Und Wesen sind und Sein in Harmonie.
Ins Ewigliche groß die Stille weist,
Ob teilnahmsvoll, ob teilnahmslos – doch sieh:
Der Kosmos in mir glühend kreist.
Ich weiß, ich glaube und ich fühl,
Indem ich selbst in Flammen steh wie du,
Den Seher rührt kein Mitgefühl,
Da er mit gleichen Feuern brennt wie du.
Doch weder Kraft noch Schwäche sind mehr da,
In mir sind Zukunft und Vergangenheit,
Denn alles Wesen, alles Sein sind ja
Erstarrt in lautloser Berufenheit.
So bin ich angelangt, von Prophetie erhellt,
Ich überschritt die Grenze hin zum All,
Um zu entfliehn in eine andre leere Welt,
Erwart ich nur das mir verkündete Signal.
Nachdichtung von Adelheid Christoph
… Blok empfand eine geschichtliche Liebe, eine geschichtliche Objektivität zur häuslichen Periode der russischen Geschichte, die im Zeichen der Intelligenz und der Volkstümler stand. Die schweren dreisilbigen Takte Nekrassows waren für ihn erhaben wie Hesiods Werke und Tage. Die siebensaitige Gitarre, die Freundin Apollon Grigorjews, war für ihn nicht weniger heilig als die klassische Lyra. Er nahm die Zigeunerromanze auf und machte sie zur Sprache der Volksleidenschaft. Es scheint, als wehe von der hohen mathematischen Stirn der Sofia Perowskaja im gleißenden Licht Blokscher Erkenntnis der russischen Realität schon die Marmorkühle wirklicher Unsterblichkeit.
Man kann sich nicht genug wundern über Bloks geschichtlichen Spürsinn. Schon lange bevor er uns beschwor, die Musik der Revolution zu hören, hörte er die unterirdische Musik der russischen Geschichte dort, wo selbst das angestrengteste Ohr nur eine synkopische Pause vernahm. Aus jeder Zeile der Gedichte über Rußland sehen uns Kostomarow, Solowjow und Kljutschewski entgegen, Kljutschewski besonders, der gute Geist, der Hausgeist, der Beschützer der russischen Kultur, neben dem jedes Unheil, jede Prüfung ihre Schrecken verlieren.
Blok, ein Mann des 19. Jahrhunderts, wußte, daß die Tage seines Jahrhunderts gezählt waren. Gierig weitete und vertiefte er seine Welt in der Zeit, wie der Dachs in der Erde wühlt und seinem Bau zwei Ausgänge gräbt. Das Jahrhundert ist ein Dachsbau, der Mann des Jahrhunderts lebt und arbeitet im knapp bemessenen Raum, strebt fiebernd seine Besitzungen zu erweitern und schätzt nichts so sehr wie die Ausgänge aus dem unterirdischen Bau. Getrieben vom Instinkt des Dachses vertiefte Blok seine Kenntnis der Poesie des 19. Jahrhunderts. Englische und deutsche Romantik, die blaue Blume Novalis’, Heines Ironie, eine fast puschkinsche Gier, die glühenden Lippen in der labenden Reinheit der Quellen der europäischen Volksdichtung zu kühlen, der englischen: französischen, deutschen – von jeher quälte sie Blok.
Ossip Mandelstam übersetzt von Fritz Mierau, in: Ossip Mandelstam: Hufeisenfinder, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, 1978
aaaaaaaaaaaafür Alexander Blok
Kam den Dichter zu besuchen.
Es ist Sonntag und ist Mittag.
Ruhe in dem weiten Zimmer.
Vor den Fenstern Frost.
Eine himbeerrote Sonne
Über dicken Nebelschwaden…
Ach, wie sieht der Hausherr schweigend
Jetzt genau auf mich.
Er hat Augen, die sind so,
Daß sie keiner mehr vergißt.
Besser ist, wie ich mich kenne,
Gar nicht erst hineinzusehen.
Und erinnern werd ich mich:
Reden, Nebel, Sonntagmittag
In dem Haus, das grau und groß
Am Meerestor der Newa steht.
Januar 1914
Anna Achmatowa
Übersetzung: Barbara Honigmann
ALEXANDER BLOCK
Sonntag war’s, punkt zwölf Uhr mittags,
Als den Dichter ich besuchte.
Stille herrscht’ im großen Raume;
Vor den Fenstern stand der Frost.
Himbeerfarben schwebt’ die Sonne
Über grauen Nebelfetzen…
Wie auf mich der Hausherr schweigend
Richtet seinen klaren Blick!
Augen hat er nämlich, Augen,
Deren jeder sich erinnert.
Besser, wenn ich ihm aus Vorsicht
Nicht erst in die Augen schau’…
Ich besinn’ mich jedes Wortes
Jenes nebeligen Sonntags,
Dort im hohen, grauen Hause
Dicht am Meerestor des Stroms.
Anna Achmatowa
Übersetzung: Xaver Schaffgotsch
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