele manchen harten Strich hinterließ; sein allmenschliches, hellhöriges und tiefes Herz spiegelte eine Epoche wieder, die er in sich trug und die unmöglich in „Soziologie“, „Mystik“, „Philosophie“ oder „Stilistik“ zerpflückt werden kann; dieses Herz, das, während es Rußland zur Erscheinung brachte, in einem künftigen, allmenschlichen Rhythmus schlug, bleibt unergründlich; außerstande, mit dem Surrogat des wahrhaft Neuen oder mit dem Surrogat des Ewigseienden im Gegebenen sich zu begnügen, zerbrach dieses Herz: Aleksandr Aleksandrovitsch erstickte, da er dem Surrogat jeder Art sein „So ist es!“ verweigerte; die „Tragödie des Schöpfertums“ blieb ihm nicht erspart; wir haben ihn unter den gleichen Umständen verloren wie… Puschkin; wie Puschkin suchte er den Tod, wir aber haben es nicht fertig gebracht, dieses Herz zu retten; und wir hüten wie immer bloß die Erinnerung und nicht das lebendige, sprudelnde und schöpferisch überkochende Leben.
Lichtes, leichtes Azur.
Dunkel und bodenlos.
Das Azur seiner Zeilen, das unsere ganze Generation wie mit einem Flügelschlag überflutete, gewinnt, sobald man sich ihm zuwendet, an Tiefe und wird dunkel – bis in den schwarzen Abgrund des letzten, dritten Bandes hinein, bis zu den „Zwölf“. Unter allen russischen Dichtern hat Blok die ausgeprägteste Beziehung zur Tiefe und ist doch der Dichter für alle geworden; die Strömungen unserer Zeit erfahren in ihm eine Vertiefung, und das wahrhaft neue menschliche Antlitz spricht wortlos, schweigend einen jeden von uns an; unter dem Schleier der Erscheinungen liegt das Schweigen Tjutschevs; unter dem Schleier dieses Schweigens – das neue, noch ungelenke Wort des in Blok wohnenden wahrhaft neuen Menschen, dem der Dichter, Herr über die magische Verknüpfurig von Tönen, noch keinen Namen und keine Gestalt gegeben hat. In dieser Berührung des „Dichters“ mit der „Stirn“ der aufgehenden „Epoche“ liegt die Tragödie Bloks.
Schweigt, verfluchte Bücher:
Ich habe euch nie geschrieben…
Den „Menschen“ in ihm verstehen wir wohl: das Buch der Bücher über ihn ist noch nicht geschrieben, das „Tauben“-, das „Tiefenbuch“; aber als Fragmente eines ungeschriebenen Buches erschien uns zuweilen seine Persönlichkeit und verdeckte uns den Dichter; dieses Buch wird von einer künftigen Aera geschrieben werden, die im „Dichter“ in den (wie es manchmal schien) unvereinbaren Strömungen und Stimmungen sich manifestierte, die Harmonie der Morgenröten, der Blauen Blume einer in ihm wohnenden Romantik zerstörte und in den Lichtbrechungen der gnostischen Philosophie Vladimir Solovjovs lebte, in der Üppigkeit der Fet’schen Lyrik, in der Qual des Menschen-Dämon (Vrubel und Lermontov), in der Breite des russischen „staatsbürgerlichen“ sozialen Gedankens (der den wortgewandten Dichtern üblicherweise völlig fremd ist); Blok hat mehr als Andere gesagt; aber er hat noch mehr verschwiegen; er schwieg und nahm es mit; unter der stillen glatten lichten See dieser weiten Seele, die die umliegenden Ufer des russischen Lebens spiegelt – welch ein brodelnder Geist! Das Glockengeläut der versunkenen Stadt Kitesh und das Brodeln der Lavaströme bewegter seelischgeistiger Welten; unter der ruhigen Oberfläche nicht ein schlagendes Herz, sondern rote, sich wälzende Lava; und dann brach der Vulkan auf und ein großer Mensch zog sich zurück.
Wir wollen ihm antworten und ihm entgegengehen; wir wollen versuchen, unsere Erinnerung an ihn zu entsiegeln und ihm ein Ewiges Andenken schaffen!
Andrej Belyj, aus Andrej Belyj: Im Zeichen der Morgenröte. Erinnerungen an Aleksandr Blok, Zbinden Verlag, 1974
ANNÄHERUNG AN BLOK UND MAJAKOWSKI /
ERSTER VERSUCH
1
Da hinterm Weinglas rinnt die bleiche Stirn:
aaaRevolution, Salut!
aaaKrach-Zrach!
aaaChrist und die Zwölfe!1
Blok zieht nicht mit, das zündelnde Gehirn,
Die Finger wirbeln unsichtbaren Zwirn:
aaa„Ja, franst die Spießer!
aaaFreßt sie, rote Wölfe!“
Das Glas zerbricht, unter der wilden Hand
Zerbrach ein Glas…
… und draußen drehte
Brennend sich das Land
Unter Proletenfäusten,
Drehte sich und – stand:
aaaSOWJETUNION!
Die Welt ward lichter, als sies las,
Und du zum schwankenden Schatten an der Wand.
2
Deine „Zwölf“ doch marschieren, marschieren.
Schon faßt sie nicht mehr dein Blick.
Majakowski springt auf, sie zu führen.
Dich sieht man den Aschenwind schüren?
Du tappst in die Dämmrung zurück?
3
Nie sprach der dumpf wie tief aus einer Tonne.
Metalle schlagen aneinander schön und bunt und grell.
Mit seiner Faust schlug er als Gong die Sonne,
Dem linken Marsch voraus – etwas zu schnell?
Wo ist das Maß, um seinen Schritt zu messen?
(Etwas zu schnell? Deshalb auch schneller Schluß?)
Noch heute fehlts nach hundertzwölf Kongressen!
Nicht nur den Strophenschritt, die Welt hört auch den
Schuß…
Sein eigenes Wort will jenes Echo überschreien.
Metalle schlagen aufeinander schön und bunt und grell.
Wer zeigt aufs Einschußloch? Auf diese wolln wir speien!
So wär sein Wunsch:
Das rote Trommelfell,
Ich lad euch wütend ein, die Fäuste draufzuhauen,
Das Herz, geballt und bis zuletzt nicht müd.
Die Ärzte, laßt sie mahnen, drohn die Frauen!
Wenn nur kein Seufzer trieft aus euren Zähnen,
Doch mein Atem blüht.
Adolf Endler
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