Aurélie Maurin & Thomas Wohlfahrt (Hrsg.): VERSschmuggel – Contrabando de VERSOS 2006

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Aurélie Maurin & Thomas Wohlfahrt (Hrsg.): VERSschmuggel - Contrabando de VERSOS 2006

Maurin & Wohlfahrt (Hrsg.)-VERSschmuggel – Contrabando de VERSOS 2006

WENN X

Wenn X
abwesend wäre
wenn man zumindest bemerkt hätte
dass es an der Grenze nichts als perforierte Linien
aaaaagibt,
Gesichter, Tote, losfahrende Floße, Wolken,
aaaaaSchwärme. Wenn X
sich verpflichtet sähe, in der Ironie zu verharren
bis er in der Lage wäre, neue Worte abzuliefern,
würde er sich selber durchqueren.

Silvana Franzetti
übersetzt von Monika Rinck

 

 

 

Stimmen von Beteiligten

Silvana Franzetti über Monika Rinck

Wenn die Poesie bereits an sich ungewöhnliche Ware schmuggelt, wiegt dieses Material in der Übersetzung sogar das Doppelte. Sobald sich außerdem zum Übersetzen zwei Dichter zusammenfinden, dann vervierfacht sich das Gewicht dieser Ware. Für das Überschreiten dieser Grenze, für das magische Passierscheine erstellt werden, um vorzutäuschen, daß dieses Gepäck kein Übergewicht hat, war Monika Rinck eine exzellente Reisekomplizin.

 

Monika Rinck über Silvana Franzetti

Eine Schwierigkeit unter all den anderen Schwierigkeiten (wobei: Übersetzungsschwierigkeiten sind gute Schwierigkeiten im Gegensatz zu finanziellen Schwierigkeiten oder bürokratischen Schwierigkeiten oder Schwierigkeiten bei der Einreise) war die, daß es im Spanischen kein Ü gibt. Wie macht es denn dann PHÜH? Und wir saßen an dem kleinen Tisch und intonierten immer wieder: PHÜH, bis es gelang, sich ihm mittels eines vokalischen Work-Arounds von der anderen Seite aus anzunähern.

Vom spanisch-deutschen Verseschmuggeln

Was kommt heraus, wenn ein Dichter und sein genauester Gutachter, ein anderer Dichter, aufeinander treffen? In der Regel ein Gespräch über Dichtung. Wenn die beiden Dichter jeweils eine andere Sprache sprechen, wird das Gespräch Möglichkeiten des Übersetzens und Publizierens im jeweils anderen Sprachraum mit einschließen. Sprechen sie häufiger miteinander, begründet sich nicht selten eine Freundschaft, die, da sie ein großes gemeinsames Thema hat, womöglich ein Leben lang hält.
Im Frühsommer 2005 trafen beim Poesiefestival Berlin zwölf deutschsprachige Dichterinnen und Dichter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz auf zwölf ihrer Kolleginnen und Kollegen aus der spanischsprachigen Welt; aus Spanien, Mexiko, Chile, Argentinien, Kolumbien, Uruguay, Guatemala, Venezuela und Peru, um sich gegenseitig zu übersetzen. Wie aber geht das, wenn man die Sprache des anderen doch gar nicht spricht?
Die Literaturwerkstatt Berlin und das Instituto Cervantes Berlin als Veranstalter hatten vorab Interlinearübersetzungen von jeweils 10 Gedichten eines jeden Dichters in die andere Sprache anfertigen lassen. Das war das Material, das zur Verfügung stand, und drei-vier Tage saßen und arbeiteten zwölf Dichterpaare an der poetischen Neufassung in der jeweils anderen Sprache. Dicke Wörterbücher lagen zwischen ihnen und wurden im Zweifelsfall befragt, vor allem aber war es der Dolmetscher, den jedes übersetzende Dichterpaar zur Verfügung hatte, der die Interaktion beim neudichten ermöglichte.
Diese übersetzten und somit neuen Dichtungen können sich sehen und hören lassen, sind sie von ihren Schöpfern doch autorisiert! In die Übersetzungen eingegangen sind auch die oftmals intimen Geschichten, die hinter den Worten und Versen liegen, und die sich die übersetzenden Dichter natürlich erzählt haben. Weil das alles wieder Form, also Vers werden mußte in der anderen Sprache, haben sich die Dichterinnen und Dichter in den Tagen des miteinander Arbeitens ihre Gedichte mehrfach vorgetragen und damit geprobt, was an zwei Abenden öffentlich vorgestellt wurde: Die Ergebnisse eines großen Übersetzungsworkshops, der ästhetisches wie menschliches Abenteuer in einem war. Der vorliegende Band präsentiert diese Ergebnisse und läßt uns via CD teilhaben an den beiden spanisch-deutschen Sprach-Konzerten, wie sie am 28. und 29. Juni 2005 in Berlin über die Bühne gegangen sind. Jeder Dichtung ist hier ihr Instrument, die Stimme des Dichters, beigegeben, die uns in die Lage versetzt, unser Lektüreerlebnis um den Klang von Versen in Sprachen zu erweitern.
Es ist der Poesie als eigenständiger Kunst nur angemessen, wenn sie medial gesehen doppelt auftritt; als zu Hörendes und zu Lesendes, denn es sind die im Geschriebenen verborgenen musikalischen Strukturen und Elemente, die ein Gedicht erst Dichtung werden lassen. Die CD macht hörbar, daß die Übersetzung von Poesie nicht ein der Grammatik gehorchender Vorgang ist, sondern eine musikalische Umsetzung, die wieder gute Dichtung werden will und somit nicht selten in Variationen auftritt. In jeder Konstellation haben die Dichter ihren eigenen Ton mit eingebracht in die Übersetzung und sich auf dem Weg zum guten neuen Gedicht somit die Freiheit genommen, die sie dafür brauchen. Verse-Schmuggeln geht eben nicht entlang geregelter Bahnen sondern ist ein komplexer Vorgang, der alle sprachliche Findigkeit erfordert, weil er an den strukturellen Hürden der anderen Sprache vorbei, bzw. sich damit arrangieren muß.

Je nachdem wie gezählt wird gilt Spanien mit seinen über 400 Millionen Sprechern als die viertgrößte Sprache der Welt. Deutsch wird von etwa 100 Millionen Menschen gesprochen. Die jeweilige Dichtung hingegen ist im wesentlichen nicht bekannt. Mit dem vorliegenden Band ist also ein erster Schritt getan, zeitgenössische Dichtung zweier riesiger Sprachräume mit grundverschiedenen, aber jeweils großartigen ästhetischen Traditionen und eigenständigen Modernen einander näher zu bringen. Die Herausgeber sind sich bewußt, daß hier nur eine Orientierung gegeben werden kann, was im jeweils anderen Sprachraum als wichtige zeitgenössische Dichtung gilt, zumal verschiedenste kulturelle Zusammenhänge oder Brüche zwar unter dem Dach der gemeinsamen Sprache Platz haben, aber zu grundlegend verschiedenen Referenzen im jeweiligen gesellschaftspolitischen Raum geführt haben. Ein in Spanien entstandenes Gedicht verweist auf andere Zusammenhänge als ein Gedicht aus Lateinamerika oder der Karibik. Das gilt im deutschen Sprachraum nur bedingt…

Aurélie Maurin und Thomas Wohlfahrt, Aus dem Vorwort

24 Dichter und Dichterinnen

aus neun spanisch- und drei deutschsprachigen Ländern sind sich diesmal begegnet, um ihre Poesie über die Grenzen der Sprachwelten hin- und herzuschmuggeln. Silbe für Silbe, Laut für Laut stimmten sich die Dichter aufeinander ein und entwickelten in filigraner Wortarbeit eine poetischen Neufassung ihrer Gedichte in der jeweils anderen Sprache. Die Ergebnisse dieses großen Übersetzungstreffens sind zu lesen als Buch und zu hören auf CD. Aufgenommen wurden die Lesungen Im Berliner HAU-Theater, im Rahmen des poesiefestival berlin 2005, das die Literaturwerkstatt Berlin jährlich veranstaltet. Der Band ist gleichzeitig bei Huerga y Fierro Editores in Madrid erschienen.

Mit: Nico Bleutge, Helwig Brunner, Ulrike Draesner, Gerhard Falkner, Silvana Franzetti, Antonio Gamoneda, Eugen Gomringer, Harald Hartung, Clara Janés, Johannes Jansen, Gregor Laschen, Eduardo Milán, Vicente Luis Mora, Fabio Morábito, Eugenio Montejo, Carmen Ollé, Monika Rinck, Ana María Rodas, Juan Antonio Masoliver Ródenas, Armando Romero, Frank Schablewski, Christian Uetz, Elisabeth Wandeler-Deck, Raúl Zurita. Zu lesen und zu hören sind jeweils spanisches Original und deutsche Übersetzung.

Verlag das Wunderhorn, Ankündigung, 2006

 

Aurélie Maurin und Rainer G. Schmidt: Übers Übersetzen von Gedichten

 

Fakten und Vermutungen zur Herausgeberin
Porträtgalerie: Dirk Skibas Autorenporträts
Fakten und Vermutungen zum Herausgeber

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